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Analyse

Das bedeuten die Machtkämpfe für die jungen Menschen im Sudan

KHARTOUM, SUDAN - APRIL 27: A young girl and a group of women is relax in the early morning along a street where the protests against the military junta are being held on April 27, 2019 in Khartoum, S ...
2019 protestierten junge Menschen noch für eine Demokratiebewegung im Sudan – jetzt stürzt das Land durch die gewaltsamen Machtkämpfe ins Chaos.Bild: Getty Images Europe
Analyse

Das bedeuten die Machtkämpfe für die jungen Menschen im Sudan

30.04.2023, 16:5630.04.2023, 16:56
Anne-Kathrin Hamilton / watson.de
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Tausende Menschen befinden sich auf der Flucht. Berichte häufen sich über zahlreiche Wohnungseinbrüche, Plünderungen von Häusern und Geschäften sowie an Kontrollpunkten entwendete Autos. Die Kämpfe im Sudan stürzen das Land ins Chaos. UN-Generalsekretär António Guterres appellierte vor dem Sicherheitsrat für ein Ende der Gewalt und warnte vor dem Ausbruch eines vollumfänglichen Krieges.

News Themen der Woche KW15 News Bilder des Tages 230415 -- KHARTMOU, April 15, 2023 -- This photo taken on April 15, 2023 shows smoke rising in Khartoum, capital of Sudan. Heavy gunfire was heard on S ...
Rauch über der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Bild: www.imago-images.de

Zu den Leidtragenden gehört – wie so oft in militarisierten Konflikten – vor allem die Zivilbevölkerung. Besonders auch Kinder und junge Menschen seien von den Kämpfen betroffen, meint Afrika-Experte Gerrit Kurtz. «Es gibt bereits Berichte von neun toten Kindern, aber die Zahl ist sicherlich schon höher», sagt der Politikwissenschaftler von der «Stiftung Wissenschaft und Politik» im Gespräch mit watson.

Gefechte und Versorgungskrise gefährden vor allem Kinder und Jugendliche

Inmitten der Gefechtszonen sind laut Kurtz auch Kinder in den Schulen «gefangen» – sprich, sie wagen sich schlichtweg aufgrund der Kämpfe nicht raus. Dazu machen sich immer mehr die Versorgungsschwierigkeiten bemerkbar. «Es ist heiss im Land und es mangelt an Wasser sowie Essen», erklärt der Experte.

Und das bekommen die Kleinsten und jungen Menschen zu spüren. Aber es gibt laut Kurtz noch weitere Gefahren – vor allem für Mädchen und junge Frauen. Dem Experten zufolge gibt es Berichte von zunehmender geschlechterbezogener Gewalt vor Ort.

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Geflüchtet aus dem Sudan: Mütter und ihre Kinder an einer Busstation im ägyptischen Assuan.Bild: www.imago-images.de

Gefahr von sexualisierter Gewalt steigt

Die Lage im Sudan werde immer unsicherer, gerade für Mädchen und junge Frauen. Kurtz sagt dazu:

«Wenn überwiegend junge Männer testosterongesteuert mit Waffen durch die Gegend laufen, ist das sehr gefährlich für junge Frauen.»

Auch auf der Flucht seien sie vermehrt sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Medienberichte sprechen von etwa 10'000 Menschen, die sich derzeit auf der Flucht befinden sollen. Laut Kurtz sei diese Zahl zu gering. Ihm zufolge gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass etwa 20'000 Menschen allein in Gebiete südlich der sudanesischen Hauptstadt Khartum geflohen sind.

RSF setzt wohl Kindersoldaten ein

Auch junge Männer begeben sich auf die Flucht, meint Kurtz. Bisher liegen ihm keine Berichte vor, dass es zusätzliche Rekrutierungen der Konfliktparteien gegeben hätte. Ausserdem schliessen sich junge Männer wohl nicht im erhöhten Masse freiwillig den Kämpfen an.

Gerrit Kurtz arbeitet in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten bei der «Stiftung Wissenschaft und Politik»
Gerrit Kurtz arbeitet in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten bei der «Stiftung Wissenschaft und Politik»Bild: swp

Was Kurtz allerdings ins Auge gesprungen sei, ist ein Video der paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF).

Er sagt:

«Auf den Videos der RSF, die sie auf ihrem offiziellen Kanal veröffentlichen, sind ganz offensichtlich Minderjährige in deren Uniform mit Waffen zu sehen. Sprich, sie setzen wohl auch Kindersoldaten bei den Gefechten ein.»
(170513) -- KHARTOUM, May 13, 2017 () -- Sudan's Rapid Support Forces (RSF) gather during the inauguration in Khartoum, Sudan, May 13, 2017. Sudanese President Omar al-Bashir on Saturday directed ...
Die paramilitärische Gruppe Rapid Support Forces (RSF) schreckt offenbar auch nicht vor Kindersoldaten zurück.Bild: imago-images.de

Im Sudan will De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan, der auch Oberbefehlshaber der Armee ist, mithilfe des Militärs seinen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo entmachten, den Anführer der RSF. Die beiden hatten die Führung des Landes durch zwei gemeinsame Militärcoups 2019 und 2021 übernommen. 2018 hoffte die Jugend im Sudan noch auf einen demokratischen Wandel.

Jugend im Sudan setzt sich für eine Demokratiebewegung ein

Von den rund 46 Millionen sudanesischen Einwohner:innen ist die Mehrheit noch jung. «Und genau diese jungen Menschen haben sich damals massiv in der Demokratiebewegung eingebracht», erklärt Kurtz.

Auch jetzt – inmitten der Gefechte – bleibt die Jugend aktiv im Land. Laut Kurtz kümmern sie sich etwa um sichere Fluchtwege aus den umkämpften Gebieten oder versuchen, die Menschen mit Lebensmitteln sowie Arzneimitteln so gut wie möglich zu versorgen.

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In den umkämpften Gebieten werden Wasser, Lebensmitten und Medikamente knapp.Bild: keystone

«Junge Menschen übernehmen sehr viel Verantwortung im Sudan und haben viel zu bieten», sagt Kurtz. Die momentane Gewalt im Sudan könnte sich ihm zufolge auch gezielt gegen den steigenden Einfluss der Jugend richten.

Er sagt:

«In den vergangenen Jahren ist der soziale Zusammenhalt im Sudan durch das Engagement der jungen Menschen stark gewachsen. Die Gewalt im Land könnte durchaus darauf abzielen, diesen zu zerstören.»
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2019 feiern Menschen auf der Strasse den Sturz von Omar al-Baschir.Bild: EPA/EPA

Denn bereits die vorangegangene Regierung unter dem Diktator Omar al-Baschir hatte die Macht der Jugend im Land zu spüren bekommen. Er wurde nach lang anhaltenden Proteste 2019 als Staatspräsident des Sudan gestürzt. «Auf die Strassen gingen überwiegend junge Menschen. Allerdings war die darauffolgende zivil-militärische Übergangsregierung nicht das, was sie sich erhofft hatten», sagt Kurtz.

Doch er ist sich sicher: Dieser Mut der jungen Menschen, den man damals bei den Protesten gesehen hat, wird auch noch in Zukunft eine Rolle spielen. Allerdings lege der gewaltsame Machtkampf im Land nun grosse Brocken auf den Weg zur Demokratie. «Ein möglicher Bürgerkrieg wäre für die jungen Menschen hochdramatisch», sagt Kurtz.

Ausgang des Machtkampfes im Sudan ist ungewiss

Nur wenn die Konfliktparteien einsehen, dass keiner von ihnen schnell militärisch siegen kann, sei ein dauerhafter Waffenstillstand möglich. «Doch wenn sie die Chance auf einen Sieg wittern, müssen wir uns auf langanhaltende Kämpfe im Sudan einrichten», prognostiziert Kurtz

UN-Sonderbeauftragter für Sudan, Volker Perthes, stehe nach eigenen Angaben weiterhin in regelmässigem Kontakt mit den rivalisierenden Generälen im Sudan. Sowohl Armee-Oberbefehlshaber al-Burhan als auch RSF-Anführer Daglo würden aber noch immer gegenseitige Anschuldigungen erheben. Damit machen sie wenig Hoffnung auf eine baldige Lösung der Krise.

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UN-Vermittler Volker Perthes (r.) äussert sich besorgt über die Lage im SudanBild: keystone

Perthes sagte dazu bei der Sitzung des Weltsicherheitsrats:

«Es gibt noch keine eindeutigen Anzeichen dafür, dass einer der beiden bereit ist, ernsthaft zu verhandeln, was darauf hindeutet, dass beide glauben, dass ein militärischer Sieg über den Anderen möglich ist. Dies ist eine Fehleinschätzung.»

Perthes fordert beide Seiten auf, den Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts nachzukommen und den Schutz der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur sicherzustellen.

UN-Vermittler traut Waffenruhe nicht

Bezüglich der eigentlich seit der Nacht auf Dienstag geltenden Waffenruhe zog Perthes eine gemischte Bilanz. Die Feuerpause, so mache es den Eindruck, würde zwar bislang «in einigen Teilen» des Landes halten. In der Hauptstadt Khartum aber würden die Kämpfe unter anderem um den Palast der Republik, den internationalen Flughafen und die Hauptquartiere sowie Stützpunkte von Armee und RSF «weitgehend fortgesetzt oder in einigen Fällen intensiviert».

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