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Donald Trump und die nützlichen Idioten

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Donald Trump und die nützlichen Idioten

Wie der Ex-Präsident und seine MAGA-Bewegung die Naivität und Toleranz der liberalen Demokraten ausnutzen.
15.01.2024, 16:14
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Wladimir Lenin siegte in der Oktoberrevolution nicht, weil er die Mehrheit der Russen hinter sich hatte. Die Kommunisten nannten sich zwar Bolschewiken («Mehrheitler»), hatten aber meist weniger Mitglieder als die Sozialdemokraten, die Menschewiki («Minderheitler»). Lenin gewann die Oberhand, weil er die Missbrauchs-Möglichkeiten, die eine Demokratie bietet, brutal und rücksichtslos zu seinen Gunsten ausnutzte. Tatsächlich waren die Sozialdemokraten in der Mehrheit. Sie hielten sich jedoch an die Spielregeln der Demokratie und wurden deshalb gnadenlos ausgetrickst. Lenin verspottete sie in der Folge als «nützliche Idioten».

So viel zur Geschichte. Auch wenn es uns schwerfällt, dies zu glauben: Die «Nützliche-Idioten-Frage» stellt sich in unserer Zeit erneut. Beispielhaft daran, ob Donald Trump überhaupt zu den Wahlen zugelassen werden darf oder nicht. Schauen wir daher genauer hin.

Wie es zum 14. Verfassungszusatz gekommen ist

Nach dem Bürgerkrieg wollten die siegreichen Nordstaatler verhindern, dass die Sezessionisten aus dem Süden wieder an die Schalthebel der Macht gelangen konnten. Sie schufen daher den 14. Verfassungszusatz, der im dritten Abschnitt festhält, dass niemand, der an einem Umsturzversuch beteiligt war oder diesen gefördert hat, je wieder eine Stellung im Staat besetzen darf.

Aktuell stellt sich nun die Frage, ob Trump mit seinem Verhalten vor und am 6. Januar 2021 diesen Ausschluss-Kriterien genügt und daher gemäss Verfassung gar nicht an den Wahlen teilnehmen darf – genauso wie jemand, der weniger als 35 Jahre alt ist oder nicht in den USA auf die Welt gekommen ist, nicht Präsident werden kann.

Was zunächst als eher theoretisches Gedankenspiel einiger Verfassungsjuristen begann, ist inzwischen zu einem Grundsatzproblem geworden. Im Bundesstaat Colorado hat das örtliche Oberste Gericht entschieden, Trump müsse aufgrund des 14. Verfassungszusatzes tatsächlich von den Wahlzetteln gestrichen werden. Im Bundesstaat Maine ist die Staatssekretärin zum gleichen Befund gekommen. Deshalb muss jetzt der nationale Oberste Gerichtshof den definitiven Entscheid fällen. Er wird dies in ein paar Wochen auch tun.

Die Frage beschäftigt nicht nur Verfassungsjuristen. Auch Politiker und Journalisten beschäftigen sich mittlerweile intensiv damit. Einer davon ist NZZ-Chefredaktor Eric Gujer. In seinem Wochenend-Leitartikel stellt er fest, die Demokratie lasse sich nicht «mit undemokratischen Mitteln retten» und wirft den liberalen Demokraten vor, sich von einer illiberalen Seite zu zeigen. «Sie nutzen ihre Macht in den Institutionen, um ihre Gegner kleinzuhalten oder auszuschalten», so Gujer. «Wenn selbst ihre Befürworter solche Methoden anwenden, hat die liberale Demokratie keine Zukunft.»

«Am schamlosesten gehen die amerikanischen Demokraten vor», fährt Gujer fort. «Ihnen nahestehende Staatsanwälte und Richter verwandelten die Justiz in eine Waffe, um Trump vor Gericht zu ziehen.»

Eric Gujer, chief editor of the Neue Zuercher Zeitung (NZZ), in the committee room at the Falkenstrasse in Zurich, Switzerland, on May 22, 2015. (KEYSTONE/Christian Beutler)

Eric Gujer, Chefredaktor  ...
NZZ-Chefredaktor Eric Gujer.Bild: KEYSTONE

Das ist zunächst einmal faktisch falsch. Der Anstoss zum Versuch, Trump von den Wahlen auszuschliessen, kommt weder vom Justizministerium noch von der Biden-Regierung. Erstaunlicherweise stammt er vielmehr aus einer sehr konservativen Ecke, aus der Federal Society. Dabei handelt es ich um eine mächtige Lobby-Gruppe von Juristen, die in den Achtzigerjahren als Gegengewicht zu linken Juristen gegründet wurde und die in der Folge grossen Einfluss gewann. Alle von Trump berufenen Obersten Richter sind von der Federal Society vorgeschlagen worden.

Verschiedene Mitglieder dieser Lobby-Gruppe haben sich dafür ausgesprochen, Trump nicht zu den Wahlen zuzulassen, darunter etwa Michael Luttig, der zu den bedeutendsten Vertretern der Federal Society gehört. Dasselbe trifft auch für William Baude und Michael Paulsen zu. Die beiden haben in einer 126-seitigen juristischen Analyse dargelegt, weshalb der 14. Verfassungszusatz im Fall von Trump zur Anwendung kommen müsse.

Sie kommen dabei zum Schluss, dass der Ex-Präsident «sich bewusst und absichtlich» geweigert habe, das Resultat einer «rechtmässigen Wahl» zu akzeptieren. Aber Trump sei ja deswegen nicht verurteilt, ja nicht einmal angeklagt worden, wird dagegen eingewendet. Das stimmt, doch der Einwand zielt ins Leere. An keiner Stelle des 14. Verfassungszusatzes wird diese Forderung erhoben. Und wer den 6. Januar 2021 live am TV verfolgt und vielleicht zumindest teilweise die Hearings dazu mitbekommen hat und immer noch glaubt, Trump habe beim Sturm auf das Kapitol keine tragende Rolle gespielt, dem hätte ich einen Gebrauchswagen zu verkaufen.

Zwischenbemerkung: Wer sich für die grusligen juristischen Details in diesem Fall interessiert, dem empfehle ich wärmstens einen Podcast in der «New York Times», in dem sich die beiden Kolumnisten Ezra Klein (ein Progressiver) und David French (ein Konservativer) ausführlich und verständlich darüber unterhalten. Auch hier ist es erstaunlicherweise der konservative French, der für den Ausschluss von Trump plädiert.

Trump und seine MAGA-Meute stellen sich gerne als Opfer dar. Sie beschwören eine «Hexenjagd» herauf und beklagen eine Zweiklassen-Justiz. Es trifft tatsächlich zu, dass noch nie ein Ex-Präsident mit so vielen Klagen und Prozessen konfrontiert war wie Trump – insgesamt sind derzeit vier Strafprozesse mit 91 Anklagepunkte gegen ihn hängig, dazu kommen noch jede Menge Zivilprozesse. Es hat sich aber auch noch nie ein Ex-Präsident aufgeführt wie Trump.

Trump handelt nach dem Motto von Lenin, er nutzt die Schwachstellen der Demokratie bis zum Gehtnichtmehr aus. Dabei macht er sich über den Rechtsstaat lustig und beginnt sofort zu jammern, wenn er deswegen zur Rechenschaft gezogen werden soll. Auch Gewalt wenden er und seine MAGA-Meute immer öfter an. In jüngster Zeit betreiben sie ein sogenanntes «Swatting». Darunter versteht man die Taktik, die Polizei mit einem erfundenen Verbrechen auf unliebsame Gegner zu hetzen. Opfer dieses Swattings sind etwa Tanya Chutkan, die Richterin im 6.-Januar-Prozess, und der Sonderermittler Jack Smith.

"Maga" Mary Kelley of Lake Worth, Fla., wears a Trump T-shirt and buttons as she shows support for former President Donald Trump one day after he was indicted by a Manhattan grand jury, Frid ...
Bedingungslos loyal: Trump-Anhängerin.Bild: keystone

Vor allem jedoch macht Trump selbst völlig klar, dass er, wie es im Militärjargon heisst, eine «clear and present danger» für die Demokratie darstellt. Sollte er wieder ins Weisse Haus ziehen, wird er Tausende von Beamten entlassen, die er für zu wenig loyal hält. Er wird das Justizwesen gegen seine Gegner instrumentalisieren und er wird sich keinen Deut um die Verfassung kümmern und sich mit Scharfmachern wie seinem ehemaligen Sicherheitsberater Mike Flynn, seinem ehemaligen Chefstrategen Steve Bannon und seinem Redenschreiber Steve Miller umgeben.

«Erwachsene», die es in seiner ersten Amtszeit noch gab – Leute wie der ehemaligen Verteidigungsminister James Mattis, der ehemalige Stabschef Mike Kelly oder der ehemalige Wirtschaftsberater Gary Cohn –, werden keinen Platz mehr im Weissen Haus haben.

Es gibt gar die begründete Angst, wonach Trump bei einem allfälligen Wahlsieg umgehend den Notstand ausrufen wird. Das würde ihm erlauben, die Nationalgarde und Teile der Armee unter seinen direkten Befehl zu stellen. Auf diese Weise würde er der amerikanischen Demokratie und dem Rechtsstaat schlagartig den Todesstoss versetzen. Seinem Rachefeldzug stünde nichts mehr im Wege.

Former national security adviser Michael Flynn speaks during a "rosary rally" on Sunday, Aug. 6, 2023, in Norwood, Ohio. A national religious organization, Catholics for Catholics, gathered  ...
Würde wohl wieder ins Weisse Haus einziehen: Der ehemalige Sicherheitsberater und Verschwörungstheoretiker Michael Flynn.Bild: keystone

Nicht nur Trump, auch seine Anhänger haben kein Interesse, die Demokratie zu verteidigen. Die Republikaner sind keine politische Partei im herkömmlichen Sinn mehr, sie sind zu einem Kult mit geradezu religiösem Anstrich geworden. Evangelikale sind mittlerweile überzeugt, dass ihnen Trump von Gott gesandt wurde, um die Welt zu retten.

All dies versucht Gujer mit dem Hinweis auf die Floskel «Perception is reality» unter den Tisch zu wischen. Er kann sich zwar noch zur Formulierung durchringen, dass Trump «kein lupenreiner Demokrat» sei. Trotzdem stellt er sich auf den Standpunkt, dass es gefährlicher sei, ihn von den Wahlen auszuschliessen, denn die Wahrnehmung sei eine andere. Die Wahrnehmung sei: «Bidens Partei greift zu unlauteren Mitteln, weil dem Präsidenten gemäss allen Umfragen eine Niederlage droht», so der NZZ-Chef.

«Kann man den Rechtsstaat mit rechtsstaatlich fragwürdigen Mitteln wiederherstellen? Lässt sich das Richtige mit falschen Mitteln wiederherstellen?», fragt sich Gujer daher besorgt und umschreibt damit das falsche Problem. Er übersieht, dass die Demokratie nicht nur darin besteht, Mehrheiten zu gewinnen. Wie bei der Marktwirtschaft müssen auch in Demokratie und Rechtsstaat Regeln eingehalten werden. Wer gegen diese Regeln verstösst, ja diese Regeln gar gegen die Demokratie verwendet, der muss zum Schutz der Demokratie ausgeschlossen werden. Sonst droht eine Herrschaft des Pöbels.

Gerade um diese Gefahr abzuwenden, müsse man Trump zu den Wahlen zulassen, ist schliesslich ein ebenfalls viel gehörter Einwand. Auch das ist ein Trugschluss. Sicher: Mit grösster Wahrscheinlichkeit würde es zu Gewaltaktionen kommen, sollte der Ex-Präsident nicht antreten dürfen. Doch diese Gefahr besteht auch, wenn er zu den Wahlen antreten darf und verliert. Das hat er ja hinreichend bewiesen.

Tatsache bleibt, dass die liberale Demokratie und der Rechtsstaat heute akut in Gefahr sind. Nicht nur in den USA. Wer auf diese Gefahr aufmerksam macht, wird von Leuten wie Gujer in die hysterische Ecke gestellt. Dabei muss mit Blindheit geschlagen sein, wer die Folgen einer Machtergreifung von Trump oder anderen Rechtsradikalen nicht zur Kenntnis nehmen will.

Es sind nicht die Warner, die das Problem sind. Es sind die «nützlichen Idioten». Sie schauen nicht nur untätig zu, wie die Demokratie vor die Hunde geht. Sie liefern auch noch den ideologischen Geleitschutz dazu.

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Inaugurationszirkus: So traten Bidens Vorgänger ihr Amt an
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Inaugurationszirkus: So traten Bidens Vorgänger ihr Amt an
George Washington, der erste Präsident der USA, am 4. März 1793 bei seiner Ankunft vor der Congress Hall von Philadelphia (Washington muss ja erst einmal gegründet werden), wo seine Inauguration stattfinden wird.
quelle: universal images group editorial / universal history archive
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Einmaliger Gebrauch: Trump macht sich über Bidens Stottern lustig
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117 Kommentare
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Lowend
15.01.2024 16:34registriert Februar 2014
Nur mit Wissen und Argumenten kann man gegen dem grassieren Anspruch auf eine "Pöbelkratie" begegnen und daher bin ich froh, dass jemand diesem Text eines «nützlichen Idioten» mit klaren Fakten und einer sehr genauen Einordnung entgegentritt. Wegen solcher Artikel bin ich noch hier. Herzlichen Dank!
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Nik G.
15.01.2024 16:38registriert Januar 2017
Ach die NZZ ist auch ein unterstürzende Zeitung der konservativen und rechten. Klar ist aus ihrer Sicht das vorgehen der Demokraten falsch. Was er aber ausklammert ist das die Republikanischen Bundesstaaten alles mögliche machen um Menschen vom wählen per Gesetz ausschließen zu können. Vor allem Minderheiten die tendenziell Demokratisch wählen.
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hphu
15.01.2024 17:04registriert Juli 2023
Ach, Herrn Gujer von der NZZ zu kritisieren ist etwa so ergiebig wie Herrn Blocher von der SVP. Da geht es bei beiden schon lange nicht mehr um Fakten, da geht es um "Religion". Im übrigen guter Artikel!
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