Manchmal ist auch die Diktatur ein bisschen dünnhäutig. Zum Beispiel, wenn ein Jubiläum ansteht, insbesondere ein rundes. 80 Jahre Arbeiterpartei, da soll die Stimmung stimmen. Das Volk soll fleissig nicken, lächeln, klatschen, stampfen; das geht besser, wenn man vorher die Akten ein wenig durchlüftet. So jedenfalls scheint man es sich in Nordkorea gedacht zu haben.
Der Staat schaut nun nach, ob er sich bei der Bestrafung seiner Bürger:innen womöglich ein bisschen vertan hat. Nicht im Grossen natürlich, nur so im Detail. Nicht das System steht zur Debatte, sondern der Tonfall einzelner Funktionäre. Zu streng, zu schnell, zu gierig vielleicht. Fehler passieren.
Wie eine Quelle aus Nordkorea gegenüber dem Portal «Daily NK» berichtet, hat das Zentralkomitee Anfang Juni eine Anweisung herausgegeben, wonach frühere Entscheidungen des sogenannten «Einheitskommandos für nichtsozialistisches und antisozialistisches Verhalten» auf ihre Gerechtigkeit hin überprüft werden sollen. Betroffen sind Fälle seit dem Jahr 2021.
Ein Untersuchungsteam, bestehend aus Vertreter:innen des Staatssicherheitsministeriums und der Organisationsabteilung der Partei, reist demnach seit Mitte Juni durch Städte wie Pyongyang, Sariwon und Haeju, auf autoritärer Rückruftour.
Das Ziel: alte Strafen anschauen, Fehler suchen. Auch soll die allgemeine Stimmung untersucht und überprüft werden, ob sich an den Orten irgendetwas befindet, das nicht aus Nordkorea stammt, Filme oder Musik etwa. Später soll auch die chinesische Grenzregion drankommen.
Die Beamt:innen wollen wissen: Wurden Menschen, die sich selbst angezeigt haben, unnötig hart behandelt? Hat man Jugendliche für das Streamen südkoreanischer Serien allzu eifrig gemassregelt? Haben Ermittler:innen Gefälligkeiten angenommen, etwa von Kolleg:innen mit Einfluss oder solchen, die gern welchen hätten? Haben Beamte Befugnisse missbraucht, um Verbrechen bestimmter Personen zu übersehen?
Besonders rührselig gibt sich das Regime, wenn Angehörige von Lagerinsassen auftauchen. Da wird zugehört, notiert und manchmal sogar die Freiheit versprochen.
Die Ermittlungsgruppe erwäge, so erzählt es eine Quelle gegenüber «Daily NK», Fälle auszuwählen, die einer erneuten Untersuchung bedürfen, die Umerziehungslager zu informieren und Schritte zur erneuten Untersuchung auf der Grundlage des Potenzials für eine «modellhafte Rehabilitierung» zu unternehmen.
Einige der Angehörigen seien von ihren Emotionen überwältigt gewesen, hätten geweint und gesagt:
Kim Jong-un jedenfalls hat zur Feier des Moments ein älteres Zitat aus seiner frühen Regentschaft recycelt: Behörden sollten den Leuten glauben, «wenn sie auch nur 0,1 Prozent Gewissen haben, selbst wenn sie Verbrechen gegen die Nation begangen haben».
Hinter all dem steckt natürlich eine Strategie. Ein wenig Empathie zum Parteigeburtstag am 10. Oktober, ein bisschen Reue für die Galerie. Die Quelle sagt: «Indem sie den Anschein erwecken, Fehler der Strafverfolgungsbehörden zu korrigieren, verbessern die Behörden die öffentliche Meinung.» Betonung auf Anschein. Dass die Verhältnisse in Nordkorea wirklich besser werden – fraglich.