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Bolsonaro bricht Schweigen – und will sich «an die Verfassung halten»

Brazilian President Jair Bolsonaro speaks from his official residence of Alvorada Palace in Brasilia, Brazil, Tuesday, Nov. 1, 2022, the leader's first public comments since losing the Oct. 30 pr ...
Jair Bolsonaro hat sich nach mehr als zwei Tagen Schweigen zu seiner Wahlniederlage geäussert.Bild: keystone

Bolsonaro-Vize gesteht Niederlage ein – Bolsonaro ein bisschen

Nach zwei Tagen der Ungewissheit hat sich Jair Bolsonaro nach der Niederlage gegen Herausforderer Lula geäussert. Er anerkannte diese zwar nicht öffentlich, allerdings gab er an, «sich an die Verfassung halten zu wollen».
02.11.2022, 15:54
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Bolsonaro-Vize gesteht Niederlage ein

Brasiliens Vizepräsident gesteht Bolsonaros Wahlniederlage einDrei Tage nach der Wahl in Brasilien hat Vizepräsident Hamilton Mourão die Niederlage von Staatschef Jair Bolsonaro eingestanden.

«Es hat keinen Sinn mehr zu jammern, wir haben das Spiel verloren. Es gibt nichts zu beanstanden», sagte der ehemalige General in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der Zeitung «O Globo». Er sei nicht der Ansicht, dass es bei der Wahl zu Betrug gekommen sei. Zuvor hatten bereits wichtige Verbündete Bolsonaros, darunter der mächtige Parlamentspräsident Artur Lira, dessen Niederlage anerkannt.

Was sagte Bolsonaro?

Bolsonaro wandte sich mit einer kurzen Rede in seiner Residenz in der Hauptstadt Brasília an Medien und Volk. Er erklärte:

«Ich möchte mich bei den 58 Millionen Brasilianern bedanken, die mich am 30. Oktober gewählt haben. Als Präsident und Bürger werde ich weiter alle Anforderungen unserer Verfassung erfüllen. Als Präsident der Republik und Bürger werde ich mich weiterhin an alle Gebote unserer Verfassung halten. Es ist mir eine Ehre, an der Spitze von Millionen von Brasilianern zu stehen, die wie ich für wirtschaftliche Freiheit, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Ehrlichkeit und die grünen und gelben Farben unserer Flagge einstehen.»

Ausdrücklich anerkannt und eingestanden hat Bolsonaro die Niederlage gegen Lula damit zwar in seiner Rede nicht, doch zumindest bekannte er, dass er der Übergabe der Regierungsgeschäfte an Lulas Leute nicht im Wege stehen will, indem er sich an die Verfassung hält. Er äusserte sich zudem zu den Strassenblockaden und Demonstrationen seiner Anhängerinnen und Anhänger und erneuerte seine Zweifel an der Korrektheit des Wahlverfahrens:

«Die gegenwärtigen Demonstrationen sind das Ergebnis der Empörung und des Gefühls der Ungerechtigkeit über die Art und Weise, wie der Wahlprozess ablief. Friedliche Demonstrationen werden immer willkommen sein, aber unsere Methoden können nicht die der Linken sein. Sie haben der Bevölkerung schon immer geschadet, etwa durch das Eindringen in fremdes Eigentum, die Zerstörung des Kulturerbes und die Einschränkung des Rechts, zu kommen und zu gehen. (…)

Die Beobachtermission der Interamerikanischen Union der Wahlbehörden nannte die Wahlen derweil frei, fair und transparent und fand keine Hinweise auf Manipulation.

Bolsonaros Stellungnahme:

Video: youtube

Was bedeuten die Worte Bolsonaros?

Mit seinen Aussagen nimmt Bolsonaro der aufgeheizten Stimmung im Land das vorhandene Eskalationspotenzial zumindest teilweise. Im Vorfeld der Wahl und während der Zeit von Bolsonaros Schweigen war befürchtet worden, dass der rechtskonservative Staatschef eine Niederlage nicht anerkennen würde und es gar zu einem Staatsstreich kommen könnte.

Bolsonaro hatte immer wieder angedeutet, dass es zu Wahlbetrug kommen könnte und er das Resultat der Abstimmung dann nicht anerkennen würde. Zahlreiche Bolsonaro-Anhänger gingen nach der Verkündung des Resultats auf die Strasse und sorgten mit Strassenblockaden für Tumulte. Mit Bolsonaros Stellungnahme dürfte sich die Situation nun entschärfen.

Denn abseits der Öffentlichkeit scheint der 67-Jährige seine Niederlage tatsächlich eingestanden zu haben. Zumindest wertet dies die Justiz des Landes so, wie Richter Luiz Edson Fachin dem Fernsehsender Globo nach einem Treffen mit Bolsonaro sagte:

«Die Richter bekräftigen die offiziellen Mitteilung, in der die Bedeutung der Anerkennung des endgültigen Wahlergebnisses durch den Präsidenten der Republik mit der Entschlossenheit, den Übergangsprozess einzuleiten, hervorgehoben wurde. Er sagte, es sei vorbei. Schauen wir also nach vorne.»

Der Präsident des Obersten Wahlgerichts, Alexandre de Moraes, hatte sowohl Lula als auch Bolsonaro bereits in der Wahlnacht telefonisch über das Ergebnis informiert. «Das Ergebnis wurde verkündet und akzeptiert», sagte auch Moraes.

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Der Präsident des Obersten Wahlgerichts, Alexandre de Moraes.Bild: keystone

Der brasilianische Kabinettschef Ciro Nogueira bestätigte Bolsonaros Eingeständnis hinter den Kulissen ebenfalls: «Präsident Jair Bolsonaro hat uns auf der Grundlage des Gesetzes ermächtigt, den Prozess des Regierungswechsels einzuleiten», so Nogueira.

Die Machtübergabe wäre allerdings ohnehin gesetzlich geregelt, einer Zustimmung der scheidenden Regierung wäre gar nicht vonnöten.

Welche Rolle spielten Bolsonaros Verbündete?

Trotz Bolsonaros Schweigen nach der Verkündung des Resultats, zeichnete sich bald ab, dass der Rückhalt für den Präsidenten, sollte er das Ergebnis tatsächlich nicht anerkennen, nicht sehr gross gewesen wäre. Zahlreiche seiner Verbündeten äusserten sich im Gegensatz zu ihm.

Laut Berichten machten Bolsonaros Berater ihm in langen Gesprächen in den vergangenen Tagen klar, dass es kaum Erfolg hätte, das Wahlergebnis in Frage zu stellen. Viele der Verbündeten, darunter der mächtige Parlamentspräsident Artur Lira, erkannten Bolsonaros Niederlage auch vorher bereits an. Auch die einflussreiche Kongressabgeordnete und überzeugte Bolsonaro-Unterstützerin Carla Zambelli verkündete früh, dass sie «die härteste Opposition sein würde, die sich Lula jemals vorstellen könnte», womit sie die Niederlage ebenfalls eingestand.

Hinzu kam, dass zahlreiche Regierungen im Ausland den Wahlausgang ebenfalls schon als Tatsache ansahen: Fast 90 Regierungen gratulierten Lula zu seinem Wahlsieg, wie das Nachrichtenportal UOL berichtete.

Wie geht es nun weiter?

Auf operativer Ebene wurde der Machtwechsel schon eingeleitet. Medienberichten zufolge sprach Kabinettschef Nogueira bereits mit Lulas Kommunikationschef Edinho Silva. Zudem telefonierte Lulas künftiger Vize-Präsident Geraldo Alckmin mit Bolsonaros Stellvertreter Hamilton Mourão. Der Amtsantritt Lulas ist für den 1. Januar 2023 geplant.

Lula hatte bei der knappen Stichwahl am Sonntag 50,9 Prozent der Stimmen erhalten, Bolsonaro kam auf 49,1 Prozent. Noch nie seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1985 war eine Wahl in Brasilien derart knapp gewesen.

(con/dab/sda/dpa)

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100 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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The Twelfth
01.11.2022 21:20registriert Juni 2020
So zeichnet sich ab, dass selbst ein Bolsonaro mehr Grösse hat als Trump und seine Speichellecker.

Und in einer Woche darf das Wahlvolk der USA beweisen, in welch katastrophalem Zustand es ist.
1987
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danny34a
01.11.2022 21:19registriert Januar 2016
Was für Antworten?
Er respektiert das Wahlergebnis und will die Demokratie aufrechterhalten und mit den linken kooperien.
Habe das Statement soeben live geschaut.

Zu folgender Aussage:
Zu den Strassenblockaden im Land nach der Wahl meinte er, dies sei «das Ergebnis der Empörung über den Verlauf des Wahlprozesses».
….muss man noch ergänzen, dass er die Strassenblockaden nicht OK findet. Willkommen seien aber friedliche Proteste.
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mrmikech
01.11.2022 21:01registriert Juni 2016
Als verlierer hat er auch nichts mehr zu sagen. So funktioniert das halt. Hätte Lula verloren wäre es genau gleich.
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