Trump und Putin schweissen Europa zusammen
Herfried Münkler gilt als führender Politologe Deutschlands. In seinem jüngsten Buch «Macht im Umbruch» analysiert er, wie sich Deutschland in einer Welt behaupten kann, in der die bisher gültigen Regeln über Bord geworfen und durch ein Grossmachts-Denken ersetzt werden, ein Denken, das eigentlich als längst überholt gegolten hatte.
Anders als andere Politologen verfällt Münkler jedoch deswegen nicht in einen abgrundtiefen Pessimismus. Natürlich weiss er auch um die enormen Schwierigkeiten, die in der nicht mehr regelbasierten Welt auf den alten Kontinent zukommen. Er sieht jedoch auch die Chancen, konkret, er sieht, dass Europa unter dem Druck aus Moskau und Washington gar nicht mehr anders kann, als enger zusammenzurücken.
Tatsächlich hat der Krieg in der Ukraine auch die EU verändert. Es hat sich mittlerweile eine Kerngruppe gebildet, eine «Koalition der Willigen». Dazu zählen Deutschland, Frankreich und Polen. Auch das Vereinigte Königreich macht dabei mit, und mit Abstrichen auch Italien. Die Oberhäupter dieser Koalition treffen sich mittlerweile fast wöchentlich, oft ist auch Wolodymyr Selenskyj, der Präsident der Ukraine, dabei.
Zwei Dinge schweissen diese Koalition zusammen: Einerseits ist allen klar, dass es Wladimir Putin längst nicht mehr bloss darum geht, die Nato-Ost-Erweiterung zu verhindern. Münkler geht davon aus, dass dem russischen Präsidenten mit rationalen Kriterien wie dem Homo oeconomicus nicht beizukommen ist, denn der Krieg in der Ukraine ist auch für sein Land eine wirtschaftliche Katastrophe, deren Folgen noch für Jahrzehnte anhalten werden.
Putin verfolgt vielmehr einen grössenwahnsinnigen Plan: Er will das Russische Reich, wie es zu Zeiten von Katharina der Grossen bestanden hat, wieder herstellen. Das bedeutet konkret, dass er sowohl das Schwarze Meer als auch die Ostsee unter russischer Kontrolle bringen will. Und das wiederum bedeutet, dass sich Putin keineswegs mit der Eroberung des Donbass zufriedengeben wird. Er will die gesamte Ukraine und wohl auch die baltischen Staaten wieder unter seine Knute zwingen.
Andererseits ist auch klar geworden, dass die USA unter Donald Trump kein verlässlicher Partner von Europa mehr sind. Was in der Rede von J.D. Vance im Mai an der Münchner Sicherheitskonferenz sichtbar wurde, ist seit der Veröffentlichung der neuen nationalen Sicherheitsstrategie glasklar geworden: Auch wenn Trump das ominöse Strategiepapier wahrscheinlich gar nicht gelesen hat, ist es offensichtlich, dass er die EU schwächen, gar am liebsten zerstören will. Deshalb ist er bereit, mit rechtsradikalen Parteien wie der AfD zusammenzuarbeiten. Nicht bereit ist er hingegen, seinen Kumpel Putin fallenzulassen.
Angesichts dieser Lage kann sich Münkler vorstellen, dass Trump nicht nur die Ukraine unter den Bus wirft, sondern dass er auch die Nato verlässt. Ein Austritt der USA würde jedoch nicht das Ende dieses Verteidigungsbündnisses bedeuten, sondern den Anfang einer Nato unter europäischer Kontrolle und damit einer gemeinsamen europäischen Armee.
Auch die Schleimereien im Oval Office dürften vorerst keine Fortsetzung finden. Auf den von Moskau ausgearbeiteten amerikanischen «Friedensplan» reagierte die Koalition der Willigen entschieden und arbeitete zusammen mit der Ukraine einen Gegenentwurf aus. Gleichzeitig sind Friedrich Merz, Emmanuel Macron & Co. auch dabei, die eingefrorenen russischen Vermögen in der Höhe von rund 200 Milliarden Dollar loszueisen. So berichtet die «Financial Times» von einem Plan, der gleichzeitig den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán austricksen und den belgischen Premierminister Bart De Wever ins Boot holen soll. Belgien ist wichtig, weil dort der russische Staatsschatz gelagert ist.
Was die russischen Gelder betrifft, haben Trump und die Europäer ebenfalls unterschiedliche Absichten. Der US-Präsident sieht darin einmal mehr vor allem einen profitablen Deal. Das weckt das Misstrauen der Europäer. Das «Wall Street Journal» berichtet daher: «Ein (hoher europäischer Beamter) hat Trumps Vision mit seiner Vorstellung vom Gaza-Streifen als neue Riviera verglichen. Ein anderer verglich es mit der wirtschaftlichen Version der Aufteilung Europas nach dem 2. Weltkrieg. ‹Es ist wie Jalta›, so der Beamte.» (Anm. d. Verf.: Im Vertrag von Jalta hat Josef Stalin seinerzeit Franklin Roosevelt über den Tisch gezogen.)
Europa hingegen will die eingefrorenen russischen Staatsgelder für den Kauf von Waffen für die Ukraine und den Wiederaufbau des Landes verwenden. Putin scheint Trump einmal mehr davon überzeugt zu haben, dass der Sieg seiner Armee bloss eine Frage der Zeit und ein Ende mit Schrecken daher einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen sei.
Was die militärische Lage betrifft, liegen jedoch sehr widersprüchliche Meldungen vor. Klar ist hingegen, dass Selenskyj einem Landtausch, wie ihn der Immobilien-Tycoon Steve Witkoff mit gütiger russischer Hilfe vorschlägt, auf keinen Fall zustimmen kann.
Die ukrainische Verfassung verlangt, dass er dazu die Zustimmung des Parlaments haben muss. Es ist unwahrscheinlich, dass er sie erhalten würde. Nur in einem Punkt macht der Präsident der Ukraine deshalb Konzessionen an Trump: Er ist bereit, Neuwahlen zu akzeptieren, obwohl dies ebenfalls gemäss Verfassung nur in Friedenszeiten möglich ist.
Wladimir Putin blufft derweil weiter. Dabei ist die Situation in Russland «viel weniger komfortabel», als er vorgibt, wie der «Economist» schreibt. Seine schlecht ausgebildete Armee erobert bloss kleine Abschnitte im Donbass im Schneckentempo und mit immensen Verlusten, die Unterstützung für den Krieg in der Bevölkerung nimmt ab und die Wirtschaft befindet sich in einer Stagflation, will heissen, hohe Inflation und stagnierendes Wachstum.
Bedeutet dies, dass der brutale Abnützungskrieg in der Ukraine noch jahrelang weitergeht? Nicht zwingend. So meldet David Ignatius, ein in der Regel gut informierter Kolumnist der «Washington Post», dass sich ein möglicher Friedensplan abzeichne. Er sieht unter anderem vor, dass die Ukraine schon 2027 der EU beitritt, die USA verbindliche Sicherheits-Garantien leisten und die ukrainische Souveränität geschützt wird.
«Trump sollte einen vernünftigen Deal aushandeln, der lange halten wird», so Ignatius. «Andernfalls steht er mit leeren Händen da, und der schreckliche Konflikt könnte sich in eine noch destruktivere Phase entwickeln.»
