Wenigstens das Bier ist noch einigermassen billig. Die Preise seien gegenüber dem letzten Jahr nur um etwa vier Prozent gestiegen, rechnete CNN Business vor. Ansonsten ist so ziemlich alles ziemlich teuer geworden, was die Amerikanerinnen und Amerikaner für das Barbecue am 4. Juli benötigen: Würstchen, Hackfleisch, Brötchen, Salat, Ketchup.
Der Independence Day 2022 findet nicht nur aus diesem Grund in gedrückter Stimmung statt. Die Vereinigten Staaten sind eine zerrissene Nation. Die politische Polarisierung, die seit Jahrzehnten im Gang ist, hat sich verschärft. Rechts und links driften immer stärker auseinander. Selbst auf den Obersten Gerichtshof ist kein Verlass mehr.
Eine AP-Umfrage reflektiert den tiefen Pessimismus über die Lage der Nation und ihrer Wirtschaft. Nicht weniger als 85 Prozent der Befragten gaben an, die USA bewegten sich in die falsche Richtung. Für einmal sind sich die Anhänger beider Parteien weitgehend einig. Selbst 78 Prozent der Demokraten, die den Präsidenten stellen, sind unzufrieden.
Das sind schlechte Nachrichten für Joe Biden und seine Partei für die Midterms im November. Vieles erinnert an das «Malaise» in den 1970er Jahren unter dem glücklosen Präsidenten Jimmy Carter, als die USA unter einer Stagflation litten und den verlorenen Vietnamkrieg verdauen mussten. In mancher Hinsicht aber ist die Lage weit schlimmer als damals, primär politisch und gesellschaftlich.
In der AP-Umfrage unterstützten nur 28 Prozent den Umgang von Präsident Joe Biden mit der Wirtschaft. Vor einem Jahr waren es 51 Prozent. Dabei geht es nicht nur um Hotdogs und Hamburger. Derzeit ballen sich mehrere Probleme: hohe Inflation, steigende Haus- und Mietpreise wegen der Zinserhöhung der Notenbank, ein «Bärenmarkt» an den Börsen.
Sie schlagen bis in die Mittelschicht durch. Obwohl es in den USA an Personal mangelt, wegen der teilweise pandemiebedingten «Big Resignation», und viele höhere Löhne herausholen, können diese mit den explodierenden Preisen nicht Schritt halten. Der Benzinpreis ist das grösste Politikum, aber er ist bei Weitem nicht das einzige.
Vielen Menschen machen die gestiegenen Hypothekarzinsen und Mieten zu schaffen. Auf Essen und Auto können sie nicht oder nur bedingt verzichten, also sparen sie beim Wohnen und riskieren, auf der Strasse zu landen. Sie leben in billigen Motels, in ihren Autos oder suchen Zuflucht in Obdachlosenheimen, heisst es in einer Reportage der «Washington Post».
Das Phänomen der Amerikaner, die sich von Paycheck zu Paycheck hangeln und kaum Reserven bilden können, ist nicht neu. Nun aber treffe es Familien, die solide und gut bezahlte Jobs hätten und sich trotzdem keine Wohnung leisten könnten, so die «Washington Post». Wer aber keine feste Adresse hat, droht erst recht durch die Maschen zu fallen.
Die Zinserhöhungen der Notenbank Fed würden für eine Abkühlung bei den Hauspreisen sorgen, doch bis sich dies auf die Mieten auswirke, werde es dauern. Für viele Menschen fühlt es sich an wie die Grosse Depression in den 1930er Jahren, einfach auf höherem Niveau. Sozialer Sprengstoff steckt in dieser Entwicklung allemal.
Wird Donald Trump 2024 erneut antreten? Der Widerstand gegen den Ex-Präsidenten nimmt auch in den eigenen Reihen zu. Ein Grund sind die Hearings im Kongress zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Sie zeigen, dass Trump an jenem Tag einen Putsch geplant hatte, um einen demokratisch legitimierten Machtwechsel zu verhindern.
Einige Trump-Verbündete geben laut CNN im vertraulichen Gespräch zu, dass die Hearings schädlicher seien als erwartet. Was auch daran liegt, dass sie von den Republikanern im Kongress boykottiert werden und nur zwei Trump-Gegner im Ausschuss Einsitz genommen haben. Dieser kann die Fakten und Zeugen ungefiltert präsentieren.
Trump erwägt deshalb gemäss dem CNN-Bericht eine Art Flucht nach vorn. Er könnte demnach seine Kandidatur für 2024 schon in dieser Woche ankündigen, statt wie geplant nach den Zwischenwahlen im November. Dabei gehe es ihm auch darum, die Kritiker in der Partei zum Schweigen zu bringen und mögliche Rivalen in die Schranken zu weisen.
Für diese dürfte es schwierig werden, falls der notorisch wankelmütige Trump will, trotz der Enthüllungen in den 1/6-Hearings. Eine erneute Kandidatur aber würde das Land einer unsäglichen Zerreissprobe aussetzen, obwohl sich Demokraten und Republikaner so weit auseinander gelebt haben, dass sie kaum noch auf dem gleichen Planeten leben.
Präsident Joe Biden und seine Regierung wirken angesichts von Polarisierung und Blockade geradezu hilflos. Ihnen droht im November ein «Blutbad», denn die Wechselwähler in den Suburbs tendieren gemäss CBS News zu den Republikanern, weniger aus Überzeugung, sondern wegen des Linksdralls der Demokraten. Was der Partei zu denken geben müsste.
Der Supreme Court in Washington war lange eine Institution, zu der die Amerikaner ein gewisses Vertrauen hatten. Unpolitisch war er nie, doch seit Donald Trump drei konservative Richterinnen und Richter ernennen konnte, haben sich die Gewichte massiv verschoben. Das zeigen mehrere Urteile des letzte Woche zu Ende gegangenen Sitzungsjahrs.
Erst kassierte der Oberste Gerichtshof ein Gesetz im Bundesstaat New York, welches das Waffentragen in der Öffentlichkeit einschränken wollte. Dann machte er das seit fast 50 Jahren bestehende nationale Recht auf Abtreibung rückgängig. Und schliesslich untersagte er der Umweltbehörde EPA, Grenzwerte für Treibhausgasemissionen festzulegen.
In allen Fällen berief sich die rechte Mehrheit auf die Verfassung der Vereinigten Staaten. Diese stammt in ihren Grundzügen aus dem Jahr 1789. Seither wurde sie mehrfach ergänzt, aber nie revidiert. Ein Dokument aus dem 18. Jahrhundert soll demnach auf Probleme des 21. Jahrhunderts, die damals kein Thema waren, angewendet werden.
In früheren Zusammensetzungen löste der Supreme Court dieses Dilemma, indem er die Verfassung flexibel interpretierte. Die «Originalisten» aber legen sie so wörtlich aus wie fundamentalistische Christen die Bibel (eine nicht nur zufällige Parallele). Und mehr Ungemach droht, denn im nächsten Jahr will das Gericht andere kontroverse Fälle anhören.
Sie betreffen etwa Quoten für Minderheiten an Universitäten und die Kompetenz der Gliedstaaten bei nationalen Wahlen. In beiden Fällen steckt Sprengstoff, und für Clarence Thomas, den Rechtsaussen am Supreme Court, stehen selbst die «Ehe für alle» und Verhütungsmittel zur Disposition. Damit würde das oberste Justizorgan der USA zum Player im Kulturkampf werden.
Die USA haben schlimmere Zeiten erlebt, allen voran den Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert. Dennoch hat man das Gefühl, das Land bewege sich erneut auf einen Abgrund zu. Die Frage stellt sich, ob die USA rechtzeitig die Kurve finden und sich wieder einmal vor selber retten können. Allzu viel Grund für Optimismus gibt es an diesem 4. Juli nicht.