So gefährlich ist das Duo Putin/Trump
Masha Gessen ist eine russische Journalistin, die nicht nur die erste Biografie von Wladimir Putin geschrieben hat, sie hat auch von Anfang an erkannt, was für ein diabolischer Mann der russische Präsident ist. Kein Wunder also musste sie bald einmal ihre Heimat verlassen. Sie lebt heute in den USA und arbeitet für den «New Yorker».
Gessen ist eine Passage im Interview zwischen Putin und Tucker Carlson ins Auge gestochen, obwohl das gehypte Interview über weite Strecken bloss langweilig war.
Die betreffende Passage ist jedoch tatsächlich brisant. Es geht dabei um Hitlers Einmarsch in Polen, den Putin wie folgt legitimiert:
Überträgt man diese Aussage auf die aktuelle Situation, dann ist offensichtlich, dass sich Putin bezüglich der Ukraine in der gleichen Lage sieht wie seinerzeit Hitler bezüglich Polen. Gleichzeitig will er sich damit bei Donald Trump einschmeicheln, von dem er hofft, dass er im kommenden Jahr wieder ins Weisse Haus einziehen wird.
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— Nanette van der Laan (@NanettevdLaan) November 9, 2016
Die Hoffnung ist leider berechtigt, ebenso der historische Vergleich. Wie Rachel Maddow, Starmoderatorin bei MSNBC, in ihrem kürzlich erschienen Buch festhält, war die Pro-Hitler-Stimmung in den Dreissigerjahren in den USA deutlich ausgeprägter als bisher angenommen. Der TV-Sender Arte hat derweil eine Dokumentarsendung über den britischen Meisterspion William Stephenson (den wahren James Bond) ausgestrahlt, die ebenfalls dieses dunkle Kapitel erhellt.
Stephenson ist es gelungen, die Stimmung in den USA massgeblich zu beeinflussen. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges unterstützten bloss 17 Prozent der Bürgerinnen und Bürger einen Eintritt Amerikas in den Krieg. Dank Stephensons geschickter Manipulationen waren es bald 60 Prozent, und nur dank dieses Stimmungswandels konnte Präsident Franklin Roosevelt den Briten grosszügige militärische Hilfspakete gegen die Nazis gewähren.
Ersetzt man Hitler durch Putin und Polen durch die Ukraine, dann weist die Lage heute verblüffende Ähnlichkeiten auf. Und so richtig gruselig wird das ganze, wenn man sich vor Augen führt, dass das konservative Amerika offenbar zunehmend bereit ist, die Ukraine im Stich zu lassen. Kombiniert man dies mit den Äusserungen von Donald Trump, die dieser am vergangenen Samstag an einem Rally in South Carolina von sich gegeben hat, dann wird es geradezu gespenstisch.
«Der Präsident eines grossen (NATO-)Staates stand auf und sagte: ‹Nun, Sir, wenn wir nicht zahlen, und wir von Russland angegriffen werden, werden Sie uns dann beschützen?›, führte der Ex-Präsident aus. ‹Wenn Sie nicht bezahlt haben, dann sind Sie selbst schuld›, entgegnete Trump dem Staatschef. ‹Dann werde ich Sie nicht beschützen. Ja, ich würde die Russen sogar ermutigen, zu tun, was zum Teufel sie auch tun wollen. Sie müssen bezahlen. Sie müssen ihre Schulden begleichen.›»
Ganz abgesehen davon, dass dieser Dialog mit grösster Wahrscheinlichkeit frei erfunden ist, ist er auch faktisch falsch. Die NATO ist kein Club, bei dem man einen Mitgliederbeitrag einzahlen muss. Es ist ein Verteidigungsbündnis, bei dem die Mitglieder dazu angehalten werden, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) für die eigene Armee aufzuwenden.
Die meisten NATO-Mitglieder, insbesondere auch Deutschland und Frankreich, kommen dieser Aufforderung nicht nach, etwas, was nicht nur Trump, sondern auch die früheren US-Präsidenten immer und immer wieder angemahnt haben.
Polen hingegen ist das Land, das diese Forderung nicht nur erfüllt, es hat 2023 gar 3,9 Prozent des BIP für militärische Zwecke aufgewendet, relativ gesehen mehr noch als die USA, die es bloss auf 3,49 BIP-Prozente gebracht haben. Trotzdem sind Trumps Äusserungen gerade in Polen äusserst schlecht angekommen. Polens Premierminister Donald Tusk betont ausdrücklich: «Das NATO-Versprechen gilt uneingeschränkt. Alle für einen, einer für alle. Und lassen sie mich das glasklar sagen: Jegliche Relativierung der NATO-Garantie ist unverantwortlich und gefährlich und einzig im Interesse von Russland.»
Die Ermutigung Trumps an die Adresse Putins, andere Länder zu überfallen und mit ihnen anzustellen, was zum Teufel ihm auch immer beliebt, ist die vielleicht schlimmste Drohung, die der Ex-Präsident bisher geäussert hat. Sie kann nicht nur als Freipass an Putin für weitere Überfälle interpretiert werden, sondern geradezu als eine Aufforderung. Gerade die Polen fühlen sich aufgrund ihrer Geschichte davon besonders betroffen.
Noch ist Polen nicht verloren
Zu Recht: «Es spricht für sich, dass Putin sich Zeit genommen hat, um Polen in Verbindung mit Nazi-Deutschland und Hitlers Aggressionen zu bringen», stellt Gessen fest. «So wie er es mit der Ukraine getan hat, will er nun Polen ebenfalls als Erbe der Nazis darstellen. In seiner Konversation mit Tucker hat er Polen mehr als dreissig Mal erwähnt. Wäre ich Polen, ich hätte grosse Angst.»
Noch ist Polen nicht verloren. Es gibt zum Glück auch Hoffnung. So hat der Senat das Hilfspaket für die Ukraine gebilligt, und zwar mit 20 Stimmen der Republikaner. Der Druck auf Mike Johnson, den Speaker im Abgeordnetenhaus, wächst, dieses Paket ebenfalls zur Abstimmung zu bringen.
Allmählich beginnen auch die amerikanischen Medien zu realisieren, wie gefährlich Trumps Äusserungen zur NATO sind. Verbunden mit einem schlechten Gewissen darüber, das Alter Bidens viel zu prominent abgehandelt und das weit bedeutendere NATO-Thema vernachlässigt zu haben, beginnen sie, Gegensteuer zu geben. Alle Moderatoren bei MSNBC haben beispielsweise Trump und die NATO zum Schwergewicht ihrer Berichterstattung gemacht.
Auch die «New York Times» streut sich Asche über ihr Haupt. Sie hat jetzt einen Gastkommentar eines prominenten Neurologen veröffentlicht, in dem die Gedächtnisprobleme des Präsidenten massiv relativiert werden. Und sie stellt mit Erleichterung fest, dass Trump mit seinen NATO-Äusserungen Joe Biden einen grossen Dienst erwiesen hat.
«Die verblüffenden Aussagen von Trump über das Wochenende lenken nicht nur von den Gedächtnisproblemen ab, (…) sie ermöglichen es dem Team-Biden auch, ein neues Licht auf die kommenden Wahlen zu werfen», hält die «New York Times» fest. «Sie können nun sagen, der amtierende Präsident mag ein alter Mann sein, der gelegentlich etwas vergisst, aber sein Herausforderer ist beides: alt und auf eine gefährliche Art und Weise rücksichtslos.»