Eigentlich war Gavin Newsom (57) schon, was die Amerikaner als «toast» bezeichnen – er war politisch erledigt. Seine letzten Jahre als Gouverneur von Kalifornien schienen bloss noch eine mühsame Pflichtübung zu werden. Er musste ein Staatsdefizit ausgleichen, die Schäden der verheerenden Waldbrände in Los Angeles beheben und endlich den dahinsterbenden Hochgeschwindigkeitszug zwischen San Francisco und Los Angeles wieder zum Leben erwecken.
Das politische Image Newsoms war ebenfalls bös angeschlagen. Für die gemässigten Wählerinnen und Wähler war er zu progressiv. Als Kalifornier ist er ein Feindbild aller anderen und zudem gilt er als Schönling ohne Tiefgang. Die Linken wiederum nahmen es ihm übel, dass er quasi über Nacht auf einen Anti-Woke-Kurs umgeschwenkt war, in seinem Podcast gar Steve Bannon zu Wort kommen liess und Präsident Donald Trump freundlich die Hand schüttelte, als dieser nach der Brandkatastrophe Kalifornien besuchte.
Die Unruhen in Los Angeles haben dies alles auf den Kopf gestellt. Um eine angebliche Invasion zu bekämpfen, hat der Präsident 4000 Soldaten der Nationalgarde und 700 Marines nach Los Angeles entsandt. Er tat dies mit einer juristisch mehr als fragwürdigen Begründung und über den Kopf des Gouverneurs hinweg. Damit schlug auch die Stunde von Gavin Newsom. Der Schmusekurs mit dem Weissen Haus nahm ein jähes Ende.
Während sich die Demokraten noch uneinig sind, ob sie – wie es eine amerikanische Redensart besagt – auf dem Hügel der Unruhen in Los Angeles politisch sterben wollen, attackiert Newsom Trump frontal: «Die Demokratie wird direkt unter unseren Augen angegriffen», erklärte Newsom in einer kurzen TV-Rede. «Der Moment der Furcht ist gekommen.»
In bester Clint-Eastwood-Manier fordert Newsom auch Tom Homan heraus, den Mann, der für die Durchführung der Deportationen von illegalen Einwanderern zuständig ist. Dieser hatte angedroht, Newsom notfalls zu verhaften, sollte er seine Arbeit behindern wollen. «Komm und hol mich, tough Guy», beantwortete der Gouverneur die Drohung. «Mir ist das egal. Aber lass die Finger von unschuldigen vierjährigen Mädchen.»
Trump wäre nicht Trump, hätte er sich nicht umgehend in diesen Macho-Kampf eingemischt. Er beschimpfte Newsom auf seiner Plattform Truth Social als «sehr inkompetenten Gouverneur» und forderte ihn auf, sich beim Präsidenten stattdessen für dessen «wunderbare Arbeit» zu bedanken.
Newsom hat derweil auch den Meme-Krieg gegen den Präsidenten aufgenommen. Im Wissen, dass im 21. Jahrhundert Wahlen nicht mehr via traditionelle Medien gewonnen werden, hat er ebenfalls die sozialen Plattformen entdeckt. Er postet jetzt regelmässig auf TikTok und hat dank seiner Attacken auf Trump seine Gefolgschaft um rund 50 Prozent auf gegen 900’000 steigern können. Selbst auf X hat er 60’000 neue Follower gewonnen.
«Das Posten vom Memes hilft zwar kaum, Wechsel-Wähler zu überzeugen. Aber es könnte sehr effektiv sein, die Popularität von Newsom bei den Demokraten zu steigern», erklärt Jon Lord, Politologie-Professor an der Georgetown University, in der «Washington Post».
Bevor Joe Biden seinen unglücklichen Entscheid fasste, für eine zweite Amtszeit anzutreten, war Newsom einer der möglichen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten. Mit seinen Attacken auf Trump bringt er sich wieder ins Spiel. «Das war der Startschuss für seinen Wahlkampf von 2028», erklärt denn auch Steve Bannon.
Newsom setzt auch die Richter in seinem Kampf gegen Trump ein. Er hat Klage eingereicht gegen das seiner Meinung nach nicht verfassungsmässige Verhalten des Präsidenten. Tatsächlich ist umstritten, ob Trump überhaupt die Kompetenz besitzt, ohne Zustimmung des Gouverneurs eines Bundesstaates die Nationalgarde aufzubieten. Er kann dies nur in Ausnahmefälle tun, und dies sei bei den Unruhen in Los Angeles bei weitem nicht der Fall, so die Argumentation von Newsom.
Ein noch krasserer Verstoss gegen die Verfassung könnte die Mobilisierung der 700 Marines darstellen. Deren Funktion ist der Kampf gegen ausländische Feinde, und ein 147 Jahre altes Gesetz, der «Posse Comitatuts Act», verbietet den Einsatz von Soldaten gegen Amerikanerinnen und Amerikaner, es sei denn, der Präsident ruft den «Insurrection Act» an, das Gesetz, das den Einsatz von Truppen gegen einen Aufstand im Inneren erlaubt. So weit ist selbst der Präsident bisher nicht gegangen.
Die Einschätzungen darüber, was sich derzeit in Los Angeles abspielt, widersprechen sich diametral. Für die Demokraten und die Mainstream-Medien handelt es sich dabei um weitgehend friedliche Proteste gegen ein brutales Vorgehen der Ausschaffungsbehörde ICE. Diese verhaftet nicht, wie von Trump einst angekündigt, «gewalttätige Mörder und Vergewaltiger», sondern harmlose Taglöhner. Gezielt erfolgen diese Aktionen zudem in von Demokraten regierten Städten wie Los Angeles.
«Man kann den Wunsch des Weissen Hauses, Gewalt gegen die Demonstranten anzuwenden, beinahe körperlich spüren», stellt Jamelle Bouie in der «New York Times» fest. «Als würde dieses Vorgehen mit einem Schlag die Trump-Regierung in ein Trump-Regime verwandeln und es möglich machen, Amerika mit Gewalt und Angst vor dieser Gewalt zu regieren.»
Trump und die konservativen Medien hingegen sprechen von einer ausländischen Invasion, angeführt von «radikalen linken Spinnern». Auf Fox News befinden sich Bilder von ein paar brennenden Autos und vermummten Demonstranten, welche die Flaggen von Mexiko schwenken, in einer Endlosschlaufe. Dass nur zwei Häuserblocks in Los Angeles von den Demonstrationen betroffen sind, und den paar Hundert Demonstranten Tausende von Polizisten und Soldaten gegenüberstehen, wird tunlichst verschwiegen.
Natürlich steckt dahinter politisches Kalkül. Es ist derzeit jedoch nicht abschätzbar, wessen Rechnung letztlich aufgehen wird. Trump versteht es meisterhaft, den Hass auf Ausländer zu instrumentalisieren. Eine Umfrage der TV-Station CBS vor Wochenfrist hat denn auch ergeben, dass 54 Prozent der Amerikaner die Ausschaffung illegaler Immigranten grundsätzlich befürworten. Das war allerdings noch vor den Unruhen in Los Angeles.
Jüngste Umfragen von YouGov zeigen andererseits, dass bloss 34 Prozent der Amerikaner den Einsatz der Marines in Los Angeles gutheissen. Zudem liegt die Zustimmung für Trumps Politik nach wie vor deutlich unter der 50-Prozent-Marke.
Dazu kommt, dass das Vorgehen gegen die Zuwanderer einen hohen wirtschaftlichen Preis haben wird. Derzeit arbeiten 8,4 Millionen illegale Immigranten in den USA, das entspricht beinahe fünf Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung. Besonders die Landwirtschaft ist auf diese Arbeiter dringend angewiesen, ebenso die Bauwirtschaft und die Pflege. Selbst republikanische Politiker beginnen daher, vor einer übertriebenen Ausschaffung zu warnen.
Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich die Trump-Regierung davon beeindrucken lässt. Die Historikerin Anne Applebaum erklärt in der Zeitschrift «Atlantic», weshalb. Sie glaubt, dass das «revolutionäre Projekt» der Rechten mit der Realität konfrontiert wird und ins Straucheln gerät. Gerade das macht es jedoch so gefährlich.
«Wie seine revolutionären Vorgänger steht Trump jetzt vor der immer gleichen Wahl», stellt Applebaum fest. «Gib auf – oder werde radikaler. Finde Kompromisse – oder treibe die Polarisierung voran. Beruhige das Ganze – oder werde gewalttätig. Wie seine revolutionären Vorgänger hat sich Trump für die Radikalisierung und die Polarisierung entschieden, und er will ganz offensichtlich Gewalt provozieren.»
Der Anführer der „Latinos for Trump“, Hector Luis Valdes Cocho, ein kubanischer Aktivist, der andere dazu aufrief, für Trump zu stimmen, wurde von ICE festgenommen und wartet in einem Internierungslager auf seine Abschiebung.
Für Samstag sind ja US-weite Proteste angesagt in grösseren Städten. Hoffentlich gibt es keine Toten.