Mali gerät ausser Kontrolle. Der Staat, geformt durch koloniale Einflüsse, mit 20 Millionen Menschen, 35 verschiedenen Sprachen und diversen unterschiedlichen Ethnien, ist von islamistischem Terror schwer gezeichnet. Hier, im Sahel, fällt eine paramilitärische Gruppe genau deshalb auf fruchtbaren Boden: die russischen Wagner-Söldner.
Drei Punkte darüber, was in Mali gerade los ist:
«Die Gesamtzahl der Opfer beläuft sich auf 132 Zivilisten.» Diese Mitteilung verbreitet die Regierung Malis am Montag. Verantwortlich für die Opfer im ganzen Land seien Kämpfer einer islamistischen Miliz mit Verbindung zur Terrororganisation Al-Kaida. Ähnliche Meldungen kommen seit geraumer Zeit aus Mali.
Was passiert gerade in dem Land?
Seit 2021 verschlechtert sich die Sicherheitslage in Mali rapide. Verantwortlich dafür sind vor allem bewaffnete islamistische Gruppierungen, die mit Al-Kaida oder dem «Islamischen Staat» (IS) verbündet sind. Sie wüten nach Gutdünken in dem politisch geschwächten Land und töteten mittlerweile in der Grosssahara zahlreiche Zivilisten, Friedenssoldaten der Vereinten Nationen und staatliche Sicherheitskräfte.
Zudem werden im grossen Stil Menschen entführt durch die Dschihadisten. Zu den Entführten gehören lokale Beamte, Dorf- und Religionsführer, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Missionare, chinesische Bauarbeiter, Touristen und ein französischer Journalist. Mehrere Geiseln wurden in der Gewalt bewaffneter Islamisten hingerichtet. Bereits 2020 wurde die Schweizer Missionarin Beatrix Stöckli in Mali von Terroristen getötet, 2021 wurden ihre sterblichen Überreste identifiziert und in die Schweiz überführt.
In den von ihnen kontrollierten Gebieten setzten die islamistischen Terroristen die Scharia mithilfe von improvisierten Gerichten durch – so wurden drei Männer unter anderem Arme und Beine amputiert, nachdem sie des «Banditentums» beschuldigt wurden. Frauen werden im grossen Stil unterdrückt und sexuell missbraucht. Zudem greifen die Islamisten immer wieder Landwirtschaftsbetriebe an und tragen so zur Ernährungsunsicherheit im Land bei, schreibt die Menschenrechtsorganisation Human Right Watch (HRW).
Die regierende Militärjunta versucht zwar, Stärke zu demonstrieren – und richtet zahlreiche mutmassliche Terroristen kurzerhand (und rechtswidrig) hin und foltert und tötet politische Gegner –, doch etwa zwei Drittel des Landes soll die Regierung erst gar nicht mehr unter Kontrolle haben, wie der «Spiegel» schreibt.
Die Zahl der Binnenflüchtlinge in Mali nimmt seit letztem Jahr dramatisch zu. HRW nennt die Zahl von 385'000 Menschen, die innerhalb der Landesgrenzen vor dem islamistischen Terror und den unberechenbaren Regierungssoldaten flüchteten.
Im 19. Jahrhundert wurde Mali Teil der Kolonie Französisch-Sudan. 1960 erlangte es zusammen mit dem benachbarten Senegal die Unabhängigkeit in der Mali-Föderation. Diese wiederum zerbrach kurz danach und Mali wurde unter seinem heutigen Namen unabhängig.
Ein paar Jahrzehnte später spielte Frankreich wieder eine Rolle in Mali. Denn 2012 brach ein Krieg aus auf dem malischen Staatsgebiet: Die Tuareg, eine Berbergruppe, überrannten zusammen mit islamistischen Gruppierungen den Norden des Landes. Die malische Regierung bat darum in einem offiziellen Gesuch die ehemalige Kolonialmacht um Hilfe, woraufhin Frankreichs Truppen die Aufständischen im Jahr 2013 vorübergehend zurückschlugen.
In der Folge zog Frankreich die Militäroperation Opération Barkhane auf. Das Ziel: Die Bekämpfung des transnationalen, islamistischen Terrorismus in der Sahel-Region. Und so wurden über 5000 französische Soldaten in den ehemaligen französischen Kolonien Mali, Burkina Faso, Tschad, Mauretanien und Niger stationiert. Gleichzeitig setzte die Uno in Mali die Friedensmission Minusma ein – unter anderem, um den Frieden zu sichern und die Zivilbevölkerung zu schützen. Die Europäische Union begann im selben Jahr mit dem Ausbildungsprogramm EUTM Mali, um die malischen Streitkräfte auszubilden im Kampf gegen islamistische Milizen.
Doch die Interventionen waren wenig erfolgreich. Im Gegenteil: Die Sicherheitslage in Mali verschlechterte sich zunehmend. Drei Militärputsche erlebt Mali seit 2012. Die Präsenz der ehemaligen Kolonialmacht geriet zunehmend in die Kritik. Am 10. Juni 2021 beendete Frankreich die Opération Barkhane und zog sich aus der Sahel-Zone wieder zurück. Und auch EUTM Mali wurde gestoppt.
Im Mai 2021 wurde der Putschist Assimi Goïta Staatspräsident Malis in einer militärischen Übergangsregierung. Unter ihm verschlechterten sich die Beziehungen zu Frankreich – und die Annäherung an Russland begann endgültig. Die Militärjunta hat Wahlen bis Ende März 2024 versprochen.
Während sich die Beziehungen zu Frankreich stetig verschlechtert haben in den letzten Jahren, hat die malische Militärjunta ihre Kontakte zu Russland verstärkt. 2019 unterzeichnete die Regierung in Bamako ein Verteidigungsabkommen mit Russland.
Seit 2021 soll die malische Regierung zusätzlich die russische Privatarmee Wagner im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus einsetzen. Zwar bestreitet die malische Regierung, dass sie mit der Wagner-Gruppe kooperiere, doch dieses Abstreiten ist typisch für die Präsenz der Wagner-Gruppe in Afrika, wo jeweils völlig intransparent ist, was in den Verträgen afrikanischer Regierungen mit Wagner steht. Indizien, welche westliche Militärdienste und Menschenrechtsorganisationen sammeln, sprechen jedoch für eine Präsenz der Wagner-Söldner in Mali (siehe unten).
Klar ist nur: Die Wagner-Söldner begingen auf dem afrikanischen Kontinent bereits zahlreiche Menschenrechtsverletzungen – darunter Folter und gezielte Tötungen. Und die Präsenz der Wagner-Söldner verschlechtert die Sicherheits-Situation für die Zivilbevölkerung eher, als dass sie sie verbessert. So zum Beispiel in Mosambik, im Sudan (wo die Wagner-Truppen den später gestürzten Präsidenten Omar al-Bashir unterstützen) oder in der Zentralafrikanischen Republik (wo Wagner die Regierung im Kampf gegen Rebellen unterstützt hat).
Ein Vertrag zwischen Mali und der Wagner-Gruppe sehe die Entsendung von bis zu 1000 russischen Söldnern vor, schreibt «The Africa Report» im September 2021. Verifiziert ist diese Zahl nicht. Die russischen Söldner würden angeheuert, um mit der malischen Armee zusammenzuarbeiten, sowie Personenschutz für hochrangige Persönlichkeiten zu stellen.
Mehrere diplomatische und sicherheitspolitische Quellen aus Europa und den USA bestätigen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass die Wagner-Gruppe für ihre Dienste etwa 6 Milliarden CFA-Francs (rund 9 Millionen Schweizerfranken) pro Monat erhalten würde.
Die «New York Times» berichtet von einem Massaker im März, in das die Wagner-Söldner in Mali involviert gewesen sein sollen: Hubschrauber rattern im Tiefflug über den Marktplatz der malischen Stadt Moura, einige feuern aus der Luft auf die dort versammelten Menschen. Die Dorfbewohner rennen um ihr Leben. Doch es gab keinen Ausweg mehr: Die Hubschrauber setzten Soldaten am Stadtrand ab – malische und «weisse». Nach Angaben von Diplomaten, Beamten und Menschenrechtsgruppen gehörten die Ausländer der Wagner-Gruppe an, schreibt die «Times».
Offiziell verfolgen die Soldaten islamistische Kämpfer, die seit Jahren in der Region operieren. Doch stattdessen plündern sie Häuser, halten Dorfbewohner gefangen und exekutierten Hunderte von Männern – angebliche Terroristen –, ohne sie zu befragen. Andere Dorfbewohner seien gezwungen worden, Massengräber auszuheben. Als Beweis für das islamistische Gedankengut der Ermordeten solle alleine die Kleidung, welche die Dorfbewohner trugen, ausreichend gewesen sein. «Die Weissen und die Malier töteten gemeinsam», sagte ein Zeuge gegenüber der «Times». Ein anderer sagt:
Analysten von Menschenrechtsorganisationen schätzten die Zahl der Todesopfer in Moura vorsichtig auf 300 bis 400, wobei die meisten Opfer Zivilisten gewesen seien. Alle Opfer hätten der Gruppe der Fulani angehört – mittlerweile sesshafte Hirten. Die Möglichkeit, dass das Massaker die Überlebenden jetzt erst Recht in die Armee der Dschihadisten treibt, ist real.
Zehn Tage nach Ende der Belagerung hätten zwei Minister der Regierung Lebensmittel und Spenden nach Moura gebracht und verkündet, die Armee habe Frieden und Sicherheit gebracht, wie die «Times» schreibt. Im malischen Fernsehen lobten lokale Beamte die Militäroperation.
Die Söldner der Wagner-Gruppe bringen also zusätzlich Brutalität und Gewalt ins Land. Trotzdem erfahren die russischen «Militärausbilder», wie die Regierung sie offiziell nennt, grossen Rückhalt in der Bevölkerung. Besonders die anti-koloniale Bewegung Yerewolo mobilisiere regelmässig tausende Zivilisten, um die russische Privatarmee zu unterstützen, wie Reuters schreibt.
Yerewolo steht hauptsächlich für zwei Dinge: den Hass auf die Franzosen – und die Zuneigung zu Russland. Und so werden während dieser Kundgebungen die französischen Soldaten der abgezogenen Opération Barkhane diskreditiert: Für Massengräber, Schmuggelgeschäfte und Übergriffe sollen sie laut den Yerewolo-Demonstrierenden verantwortlich sein, wie «Le Temps» schreibt.
Russische Söldner in Mali zu haben, wäre Teil einer breiteren russischen Kampagne, um die seit langem bestehende Machtdynamik in Afrika zu beeinflussen. Die russischen Ambitionen auf dem afrikanischen Kontinent werden auch dadurch unterstützt, dass die staatlichen russischen Sender Russia Today und Sputnik in Westafrika mittlerweile ein dichtes Netzwerk aufgebaut haben – sie senden auf Russisch und in französischer Sprache, um möglichst viele Menschen in Afrika zu erreichen.
Wagner und Russland wird da umzimperlich sein und sich weder um Minderheiten noch um Demokratie scheren. Ob das für Mali auf die Dauer besser ist, sei dahingestellt.