International
Analyse

Aus für Kramp-Karrenbauer: Der Osten bleibt Deutschlands «Problemzone»

epa08208947 Christian Democratic Union (CDU) chairwoman Annegret Kramp-Karrenbauer speaks during a press conference after presidium and board meetings at the CDU headquarters in Berlin, Germany, 10 Fe ...
Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag vor den Medien.Bild: EPA
Analyse

Nach AKK-Rückzug: Der Osten bleibt Deutschlands «Problemzone»

Die deutsche Politik kommt nach dem Thüringen-Eklat nicht zur Ruhe. Das bislang prominenteste «Opfer» ist CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Einmal mehr zeigt sich, wie fremd sich Ost und West nach wie vor sind.
10.02.2020, 17:0311.02.2020, 10:22
Mehr «International»

Nach etwas mehr als einem Jahr ist die Ära AKK schon vorbei. Im Dezember 2018 war Annegret Kramp-Karrenbauer zur Chefin der CDU und designierten Nachfolgerin von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewählt worden. Am Montag erklärte die 57-Jährige ihren Verzicht auf die Kanzlerkandidatur. Den CDU-Vorsitz will sie ebenfalls abgeben.

Die Überraschung hält sich in Grenzen. Die Politikerin aus dem beschaulichen Saarland agierte von Beginn an glücklos. In heiklen Situationen (etwa beim Rezo-Video) wirkte sie überfordert. Am CDU-Parteitag in Leipzig im letzten November konnte sich Kramp-Karrenbauer nur halten, indem sie faktisch die Vertrauensfrage stellte. Zum Verhängnis wurde ihr nun das Chaos im Bundesland Thüringen.

AfD parliamentary party leader Bjoern Hoecke, right, shakes hands with Thomas Kemmerich of the Free Democrats, in Erfurt, Germany, Wednesday, Feb. 5, 2020. Kemmerich, a pro-business politician, has be ...
Ein Bild, das viele empörte: Björn Höcke (r.) gratuliert Thomas Kemmerich zu seiner Wahl.Bild: AP

Dort hatte sich letzte Woche der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen von CDU und AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Damit überschritt er eine rote Linie in der deutschen Politik. Zuvor war die Abgrenzung von der AfD eine Art kategorischer Imperativ. Für den Thüringer Landesverband und seinen rechtsradikalen Chef Björn Höcke galt dies erst recht.

Die AfD stichelt

Am Samstag trat Kemmerich mit sofortiger Wirkung zurück. Er hatte schlicht keine Möglichkeit, ohne Einbezug der AfD eine funktionierende Regierung im Erfurter Landtag zu bilden. Wie es nun im östlichen Bundesland weitergeht, ist vollkommen offen. Im Vordergrund steht eine Neuauflage der bisherigen rot-rot-grünen Koalition, doch auch sie hat aus eigener Kraft keine Mehrheit.

Profiteurin des Chaos ist die AfD. Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland meinte, die «thüringischen Freunde» sollten das nächste Mal den bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow wählen, um ihn sicher zu verhindern, «denn er dürfte das Amt dann auch nicht annehmen». Ramelow ist der erste Regierungschef der Linken in einem Bundesland.

Die Thüringer CDU weigert sich bislang, ihm zur notwendigen Mehrheit zu verhelfen. Auch Neuwahlen lehnt sie ab, obwohl Annegret Kramp-Karrenbauer bei einem Treffen darauf drängte. Für Kritiker zeigte sich darin der Autoritätsverlust der CDU-Vorsitzenden. Sie habe es trotz Warnsignalen nicht geschafft, das Debakel von Erfurt zu verhindern.

epa07954796 Prime Minister of Thuringia and top candidate of The Left (Die Linke) party for the state elections Bodo Ramelow attends a The Left (Die Linke) party event on the evening of the Thuringia  ...
Bild: EPA

Eine Umfrage der Zeitung «Bild am Sonntag» brachte ein für AKK verheerendes Ergebnis. Nur 15 Prozent der Befragten meinten, sie sei die Richtige auf dem Chefposten ihrer Partei. 72 Prozent hielten sie für eine Fehlbesetzung. Mit ihrem angekündigten Rücktritt am Montag zieht sie einen Schlussstrich. Verteidigungsministerin will Kramp-Karrenbauer vorerst bleiben.

Nicht mit AfD und Linken

Bei einem kurzen Auftritt vor den Medien betonte sie, es könne für die CDU keine Zusammenarbeit mit der AfD und der Linken geben. Damit offenbarte sie das Dilemma nicht nur ihrer Partei, denn diese beiden Parteien halten die Mehrheit der 90 Sitze im Thüringer Landtag. Eine tragfähige Regierung ohne den direkten oder indirekten Einbezug von Linken oder AfD ist nicht möglich.

Dieser Hang zu den «Extremen» verdeutlicht auch, wie fremd sich der Westen und Osten Deutschlands 30 Jahre nach dem Mauerfall in vielen Bereichen noch immer sind. Viele Menschen in der ehemaligen DDR fühlen sich bevormundet von den «Wessis», die an den Schalthebeln der Macht sitzen, auch im Osten. Ramelow, Kemmerich und Höcke sind «Zuwanderer» aus Westdeutschland.

Mehr Vorbehalte gegen links

Umgekehrt ist die einstige Ostzone für viele im Westen eine Art politische Problemzone, entsprechend gross war das Entsetzen über den Thüringer «Tabubruch». Die Bürgerlichen sind im Osten deutlich konservativer als im Westen. Sie haben wenig Berührungsängste mit der AfD, obwohl diese gerade in den östlichen Ländern deutlich grösser und auch radikaler ist als im Westen.

In der Linken sehen CDU und FDP hingegen nach wie vor in erster Linie die Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED. Sie halten Bodo Ramelow seine kontroversen Äusserungen zum Schiessbefehl an der innerdeutschen Grenze vor. Dass der Regierungschef eine pragmatische Politik verfolgt hat und sich persönlich hoher Beliebtheitswerte erfreut, spielt keine Rolle.

Kommt jetzt der Merz?

Nun weiss niemand so recht, wie es weitergehen soll, in Thüringen und in der CDU. Vielleicht schlägt nun die Stunde von Friedrich Merz, der die Wahl gegen Kramp-Karrenbauer 2018 knapp verloren hatte und seither hinter den Kulissen auf seine Chance lauert. Linke und Grüne warnen bereits vor einem Rechtsruck in der CDU, bis hin zu Koalitionen mit der verschmähten AfD.

Einmal mehr steht damit auch der Fortbestand der «grossen» Koalition in Berlin zur Disposition. In der Not wird sogar die Idee ventiliert, Angela Merkel könnte bei der nächsten Bundestagswahl noch einmal als Kanzlerkandidatin antreten. Darüber freuen könnte sich definitiv nur die AfD.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Berliner Lautsprecherkrieg: Das Dröhn-Duell an der Mauer
1 / 22
Berliner Lautsprecherkrieg: Das Dröhn-Duell an der Mauer
Lärmattacke: "Studio am Stacheldraht" nannte sich die mobile Propagandaeinheit, die West-Berlins Senat kurz nach dem Mauerbau am 13. August 1961 zusammenstellte. Die Lautsprecherwagen richteten sich mit ihren Nachrichten und moralischen Aufrufen direkt an Grenzschützer der DDR. Primäres Ziel war es, die Soldaten durch Appelle an ihr Gewissen davon abzubringen, auf Flüchtende zu schießen. Es entwickelte sich ein Dröhn-Duell zwischen Ost und West. ... Mehr lesen
quelle: ullstein bild / dieter otto
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Merkel legt CDU-Vorsitz nieder – bleibt Kanzlerin bis 2021
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
86 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
smoking gun
10.02.2020 18:06registriert Oktober 2015
1997 stimmte Friedrich Merz gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe.

2000 schlug Merz vor die Rente voll zu besteuern und andererseits das Rentenalter auf 70 zu erhöhen.

2004 sprach sich Merz dafür aus, den Kündigungsschutz zunächst für ältere Arbeitnehmer und später für alle komplett abzuschaffen.

2006 klagte Merz vor dem Verfassungsgericht dagegen, dass Bundestagsabgeordnete ihre Nebenverdienste offen legen sollten.

usw.

Na dann, viel Spass mit dem Typen.
20618
Melden
Zum Kommentar
avatar
Hierundjetzt
10.02.2020 17:28registriert Mai 2015
Die Linke als Nachfolgeorganisation der SED ist weiterhin mit Politkadern der SED durchsetzt, es gibt weiterhin IM in Ihren Reihen, die DDR-Bürger jahrelang einfach so ohne Grund ins Gefängnis gesteckt haben.

Ich kann auch weiterhin keine klare Abgrenzung zur DDR Diktatur erkennen, nur lauwarme relativierende Sprüchlein.

Tut mir leid, aber ich kann weder die SED / Linke noch die AFD ernstnehmen. Und als Alternative taugt eine Ex-Diktaturpartei jetzt einfach nicht.
15082
Melden
Zum Kommentar
avatar
Locutus70
10.02.2020 18:44registriert September 2018
Alleine das die meisten PolitikerInnen und Medien (außer vielleicht Frau Wagenknecht) allein auf den Vorfall vom 5.2. fokosiert sind zeigt, das die immer noch nix begriffen haben.
Seit JAHREN erodieren die beiden ehemaligen Mitte-Links bzw. Mitte-Rechts Parteien und mit ihnen das politische System in Deutschland und kaum einen kümmert es.
Bei Frau Merkel hat man langsam wirklich den Eindruck, sie lebt in einer vollkommen anderen Welt und ihr einziges Ziel ist es, bis 2021 Kanzlerin zu bleiben.
749
Melden
Zum Kommentar
86
Heikle Berichte «beseitigen»: Zeuge belastet Trump vor Gericht schwer

Ein zentraler Zeuge im Prozess gegen Donald Trump um Schweigegeld für eine Pornodarstellerin hat bestätigt, dass er dem früheren US-Präsidenten vor der US-Wahl 2016 bei der Beseitigung unliebsamer Geschichten geholfen hat. Der ehemalige Herausgeber des Trump-nahen Boulevardblattes «National Enquirer», David Pecker, sagte am Dienstag vor Gericht in New York, er habe Mitte August 2015 an einem Treffen mit Trump und dessen Anwalt Michael Cohen teilgenommen.

Zur Story