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Bidens Alter: Ezra Klein nennt 10 Gründe, darüber zu sprechen

US-Präsident Joe Biden
Bild: keystone/ watson
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10 Gründe, weshalb wir wieder über Bidens Alter sprechen müssen

In der «New York Times» hat Ezra Klein die Diskussion um einen allfälligen Rücktritt des Präsidenten neu lanciert.
26.02.2024, 16:33
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Ezra Klein ist zwar noch keine 40 Jahre alt. Er gehört aber bereits jetzt zu den einflussreichsten Polit-Journalisten der USA. Er war Mitbegründer und Chefredaktor des Newsportals «Vox», arbeitete für die «Washington Post» und hat mit «Der tiefe Graben» einen viel beachteten Bestseller über den Zustand der amerikanischen Gesellschaft verfasst. Heute ist er für die «New York Times» tätig, wo er für den Podcast «The Ezra Klein Show» zuständig ist.

Ezra Klein macht einen Podcast für die New York Times
Hat die Biden-ist-zu-alt-Diskussion neu lanciert: Ezra Klein.

In ebendiesem Podcast hat Klein kürzlich die Diskussion neu entfacht, ob Joe Biden auf eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt verzichten soll oder nicht. Obwohl er Biden persönlich sehr schätzt und grossen Respekt vor dessen Leistung in den vergangenen Jahren hat, legt Klein dem Präsidenten nahe, zu verzichten. Er nennt dafür zehn Gründe. Hier sind sie:

1. Biden sieht ganz einfach zu greisenhaft aus

Ja, die Wirtschaft boomt, die Koalition gegen Putin hält (noch), neue Industriejobs werden massenhaft geschaffen, Medikamente werden billiger – das alles stimmt, doch die Amerikaner kaufen es Biden nicht ab. Seine Umfragewerte sind unterirdisch, sie sind noch schlechter als seinerzeit bei Donald Trump und Barack Obama.

Es mag zutreffen, dass Umfragen zu diesem Zeitpunkt noch wenig aussagen. Doch sollten sie sich in den kommenden Wochen nicht verbessern, dann haben die Demokraten ein Problem. Dann wird es sehr ernst. «Wir haben den Punkt, an dem Umfragen keinen Aussagewert haben, überschritten», so Klein.

2. Ist eine Wahl durch den Parteitag nicht undemokratisch?

Die Präsidentschaftskandidaten werden normalerweise durch die Vorwahlen gekürt. Doch das muss nicht sein. Abraham Lincoln und Franklin Roosevelt, zwei der bedeutendsten US-Präsidenten, wurden erst am Parteitag ausgewählt. Die Demokraten haben demnach grundsätzlich die Möglichkeit, am 22. August an ihrem Parteitag den Delegierten die Wahl zu überlassen.

1968 haben sie dies ebenfalls in Chicago getan – und sind gegen eine Wand gefahren. Nach einer chaotischen Diskussion haben sie im letzten Moment Hubert Humphrey erkoren, der dann prompt die Hauptwahl gegen Richard Nixon verlor.

FILE - President Franklin D. Roosevelt speaks on the radio from the Oval Room of the White House, Feb. 27, 1941. (AP Photo/Henry Griffin, File)
President Franklin D. Roosevelt
Wurde am Parteikonvent gekürt: Franklin Roosevelt.Bild: keystone

Doch solch ein Debakel muss sich nicht wiederholen. 1968 herrschten auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges ganz andere Bedingungen. Auch der Vorwurf, eine Last-minute-Wahl durch den Parteitag sei undemokratisch, lässt Klein nicht gelten. Er benutzt dazu den folgenden Vergleich: Primärwahlen seien direkte, eine Delegiertenwahl sei repräsentative Demokratie. Und so toll sei die direkte Demokratie der Vorwahlen nicht, so Klein, weil sich bloss eine verschwindende Minderheit daran beteilige.

3. Aber Biden hält doch die Demokraten zusammen?

Tatsächlich ist es Joe Biden bisher erstaunlich gut gelungen, die notorisch zerstrittenen Demokraten vor selbstmörderischen Infights zu bewahren. Obwohl er eher dem rechten Flügel der Partei zugeordnet wird, halten ihm auch die Progressiven die Stange. Brechen also die parteiinternen Streitereien sofort wieder auf, wenn Biden die Bühne verlässt?

Nein, antwortet Ezra Klein. «Was derzeit die Demokratische Partei zusammenhält, ist nicht Joe Biden, es ist Donald Trump.» Auch bei einer Wahl am Parteitag würde sich dies nicht ändern und die demokratische Geschlossenheit würde nicht zerbrechen.

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Video: watson/lucas zollinger

4. Das Problem Kamala Harris

Vizepräsidenten und -präsidentinnen sind normalerweise gesetzt, als Nachfolger eines abtretenden Amtsinhabers nominiert zu werden. Bidens Vizepräsidentin Kamala Harris hat jedoch ein grosses Problem: Sie schneidet in Umfragen noch schlechter ab als ihr Boss.

Klein begegnet diesem Einwand gleich doppelt: Erstens sei Harris weit beliebter als dargestellt. Bei einem direkten Vergleich mit Trump schneidet sie deutlich besser ab als die als Biden-Ersatz genannten Favoriten wie Gretchen Whitmer oder Gavin Newsom.

Vice President Kamala Harris speaks about reproductive rights at Fountain Street Church in Grand Rapids, Mich., Thursday, Feb. 22, 2024. (Rebecca Particka/The Grand Rapids Press via AP)
Noch ungeliebter als ihr Boss: US-Vizepräsidentin Kamala Harris.Bild: keystone

Vor allem aber ist Harris als Nachfolgerin von Biden keineswegs gesetzt. Der Präsident selbst musste dies am eigenen Leib erfahren. Er war zwar acht Jahre lang Barack Obamas Vize. 2016 haben die Demokraten jedoch Hillary Clinton nominiert.

5. Wie gross ist die Chaos-Gefahr?

Sie besteht, wie das erwähnte Beispiel 1968 zeigt. Doch es bietet sich auch eine riesige Chance, frischen Wind in den Kampf der beiden alten Männer zu bringen. «Die Menschen könnten sehr begeistert reagieren, wenn ein neues Gespann gekürt würde», so Klein.

6. Und was, wenn die Neuen eine Leiche im Keller haben?

Auch diese Gefahr hält Klein für überschaubar. Sollten die Demokraten beispielsweise jemanden wie Amy Klobuchar, die Senatorin aus Minnesota, nominieren – übrigens auch meine Favoritin –, dann bestünde diese Gefahr nicht, da sie vor vier Jahren als Präsidentschaftskandidatin bereits auf Herz und Nieren geprüft worden sei. Zudem hält Klein fest, dass er sich nicht vorstellen könne, dass eine Kandidatin oder ein Kandidat mehr Leichen im Keller habe, als in Mar-a-Lago begraben sind.

7. Und was ist mit den weissen Arbeitern?

Biden ist es tatsächlich gelungen, zumindest einen Teil der zu Trump abgewanderten weissen Arbeiter in den alten Industriestaaten zurückzugewinnen. Schliesslich stammt er aus Scranton, einer typischen Industriestadt in Pennsylvania. Doch Klein hält dieses Wählersegment für überschätzt. Es komme darauf an, die Mehrheit zu gewinnen, egal in welchem Segment, lautet seine Replik. Und überhaupt: «Biden hat vor allem bei den Wählern mit einem Collegeabschluss dazugewonnen.»

8. Wie steht es mit der nationalen Bekanntheit?

Dieser Einwand macht Klein überhaupt keine Sorgen. Zwei Monate seien mehr als ausreichend, um einem neuen Zweigespann nationale Bekanntheit zu verschaffen. Überhaupt dauere der amerikanische Wahlkampf viel zu lange. «Und ich bin mir nicht sicher, ob die Kandidaten davon profitieren oder nicht», so Klein.

9. Was ist mit dem Krieg im Nahen Osten?

Für Klein ist dies die grösste Gefahr für Biden überhaupt. In Michigan, einem wichtigen Swingstate, droht die knappe demokratische Mehrheit zu kippen, denn in diesem Bundesstaat leben überproportional viele Einwanderer aus arabischen Ländern. Diese sind wütend über Bidens Verhalten gegenüber Israel. Benjamin Netanjahu spiele Katz und Maus mit Biden, bemängelt auch Klein. «Netanjahu ein bisschen zu kritisieren reicht nicht mehr», so Klein, der übrigens Jude ist. «Biden muss seine Politik in der Substanz verändern.»

10. Was spricht überhaupt noch für das Gespann Biden/Harris?

Das beste Argument sei, dass Biden/Harris ein starkes Gespann bilden würde, so Klein. Doch niemand vertrete diese These derzeit noch. Natürlich könnte sich das ändern: Biden könnte im Wahlkampf aufblühen. Er könnte eine brillante State-of-the-Union-Rede halten. Die Öffentlichkeit könnte endlich zur Kenntnis nehmen, wie gut er die Wirtschaft vor einer schweren Rezession bewahrt habe etc.

Bisher ist all dies jedoch nicht eingetroffen. Im Gegenteil: Bidens Pressekonferenz nach der Veröffentlichung des Hur-Reports, wo er als «liebenswürdiger alter Mann mit einem Gedächtnisproblem» dargestellt wurde, war eine Katastrophe. Der Präsident hat auch auf das traditionelle Super-Bowl-Interview verzichtet und damit auf die Möglichkeit, sich an das grösste TV-Publikum zu wenden, das die USA je gesehen hat.

Es ist zwar ein bis zum Überdruss gehörtes Argument, aber es trifft leider auch zu: Die nächsten US-Wahlen werden historisch sein. Sollte Trump ein zweites Mal ins Weisse Haus gelangen, werden die Folgen für die Demokratie und die Weltordnung unabsehbar, aber auf jeden Fall katastrophal sein. Deshalb plädiert Klein eindrücklich dafür, dass – sollten sich die Umfragewerte nicht ändern – die Demokraten spätestens im Mai/Juni handeln müssen. Dann werden die Würfel gefallen sein. Letztlich ist es jedoch nur Joe Biden selbst, der die Konsequenzen ziehen muss. Ihn zum Rücktritt zu zwingen, ist de facto unmöglich.

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125 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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FreudigLesend
26.02.2024 17:28registriert Dezember 2023
Nur weil man Biden für zu alt für das Amt hält ist man nicht automatisch für Trump. Das wird hier in der Kommentarspalte wohl ab und an vergessen.
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butlerparker
26.02.2024 16:54registriert März 2022
Man sollte besser mehr über den Charakter von DT als über das Alter von Biden sprechen,zumal ja DT nicht wesentlich jünger ist+sich auch bei ihm die Aussetzer häufen,wobei bei DT weiß man nie,ist es alters-oder charakterbedingt,weil ja eigentlich jede Äußerung ein Aussetzer ist.

"An den Taten sollt ihr sie erkennen"nicht an den Worten, steht schon in der Bibel+da hat Biden eine sehr gute Bilanz

es ist ja nicht so,als ob der Biden jedes Detail der Regierungspolitik kennt+entscheidet,aber er gibt die Richtung vor+das bisher ausgezeichnet.

Wie meinen die musl. US-Bürger,wie DT Nahostpol macht?
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750GT
26.02.2024 18:27registriert November 2016
Aber Biden hat immer noch Vernunft, Stil und Klasse! Das fehlt dem Donut Trump komplett und vieles mehr noch!
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