1981 schoss ein verwirrter junger Mann Ronald Reagan nieder, weil er damit der Schauspielerin Jodie Foster imponieren wollte. Der amtierende Präsident war schwer verletzt und überlebte den Anschlag nur knapp. Kurz nach dem Attentat schossen die Zustimmungswerte für Reagan in die Höhe. Innert weniger Wochen verflüchtigte sich dieser Sympathie-Bonus jedoch wieder.
Wahrscheinlich werden sich in den kommenden Tagen auch die Umfragewerte von Donald Trump verbessern, vielleicht sogar deutlich. Seit dem Attentat vom vergangenen Samstag ist er nicht nur ein Märtyrer, sondern auch ein Held. Der Ex-Präsident und die Grand Old Party werden dieses Narrativ bis zum Gehtnichtmehr auskosten. Der heute beginnende Parteitag der Republikaner in Milwaukee wird zu einer einzigen, an einen religiösen Kult erinnernde Verehrungs-Orgie für Trump werden.
Bereits im Vorfeld überschlagen sich die Kommentare seiner Bewunderer. «Viele Menschen lieben diesen Mann», erklärte beispielsweise Lindsey Graham, Senator aus South Carolina, gegenüber dem TV-Sender NBC. «Er ist einer der stärksten Menschen, die ich je getroffen habe. Er kann Schläge absorbieren wie kein anderer. Es ist offensichtlich, dass Gott Präsident Trump noch nicht fallengelassen hat.»
Elon Musk bemüht zwar nicht den Allmächtigen, aber er vergleicht Trump immerhin mit Theodore Roosevelt. Der 26. US-Präsident – nicht zu verwechseln mit Franklin D. Roosevelt – sass zwischen 1901 und 1909 im Weissen Haus. Er galt ebenfalls als harter Bursche und beteiligte sich im Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 aktiv am Kampfgeschehen und soll gar einen gegnerischen Soldaten getötet haben. Legendär ist auch Roosevelts Kampf gegen die Monopole, vor allem gegen Standard Oil von John Rockefeller. 1912 überlebte Roosevelt ebenfalls ein Attentat.
Trump selbst geniesst diese Huldigungen sichtlich, bemüht sich jedoch gleichzeitig, in die Rolle eines Staatsmannes zu schlüpfen, der über den Dingen steht. Auf seiner Plattform Truth Social lässt er mitteilen: «Es ist wichtiger denn je, dass wir zusammenstehen und unseren wahren Charakter als Amerikaner zeigen. Wir müssen stark bleiben und es nicht zulassen, dass das Böse gewinnt.»
Wer nun jedoch glaubt, die Amerikanerinnen und Amerikaner würden kollektiv in Kumbaya-Gesänge ausbrechen, der dürfte sich getäuscht haben. Es ist weit wahrscheinlicher, dass das Attentat den Hass, der die Gesellschaft spaltet, noch verstärken wird. Links und rechts wuchern bereits die wildesten Verschwörungstheorien. Die «New York Times» zitiert eine Umfrage, wonach 47 Prozent der Amerikaner damit rechnen, noch zu Lebzeiten in einen Bürgerkrieg verwickelt zu werden, ein Szenario, das ein erfolgreicher Film in diesem Frühling bereits mit drastischen Bildern vorweggenommen hat.
Die «Trump der Versöhner»-Nummer dürfte daher von kurzer Dauer sein. Der Ex-Präsident lebt von Hass und Rache-Gelüsten, die er mit seinen Anhängern teilt. «Sieg oder Tod», proklamierte etwa sein ehemaliger Chefstratege Steve Bannon, bevor er ins Gefängnis einrücken musste. Kevin Roberts, Präsident der Heritage Foundation, spricht bereits von einer «zweiten amerikanischen Revolution». Die konservative Denkfabrik hat das mittlerweile bekannte Programm «Project 2025» ausgearbeitet, eine Blaupause zur Errichtung eines autoritären Staates unter Trump.
Sicher, derzeit spricht fast alles für Trump. Die Demokraten befinden sich in einer existenziellen Krise und wissen nicht, wie sie das Altersproblem von Joe Biden lösen können. Das Attentat hat gleichzeitig das Narrativ bestätigt, wonach alle darauf aus sind, Trump Schaden zuzufügen. Was also kann den Ex-Präsidenten noch daran hindern, im November als Sieger dazustehen?
Beispielsweise die Tatsache, dass das Kult-Gebaren der Republikaner nicht nur die Demokraten, sondern auch die unabhängigen Wähler abstösst. «Alles in der republikanischen Partei – ob Wut oder Freude – ist jetzt intensiver geworden», stellt «New York Times»-Kolumnist David French fest. «Diese Intensität ist eine Quelle der Stärke – und eine Quelle der Schwäche. Er hat wenig Raum nach oben, denn die MAGA-Kultur kann für alle, die sie nicht teilen, abstossend sein.»
Normalerweise beginnen sich die Amerikanerinnen und Amerikaner erst nach dem Labor Day, also zu Beginn des Septembers, ernsthaft mit den Präsidentschafts-Wahlen zu beschäftigen. Das Attentat wird dies ändern. Das bedeutet auch, dass die Auseinandersetzung mit politischen Inhalten diesmal deutlich früher beginnen wird. Davon dürften die Republikaner kaum profitieren.
Bei Abtreibung und Waffengesetz vertreten sie Positionen, die bei einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung unpopulär sind. Die Tatsachen, dass mittlerweile mehr Menschen «Project 2025» als Taylor Swift googeln, zeigt auch, dass die Angst vor einem autoritären Staat um sich greift. Vielleicht machen es die Amerikaner ja wie die Franzosen, die in letzter Minute eine postfaschistische Regierung verhindert haben.
Das Attentat wird wohl auch dazu führen, dass die Amerikaner im November in Rekordzahl zur Urne strömen werden. In der Regel profitieren die Demokraten von einer hohen Stimmbeteiligung.
Schliesslich dauert es noch mehr als drei Monate bis zu den Wahlen – in der politischen Zeitrechnung eine Ewigkeit, vor allem wenn davon auszugehen ist, dass in dieser Zeit noch sehr viel Überraschendes geschehen kann.
Im Oktober 2016 stand Trump vor dem politischen Aus. Nach der Veröffentlichung der «Access Hollywood»-Videobänder wurde er von allen Polit-Auguren abgeschrieben. Umgekehrt sehen ihn im Sommer 2024 schon viele zum zweiten Mal im Weissen Haus. Mag sein, doch wie lautet ein zugegebenermassen abgedroschener Spruch: «Prognosen sind schwierig – vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.»
Von mir aus dürfen ein paar der Sektenmitglieder ihm ein Denkmal irgendwo in Florida errichten, jeweils Mittwochs oder sonst an einem Tag da zur Messe gehen, die Donald selber liest und begeistert jubeln. Das sollte doch genügen.
Roosevelt hatte, im Gegensatz zu Trump, noch Eier in der Hose, der anzupacken wusste, wenn es darauf ankam. Und er hat tatsächlich erfolgreich gegen die Monopolisten gekämpft, für die einfache Bevölkerung, ganz im Gegensatz zu Trump, der den Multimilliardären huldigt, sie von Steuern befreien will und dem das Schicksal der Unterprivilegierten aA vorbeigeht.