Nachdem Lula die erste Wahlrunde vor einem Monat knapper als erwartet für sich entschieden hatte, fiel das Ergebnis in der entscheidenden Stichwahl nun noch enger aus. Der frühere Staatschef Lula vereinigte 50,90 Prozent der Stimmen auf sich, wie das Wahlamt in Brasília am Sonntagabend (Ortszeit) bekanntgab.
Jair Bolsonaro erhielt demnach 49,10 Prozent der Stimmen. Dass das Resultat nochmals kippen könnte, war nach Angaben der Behörde nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen mathematisch nicht mehr möglich, der Sieg Lulas stand also fest. Nach Auszählung aller Stimmen blieben die Anteile unverändert.
Der Wahlkampf zwischen dem linken Ex-Präsidenten, der mit ganzem Namen Luiz Inácio Lula da Silva heisst, und dem rechten Amtsinhaber Jair Bolsonaro wurde in den vergangenen 30 Tagen erbittert, teilweise auch äusserst schmutzig, geführt. Die Brasilianer wurden vor allem in sozialen Medien und Whatsapp-Gruppen von einer Flut von Falschinformationen überschwemmt.
Dementsprechend beging Brasilien den entscheidenden Wahltag in aufgeheizter und emotionaler Atmosphäre. Lula ging aufgrund des Wahlresultats vor einem Monat und Umfragen, welche ihm Stimmanteile von 52 Prozent prognostizierten, als Favorit in den Tag. Doch als die Wahllokale um 21 Uhr Schweizer Zeit schlossen und die Auszählung begann, schien Bolsonaro zuerst das Blatt tatsächlich zu seinen Gunsten gewendet zu haben. Zwischenzeitlich lag der rechtspopulistische Amtsinhaber, der aufgrund seiner Rhetorik immer wieder mit Donald Trump verglichen wird, mit über zwei Prozentpunkten vor Lula.
Rund zwei Stunden nach Beginn der Auszählung zeichnete sich dann aber endgültig die Trendwende zugunsten von Lula ab. Bolsonaro führte nun nur noch mit einem Promille an Stimmanteilen. Nachdem 90 Prozent ausgezählt waren, lag Lula dann relativ deutlich in Führung, welche er bis zum Schluss nicht mehr hergeben musste.
Als erste Reaktion veröffentlichte Lula am Sonntag auf Twitter ein Bild der brasilianischen Flagge mit einer Hand. Darüber stand «Demokratie.» Tausende Anhänger des Kandidaten der Arbeiterpartei (PT) feierten Lulas Sieg auf der Prachtstrasse Avenida Paulista in der Millionenmetropole São Paulo.
Democracia. pic.twitter.com/zvnBbnQ3HG
— Lula 13 (@LulaOficial) October 30, 2022
Später erklärte Lula in São Paulo vor seinen Anhängerinnen und Anhängern, dass er das tief gespaltene Land einen möchte. «Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren», erklärte er in seiner ersten Rede. «Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk.»
Nun sei der Moment gekommen, den Frieden wieder herzustellen. «Ich bin zuversichtlich, dass wir einen Ausweg finden werden, damit dieses Land wieder demokratisch und harmonisch leben kann», so Lula.
Seine Anhängerinnen und Anhänger feierten ihren Sieg derweil gebührend. Bilder zeigen, wie gewaltig der Menschenauflauf auf den Strassen brasilianischer Städte war.
Comemoração da vitória de Lula na Av. Paulista 🎉❤️🙌🏼 #Lula #LulaPresidente2022 #Brazilelections #Brasil @LulaOficial pic.twitter.com/DjdYLGbllC
— Fillipe Rodollfo (@filliperodollfo) October 31, 2022
Der frühere Gewerkschafter Lula hatte das mit 210 Millionen Einwohnern grösste Land in Lateinamerika bereits von Anfang 2003 bis Ende 2010 regiert. Er ist der erste demokratisch gewählte Präsident Brasiliens, der in eine dritte Amtszeit geht. Viele Anhänger des 77-Jährigen verbinden Lula mit den goldenen Zeiten Brasiliens, als die Wirtschaft aufgrund der hohen Rohstoffpreise boomte und die Regierung mit Hilfe von Sozialprogrammen Millionen Menschen aus der bittersten Armut holte. Entsprechend euphorisch wurde die Rückkehr des Ex-Präsidenten auf den Strassen zelebriert.
Auch mehrere Stunden nach Verkündung des Resultats hat sich Jair Bolsonaro noch nicht geäussert. Allerdings anerkannten einige Verbündete des bisherigen Präsidenten den Sieg Lulas.
Es war im Vorfeld befürchtet worden, dass es vor allem nach einem knappen Wahlausgang zu Gewalt kommen könnte. Bolsonaro hatte mehrfach Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen. Seit der Lockerung der Waffengesetze in seiner Amtszeit haben viele seiner Unterstützer ordentlich aufgerüstet. Erst am Samstag verfolgte eine Abgeordnete von Bolsonaros Liberaler Partei (PL) einen Mann nach einem Streit mit vorgehaltener Waffe.
Zudem forderten einige Anhänger des Amtsinhabers auch unverhohlen einen Militärputsch. Experten sahen dafür in der Gesellschaft und den Streitkräften allerdings keine ausreichende Unterstützung.
Die Unterstützer von Bolsonaro sehen ihren, nun ehemaligen, Staatschef als Verteidiger traditioneller Familienwerte und wirtschaftlicher Freiheit und als Bollwerk gegen den angeblich drohenden Kommunismus. Allerdings stiess er mit seinen zum Teil vulgären Ausfällen gegen Frauen, Homosexuelle und Indigene auch viele Menschen vor den Kopf. Durch seine Blockade beim Klimaschutz, seine eigenwillige Corona-Politik und seine Angriffe auf demokratische Institutionen wie den obersten Gerichtshof isolierte er Brasilien auf der Weltbühne zusehend.
Der französische Präsident Emmanuel Macron gratulierte Lula umgehend zur Wahl. «Es wird ein neues Kapitel in der Geschichte Brasiliens aufgeschlagen», schrieb er auf Twitter. «Wir werden unsere Kräfte bündeln, um die vielen gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen und das Band der Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern zu erneuern.» Macron war in den vergangenen Jahren mit dem brasilianischen Präsidenten Bolsonaro vor allem in der internationalen Umweltpolitik heftig aneinandergeraten.
Toutes mes félicitations, cher @LulaOficial, pour ton élection qui ouvre une nouvelle page de l'histoire du Brésil. Ensemble, nous allons unir nos forces pour relever les nombreux défis communs et renouer le lien d'amitié entre nos deux pays.
— Emmanuel Macron (@EmmanuelMacron) October 30, 2022
Auch US-Präsident Joe Biden gratulierte Lula direkt zur Wahl. Es sei eine freie, faire und glaubwürdige Wahl gewesen und er freue sich auf die Zusammenarbeit zwischen ihren beiden Ländern in der Zukunft.
I send my congratulations to Luiz Inácio Lula da Silva on his election to be the next president of Brazil following free, fair, and credible elections. I look forward to working together to continue the cooperation between our two countries in the months and years ahead.
— President Biden (@POTUS) October 31, 2022
Die Wahl in Brasilien hat auch international eine wichtige Bedeutung. Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine enorm wichtige Rolle. Zudem ist Brasilien mit seinen grossen natürlichen Ressourcen, dem hohen Anteil an grüner Energie und der grossen Agrarwirtschaft ein potenziell wichtiger Handelspartner für viele Staaten weltweit. (con)
Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA.
Willst traditionell leben? Dann lebe traditionell. Keiner wird dich daran hindern. Drohenden kommunismus? Das glauben die Trumpisten auch, sehen aber Putin (und damit Xi) als heilbringern 🤯