Unter Schah Reza Pahlewi unterhielt Iran gute Beziehungen mit Israel. Sein Sturz durch die islamische Revolution vor 45 Jahren führte zu einem radikalen Wandel. Das Mullah-Regime betonte, dass es das «zionistische Gebilde» von der Landkarte tilgen wollte. Israel wiederum betrachtete vor allem das iranische Atomprogramm als tödliche Bedrohung.
Immer wieder kam es in den vergangenen Jahrzehnten zu gegenseitigen Angriffen, aber nie zum offenen Schlagabtausch. In der Nacht zum Sonntag hat sich dies fundamental geändert. Iran attackierte Israel direkt, mit hunderten Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen. Dank der ausgefeilten Luftabwehr hielt sich der Schaden in Grenzen.
Aus iranischer Sicht war es ein Vergeltungsschlag für den israelischen Luftangriff auf ein Botschaftsgebäude in Damaskus, bei dem zwei Kommandanten der Revolutionsgarden und weitere Offiziere getötet wurden. Für Israel und seine Verbündeten aber handelte es sich um eine neue Eskalationsstufe. Sie könnte zu einem grossen Krieg im Nahen Osten führen.
Die Befürchtung ist nicht unbegründet. In der Region werden Konflikte nach archaischen Regeln geführt. Es gilt, jedes Zeichen von Schwäche zu vermeiden. Demzufolge müsste Israel zurückschlagen. Es gibt jedoch einige Gründe, warum dies nicht geschehen muss.
Nach iranischer Lesart war der Angriff ein Erfolg. Die Revolutionsgarden hätten dem Erzfeind eine Lektion erteilt, sagte Präsident Ebrahim Raisi. Doch die Attacke erfolgte nicht aus heiterem Himmel. Die Iraner sollen ihre Nachbarländer vorgewarnt haben. Sie mussten also damit rechnen, dass der grösste Teil ihrer Geschosse abgefangen würde.
Das lässt darauf schliessen, dass das innenpolitisch bedrängte Regime in Teheran nicht an einer Eskalation interessiert ist. «Die Angelegenheit kann als abgeschlossen betrachtet werden», teilte die iranische UNO-Botschaft nach dem Angriff mit. Ein weiteres Indiz: Die Hisbollah im Libanon mit ihrem grossen Raketenarsenal verhielt sich ruhig.
Für die israelische Regierung hat Iran mit dem Angriff «jede rote Linie überschritten». Die Reaktionen fielen entsprechend aus. «Wenn der Iran Israel angreift, werden wir im Iran angreifen», sagte Aussenminister Israel Katz in einem Radiointerview. Es gibt jedoch auch besonnenere Stimmen, etwa von Benny Gantz, der dem Kriegskabinett angehört.
Denn auch für Israel steht einiges auf dem Spiel. Eigentlich ist der jüdische Staat durch den Krieg gegen die Hamas in Gaza absorbiert. Und es kommt immer wieder zu Scharmützeln mit der Hisbollah. Ausserdem muss Israel Rücksicht auf seine arabischen Nachbarn nehmen, etwa Jordanien, das beim Abfangen iranischer Geschosse geholfen hat.
Eine Schlüsselrolle spielen einmal mehr die USA. Teheran hat Washington aufgefordert, sich aus dem Konflikt herauszuhalten. In der Tat ist eine Eskalation so ziemlich das Letzte, was die Regierung von Joe Biden derzeit brauchen kann. Der US-Präsident soll Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ermahnt haben, den Ball flach zu halten.
Das kann Netanjahu nicht ignorieren, denn die USA sind der wichtigste Unterstützer Israels, auch bei der Abwehr des iranischen Angriffs. Einen positiven Aspekt könnte der Angriff für die US-Regierung haben: Der Druck auf die Republikaner im Repräsentantenhaus wächst, das Hilfspaket für die Ukraine zu verabschieden. Darin ist auch Geld für Israel enthalten.
Für die arabischen Staaten ist die verschärfte Lage pikant. Sie haben im Gegensatz zu den Iranern in den letzten Jahren die Annäherung an Israel vorangetrieben. In einen ausgewachsenen Krieg würden sie unweigerlich hineingezogen. Entsprechend deutlich fielen die Warnungen vor einer weiteren Eskalation am Wochenende aus.
Die Gemüter beruhigen könnte Saudi-Arabien. Das Königreich hatte vor einem Jahr durch Vermittlung Chinas die Beziehungen mit Iran normalisiert. In den Jahren davor standen die beiden Regionalmächte einige Male am Rande eines Krieges. Gleichzeitig halten die Saudis die Türe offen für eine Normalisierung oder gar einen Frieden mit Israel.
Allerdings haben sie bislang mit einem Engagement etwa im Gaza-Krieg gezögert. Das schafft Raum für zwei andere Staaten: Katar und Oman. Sie haben gute Beziehungen zu Iran, und mit Israel gibt es keinen Frieden, aber auch keine offene Feindschaft. Oman spielte neben der Schweiz eine zentrale Rolle bei der Kommunikation zwischen den USA und Iran.
Einiges spricht für eine weitere Eskalation zwischen Iran und Israel, aber auch einiges dagegen. Es gibt sogar einen Präzedenzfall: 1991 feuerte der irakische Diktator Saddam Hussein Raketen auf Israel ab. Es war eine andere Zeit: Damals gab es noch keinen «Iron Dome», und die arabischen Staaten waren Israel überwiegend feindlich gesinnt.
Dennoch konnte US-Präsident George Bush senior die Israelis von einem Gegenschlag abhalten. Er wollte die von ihm geschmiedete breite Koalition nicht gefährden, die die Iraker aus dem von Saddam Hussein eroberten Emirat Kuwait vertreiben wollte. Auch jetzt steht einiges auf dem Spiel, etwa ein Geiseldeal mit der Hamas im Gazastreifen.
Auf eine Vergeltung verzichten wird Israel wohl nicht. Aber es könnte sich um einen begrenzten Schlag handeln, nicht gegen Iran direkt, sondern gegen dessen «Handlanger» wie die Hisbollah, die Huthi im Jemen oder die Milizen im Irak. So liesse sich ein Flächenbrand verhindern – auch wenn man in dieser Region mit allem rechnen muss.
Es waren nicht primär israel., brit. und US-Kräfte, sondern die jordanische Luftwaffe, die die meisten Drohnen und Raketen über eigenem Staatsgebiet abgefangen hat, unter Inkaufnahme eigener Verluste, gegen antiisrael. Strömungen in der eigenen Bevölkerung und trotz iran. Drohungen.
Das sind die wahren Helden hier, aber der israel. Dank dafür ist erwartungsgemäss äusserst bescheiden ausgefallen!
Danke Jordanien!
Im nahen Osten werden internationale Regeln, zwar in unterschiedlicher Schwere, aber flächendeckend miz Füssengetreten.
Wenn wir das als freie Welt einfach "fundamental neutral" hinnehmen, verrohren die internationalen Sitten weiter. Das ist definitiv nur im Interesse derjenigen Mächten, die auch bereit sind hemmungslos Gewalt einsetzen
Den heutigen Iran mag ich genau so wenig in Schutz nehmen wie die Taliban oder all die paramilitärischen Gruppierungen in Südamerika. Aber kann den Amerikanern bitte mal jemand erklären, wie ein Bumerang funktioniert?