Die Affäre um den Rücktritt von Mike Flynn und die vielen unbeantworteten Fragen zu Trumps Russland-Connection haben mehrere Mitglieder der watson-Redaktion in ihrem Glauben bekräftigt, dass das Ende Trumps naht.
Uneinig sind sie sich, wie schnell und auf welche Weise es passieren wird. Vier Szenarien haben sich herauskristallisiert:
Donald Trump beweist täglich, dass er an einer stark ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet. Er tendiert deshalb dazu, sich aller Personen und Umstände zu entledigen, die sein überhöhtes Selbstbild stören.
Das funktioniert, solange man in einem Bereich tätig ist, in dem die narzisstische Persönlichkeitsstruktur hilfreich ist und in dem man Kritik einfach ignorieren und Kritiker sowie Gegner einfach entlassen oder per Anwalts-Armada zum Schweigen bringen kann. Im Showbusiness und in der Vermarktung des Brands Trump mit eigener Firma hatte Trump ein solches für seine Persönlichkeit ideales Setting.
Im Amt des US-Präsidenten sieht das anders aus. Weder die New York Times, noch die Washington Post noch CNN werden Kritik unterlassen oder sich mundtot klagen lassen. Im Gegenteil, Trump-Kritik beschert ihnen Traumquoten und einen beispiellosen Abo-Boom.
Die Justiz, die Trump im Geschäftsleben dank seiner Finanzkraft als Instrument zur Durchsetzung seiner Interessen – «SEE YOU IN COURT» – gegen Konkurrenten einsetzen konnte, verkehrt sich nun ins Gegenteil. In Trumps neuem Betätigungsfeld Politik ist die Justiz aus Gründen der Gewaltentrennung per definitionem das Instrument seiner Gegner, um ihn zu kontrollieren, ihre Interessen gegen seine Interessen – die Erlangung diktatorischer Machtfülle – durchzusetzen.
Trump wird aber aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur nicht in der Lage sein, diese beiden Realitäten zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren. Sogar ganz im Gegenteil, wie die Geschehnisse der vergangenen drei Wochen gezeigt haben. Der Kampf gegen die Justiz, die Medien und ihre Informanten haben in der Administration Trump die allerhöchste Priorität. Das ist logisch, denn sie fügen ihm fortwährend schwerste narzisstische Kränkungen zu, die er nicht ignorieren oder zu seinen Gunsten uminterpretieren kann.
Damit ist die weitere Entwicklung absehbar.
Im Gegensatz zu Berufspolitikern muss Trump seine Wahlversprechen umsetzen, um politische Niederlagen und damit weitere narzisstische Kränkungen zu vermeiden. Dass diese Versprechen politisch, weil nicht finanzierbar oder nicht verfassungsmässig, sehr schwierig durchzusetzen sind, ist dabei noch das kleinere Problem. Das weitaus grössere Problem ist, dass Trump und seine Regierung nicht die geringste Ahnung davon haben, was sie eigentlich tun.
Die Medien und die Justiz werden diesen für einen Narzissten nicht aushaltbaren Umstand kontinuierlich offen legen. Trump wird sich also zunehmend in einen aussichtslosen Abnützungskampf mit diesen beiden Akteuren begeben und anders als Erdogan in der Türkei oder Putin in Russland, wird es ihm nicht gelingen, sie unter Kontrolle zu bringen.
Noch vor Ablauf der ersten Amtszeit muss Trump deshalb mit der Begründung zurücktreten, die USA und ihr politisches System hätten seiner Person nicht genügt.
Es ist der einzige Weg, der finalen narzisstischen Kränkung der Absetzung oder des gesundheitlichen Zusammenbruchs zu entgehen.
«Dinge, die so nicht mehr weitergehen können, werden so nicht mehr weitergehen», pflegte der amerikanischen Ökonom Herbert Simon zu sagen. Er war Berater bei Richard Nixon und wusste also, wovon er sprach. Das Chaos, das Donald Trump in nur rund einem Monat im Weissen Haus angerichtet hat, hätte jedoch selbst Simon umgehauen.
Es geht dabei nicht nur um die lächerlichen Tweets und die schamlose Vermischung von öffentlichen Interessen mit denen des Donald J. Trumps. Es geht auch nicht darum, dass er sich nach wie vor weigert, seine Steuererklärung offenzulegen oder seine Geschäfte in einen Blind Trust, in unabhängige Hände, zu übergeben. Es geht darum, dass er seinen Laden schlicht nicht im Griff hat.
Beispiel Kommunikation: Beim Rücktritt des Sicherheitsberaters Michael Flynn erklärte die unsägliche Kommunikationsberaterin Kellyanne Conway – das ist die mit den «alternativen Fakten» – den Journalisten im Brustton der Überzeugung, der Präsident stehe hinter dem Mann, und zwar hundertprozentig. Gleichzeitig erklärte sein Pressechef Sean Spicer – das ist der, der seit der legendären Parodie durch Melissa McCarthy eine Witzfigur geworden ist – genau das Gegenteil. Bis heute ist auch nicht klar, ob Trump nun Flynn gefeuert hat, oder ob dieser freiwillig zurückgetreten ist.
Verheerend auch die Bilder aus Trumps Nobelressort in Florida. Dort hat der Präsident über das Wochenende den japanischen Ministerpräsidenten empfangen. Als die Meldung über den Start einer nordkoreanischen Langstreckenrakete eintraf, hielt Trump mitten im Restaurant eine notfallmässige Konferenz ab, bei der Helfer mit Smartphones für besseres Licht sorgten, während Clubgäste mit dem Träger des Atomkoffers Selfies schossen. Unglaublich.
Die Bromance Trumps mit Putin stellt alles in den Schatten. Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, dass der 45. Präsident dem australischen Premierminister das Telefon aufhängt – Australien ist der treuste Partner der USA – und gleichzeitig Putins Morde in TV-Interviews verharmlost. Selbst in den Reihen der Republikaner schütteln sie die Köpfe.
In der Russland-Angelegenheit ist bisher erst die Spitze des Eisbergs sichtbar geworden. Wir werden uns für längere Zeit auf weitere, höchst peinliche Enthüllungen gefasst machen müssen. Und spätestens, wenn das berühmt-berüchtigte «golden shower»-Video auftaucht, dann werden auch die Republikaner handeln und ein Impeachment- Verfahren gegen Trump einleiten. Sie haben gar keine andere Wahl.
Seit Donald Trump im Juni 2015 seine Kandidatur für die US-Präsidentschaft bekannt gab, begehen seine Gegner und Feinde konstant den gleichen Fehler: Sie unterschätzen ihn kolossal. Seine innerparteilichen Rivalen belächelten und ignorierten ihn und waren am Ende genauso geschlagen wie seine demokratische Herausforderin Hillary Clinton im letzten November.
Nach knapp vier Wochen im Amt hat Trump eine beeindruckende Liste an Pleiten, Chaos und Skandalen produziert. Seinem Vorgänger Barack Obama ist das in acht Amtsjahren nicht einmal ansatzweise «gelungen». Und trotzdem empfindet man das nagende Gefühl, dass Trump noch immer unterschätzt wird. Das betrifft insbesondere den Rückhalt bei seiner Fangemeinde.
Im Flyover Country zwischen den liberalen Küsten stösst der «Macher» Trump auf Begeisterung. Er habe in vier Wochen schon mehr erreicht als Obama in seiner gesamten Präsidentschaft, jubeln sie in Ohio und Oklahoma. Und ignorieren dabei, dass Obamas Projekte von den Republikanern sabotiert wurden. Während die vielen Dekrete des Donald Trump bei genauer Betrachtung bloss Ankündigungen sind. Den einzigen Erlass, der sofort etwas bewirkte, haben die Gerichte kassiert.
Für seine Fans ist der Präsident ein Geschäftsmann, der in Washington «aufräumen» will und dabei von finsteren Mächten und den bösen Medien behindert wird. Die Republikaner wissen das, deshalb wagen sie den offenen Aufstand gegen den ungeliebten Aussenseiter nicht. Gleichzeitig hoffen sie immer noch darauf, den Staat dank Trump in ihrem Sinne umbauen zu können.
Die Republikaner brauchen die Trump-Basis. Diese hat mehr Geduld, als man denkt, weshalb die Partei bei den Kongresswahlen 2018 mit einem blauen Auge davon kommen dürfte. Danach aber beginnt der Niedergang, denn Trump wird vor allem an einer Leistung gemessen: Er muss die gut bezahlten Mittelstands-Jobs schaffen, die in so grosser Zahl verschwunden sind.
Diese aber kommen nicht zurück. Die Wirtschaft lässt sich von seinen Twitter-Tiraden immer weniger einschüchtern. Ihr «Patriotismus» bezieht sich auf Markt und Money. Irgendwann platzt die Illusion, Trump wird als Kaiser ohne Kleider dastehen. Die Republikaner werden ihn eiskalt fallen lassen, wie sie das schon mit Richard Nixon gemacht haben. Donald Trump aber gibt sich nicht geschlagen, er wird sich als Unabhängiger um seine Wiederwahl 2020 bemühen.
Chancen hat er keine, die gleichen Leute, die ihn heute zujubeln, werden ihn aus dem Amt jagen. Natürlich kann er schon vorher zu Fall kommen, wenn man ihn mit der Hand in der Guetslibüchse erwischt, wie die Amerikaner so schön sagen. Darauf verlassen aber sollte man sich nicht. Denn wie gesagt: Donald Trump wird notorisch unterschätzt.
Eines muss ich vorausschicken. Diese Zeilen sind KEIN Aufruf zur Liquidierung Donald J. Trumps. Das wäre Hochverrat und ein verwerfliches Verbrechen, zumal selbst die leidenschaftlichsten Kritiker des Präsidenten einsehen müssen, dass er auf diesem Weg zum Märtyrer würde und die USA im schlimmsten Fall in einen Bürgerkrieg abgleiten.
Aber dann ist da die Last der Geschichte. Die Amerikaner haben eine Tendenz, unliebsame Präsidenten aus dem Amt zu schiessen. Über 20 Attentate sind bekannt, vier davon waren «erfolgreich»: Abraham Lincoln (†1865), James A. Garfield (†1881), William McKinley (†1901) und John F. Kennedy (†1963). Zwei wurden verletzt: Theodore Roosevelt (🔫1912) und Ronald Reagan (🔫1981). Ausser Lyndon B. Johnson wurde jeder US-Präsident seit John F. Kennedy mit dem Tod bedroht.
Nicht alle, aber die meisten dieser Attentate waren politisch motiviert. Die beiden bekanntesten Fälle fielen in eine Zeit extremer Polarisierung: Lincolns Ermordung wird im Kontext des Sezessionskriegs verortet, jene Kennedys im Kalten Krieg sowie in den Anfängen der Bürgerrechtsbewegung. Und heute? Man muss tatsächlich in die 1960er-Jahre zurückgehen, um ein ähnliches Ausmass an Polarisierung vorzufinden, wie sie Donald Trumps Wahl hervorgerufen (oder sichtbar gemacht) hat.
Zyniker könnten anmerken, dass die Präambel der Unabhängigkeitserklärung von 1776 – ein Text, den die Amerikaner als beinahe so heilig erachten wie die Bibel – die Liquidierung von unliebsamen Präsidenten gut heisst, ja sogar dazu aufruft:
Ist Trump ein Despot? Nein, aber vielleicht wäre er gerne einer. Mit Putin hegt er eine gewisse Bewunderung für einen. Wie Kollege Thiriet oben schreibt, werden Justiz und Medien verhindern, dass er sich wie einer aufführt. Doch das sehen nicht alle so. Der letzte bekannte Anschlag auf das Leben Donald Trumps konnte frühzeitig vereitelt werden. Ist die Vorstellung wirklich so abwegig, dass der nächste Attentäter seinem Ziel näher kommt?
Jetzt seid ihr dran: