Viele Politiker gebärden sich als Populisten. Nur wenige schaffen es, eine nach ihnen benannte Ausrichtung zu etablieren. Es gibt den Trumpismus in den USA und in Italien den Berlusconismus. Als angebliche Anwälte der «kleinen Leute» haben es seine Protagonisten – reiche «Quereinsteiger» – geschafft, die Politik ihres Landes umzupflügen.
Als Pionier auf diesem Gebiet kann man SVP-«Übervater» Christoph Blocher bezeichnen, der mit dem Abstimmungskampf gegen den EWR-Beitritt 1992 zur dominanten Figur der Schweizer Politik wurde. International aber blieb seine Strahlkraft überschaubar. Dort ging die «Post» ab mit Silvio Berlusconis Einstieg in die Politik 1994.
Der am Montag verstorbene «Cavaliere» war in der Immobilien- und Medienbranche reich und als Besitzer der AC Milan zu einer über Italien hinaus bekannten Figur geworden. Bis heute besteht der Verdacht, dass Berlusconis Erfolg im Bausektor der Mafia zu verdanken ist. Sein Vertrauter Marcello Dell’Utri kam wegen Kontakten zur Cosa Nostra vor Gericht.
Die Justiz war auch Silvio Berlusconi auf den Fersen. Das wurde zum Problem, als der «Tangentopoli»-Bestechungsskandal 1992 das italienische Parteiensystem zerlegte. Die Democrazia Cristiana, die das Land nach dem Zweiten Weltkrieg dominiert hatte, wurde regelrecht pulverisiert. Damit verlor Berlusconi viele seiner einstigen «Beschützer».
Er ergriff die Flucht nach vorn und gründete seine Partei Forza Italia. Die Anspielung auf den «Calcio» war gewollt. «Ich muss in die Politik, sonst komme ich ins Gefängnis», soll Berlusconi gegenüber Vertrauten gesagt haben. Der Erfolg war durchschlagend: Bei den Parlamentswahlen 1994 wurde Forza Italia auf Anhieb stärkste Partei und ihr Chef Ministerpräsident.
Dafür gab es einen rationalen und einen irrationalen Grund. Nach Tangentopoli war das politische Zentrum verwaist. Berlusconi drang zielsicher in die Lücke vor. Dabei setzte er auf die Macht seines Medienimperiums und vor allem seiner Fernsehsender. Silvio Berlusconi war vielleicht der erste Politiker, der sein Land per Video regierte.
Das machte ihn nach Ansicht von Analysten zu einem Vorreiter des modernen politischen Populismus. Und das Volk liess sich einlullen. Berlusconi war viermal Ministerpräsident. Insgesamt regierte er fast neun Jahre, eine in der kurzlebigen italienischen Politik unendlich lange Zeit. Den Kontrast dazu bildet seine ausgesprochen magere Erfolgsbilanz.
Der Cavaliere machte Versprechungen im Stil von «Make Italy great again». An der Macht aber ging es ihm nur um sich selbst. Mit massgeschneiderten Gesetzen versuchte er, sich und sein Umfeld vor der Justiz zu schützen. Eine auf seinen Anwalt zugeschnittene Vorlage wurde von Opposition und Medien als «Rettet Previti»-Gesetz verspottet.
Der wirtschaftliche Aufschwung für das «Bel-Paese» aber liess auf sich warten. Italien lebte konsequent über seinen Verhältnissen. Die Blase platzte 2011. Im Gefolge der Finanz- und der Griechenlandkrise drohte der Staatsbankrott. Silvio Berlusconi wurde von Staatspräsident Giorgio Napolitano faktisch entmachtet und durch den Ökonomen Mario Monti ersetzt.
Tatsache ist, dass die Italienerinnen und Italiener sich von ihm immer wieder um den Finger wickeln liessen. Lag es am Showtalent des einstigen Kreuzfahrt-Entertainers, den billigen Witzchen? Daran, dass in Italien eine «Bella Figura» oftmals mehr zählt als Substanz? Oder am naiven Glauben, ein vermeintlich erfolgreicher Unternehmer bringe auch das Land vorwärts?
In seinen letzten Jahren verkam Berlusconi zur Lachnummer. Mit dem transplantierten Haar und dem gelifteten Gesicht sah er aus wie eine Wachsfigur. Die «Bunga Bunga»-Sexpartys in seinen Villen und die immer jüngeren Frauen an seiner Seite liessen ihn wie die Karikatur eines Pappagallo an der Strandpromenade von Rimini erscheinen.
Sein Traum, Staatspräsident zu werden, blieb ihm versagt. Dennoch blieb «il Berlusca» bis zuletzt ein Machtfaktor, auch wenn Forza Italia nur noch ein Abklatsch der einstigen Grösse war. Im letzten Jahr trug er zum Sturz des parteilosen Regierungschefs Mario Draghi und zum Wahlsieg der extremen Rechten mit Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bei.
Sein «Leistungsausweis» als Populist hat Nachahmer in anderen Ländern gefunden. Das betrifft nicht zuletzt Donald Trump. Er hat seine Bewunderung für Berlusconi nicht verheimlicht. Sie haben manches gemeinsam, etwa die Vermischung von realem und Show-Business. Und auch Trump wurden Kontakte zur New Yorker Unterwelt nachgesagt.
Wie einst Berlusconi schürt Trump Ressentiments gegen «Kommunisten» und die «linke» Justiz, mit der beide zahlreiche Probleme hatten und haben. Berlusconi allerdings wurde trotz zahlreicher Verfahren nur einmal verurteilt, wegen Steuerbetrug. Wegen seines Alters musste er nicht ins Gefängnis. Er leistete Sozialdienst in einem Heim für Demenzkranke.
Sein Nachfolger Mario Monti bezeichnete ihn im Interview mit der «Zeit» als «Vater aller Populisten». Im Vergleich mit der Ruchlosigkeit eines Donald Trump wirkt Berlusconi fast harmlos. Und doch hat er Lügen und Angriffe auf den Rechtsstaat salonfähig gemacht. Dies macht den Berlusconismus in letzter Konsequenz zur Gefahr für die liberale Demokratie.
Ebenfalls lamentabel der Gegensatz von Nord- und Süditalien, von dem man aktuell nicht mehr so viel hört. Aber das der Süden der ewige Mafia-Sumpf und wenig innovativ zu sein scheint, daran hat sich in den letzten Jahrzehnten offenbar nicht viel geändert 🥴 🇮🇹.