Der amerikanische Wahlkampf wurde in den letzten Tagen dominiert von der Frage, welche Wählergruppe für welchen Kandidaten stimmen werde. Das Trump-Lager freut sich darüber, dass mehr Schwarze, mehr Hispanics und vor allem mehr junge Männer sich für den Ex-Präsidenten entscheiden werden. Täglich wurden triumphierend Stimmen-Zuwächse in diesen Gruppen vermeldet, und deshalb sehen sich die Republikaner nach der verlorenen Debatte wieder als sichere Sieger.
Beinahe vergessen wurde in diesen Spekulationen die wichtigste Wählergruppe überhaupt: die Frauen. Sie machen 52 Prozent aller Stimmen aus, und bei ihnen hat Kamala Harris einen bedeutend grösseren Vorsprung als Trump bei den Männern. Je nach Umfrage beträgt der Vorsprung der Vize-Präsidentin bei den Frauen zwischen 14 und 16 Prozent. Trumps Vorsprung bei den Männern liegt nur bei 11 Prozent.
Bei genauerer Betrachtung ist dieser Vorsprung noch deutlicher. 69 Prozent der jungen Frauen (18 bis 29) wollen für Harris stimmen, und auch bei den jungen Männern liegt der Anteil bei 45 Prozentpunkten. Bei den gewerkschaftlich organisierten Frauen hat Harris gar mit 32 Prozentpunkten die Nase vorn.
Was möglicherweise am 5. November den Ausschlag geben wird, ist die Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Frauen auch zur Urne gehen werden, deutlich grösser ist als bei den Männern, vor allem bei den jungen Männern, die von Trump speziell umworben werden.
Harris kann sich auch auf prominente weibliche Stimmen aus dem konservativen Lager abstützen, so etwa auf Liz Cheney. Obwohl sie in der Abtreibungsfrage nicht auf der Linie mit den Demokraten politisiert, tourt sie derzeit mit Harris durch die Swingstates und wirbt für die Vize-Präsidenten. «Wir müssen dem Frauenhass von Donald Trump und J.D. Vance entschieden entgegentreten», wird sie von der «New York Times» zitiert.
Gegenüber der «Financial Times» hat sich Cheney wie folgt geäussert: «Die Abtreibungsfrage sollte nicht entlang der Parteilinien entschieden werden. Viele von uns sind gegen die Abtreibung, aber wir haben auch gesehen, dass die Gesetze in den einzelnen Bundesstaaten den Frauen zu wenig Schutz bieten.»
Anders als Hillary Clinton vor acht Jahren stellt Harris die Gender-Frage bewusst in den Hintergrund. Laphonza Butler, Senatorin aus Kalifornien und eine enge Freundin von Harris, erklärt, weshalb: «Die Leute können ja mit ihren eignen Augen sehen, dass sie eine Frau ist. Sie konzentriert sich auf das Wesentliche – und das ist weder ihre Rasse noch ihr Geschlecht. Es geht darum, was den Amerikaner derzeit am meisten am Herzen liegt. Deshalb ist sie auch derzeit die ideale Leaderin für das Land.»
Die Gender-Frage steht denn auch nicht im Vordergrund. Weit bedeutungsvoller ist die Abtreibungsfrage. Seit der Supreme Court vor rund zwei Jahren das Urteil im Fall von «Roe v. Wade» und damit auch die Legalisierung der Abtreibung auf nationaler Ebene aufgehoben hat, haben die Demokraten fast alle wichtigen Wahlen gewonnen. Eine klare Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner will, dass in dieser Frage die Frauen und nicht die Politiker das Sagen haben.
Nicht das Geschlecht hat deshalb die Polarisierung der Stimmen nach Geschlecht bewirkt. Christine Matthews, eine Wahlkampf-Managerin für die Republikaner, erklärt daher in der «New York Times»: «Der Grund liegt darin, dass Trump und Vance so extrem sind. Das hat diese grosse Kluft bei den Geschlechtern bewirkt.»
Die Abtreibungsfrage hängt wie ein Klotz am Bein der Republikaner. In 13 Bundesstaaten ist die Abtreibung heute untersagt, teilweise selbst im Fall von Vergewaltigung und Inzest. In einigen Bundesstaaten wird am 5. November auch über Referenden abgestimmt, welche die harten Abtreibungs-Gesetze wieder rückgängig machen wollen.
In mehreren Bundesstaaten, darunter auch in konservativen wie Kansas und Ohio, sind solche Referenden bereits zugunsten der Abtreibungs-Befürworter ausgefallen. Die Demokraten hoffen daher, dass sie auch am 5. November davon profitieren können, so etwa im Bundesstaat Arizona, einem hart umkämpften Swingstate. Optimisten hoffen gar, dass Florida wieder demokratisch wählen wird, denn dort wird über ein sehr hartes Gesetz abgestimmt, das Gouverneur DeSantis durchgeboxt hat.
Trump hat sich mit seinen widersprüchlichen Aussagen zur Abtreibung in dieser Frage völlig unglaubwürdig gemacht. Einmal prahlt er damit, dass er die Richter ernannt hat, welche «Roe v. Wade» aufgehoben haben. Dann wiederum lässt er seine Frau Melania in ihren Memoiren ein Plädoyer für die Selbstbestimmung der Frauen halten. Sein Vize Vance ist als knallharter Abtreibungsgegner bekannt, und seine Äusserungen über «kinderlose Katzenfrauen» haben den Republikanern nicht wirklich geholfen – auch nicht der lächerliche Anspruch des Ex-Präsidenten, er werde «der Beschützer der Frauen» sein.