Nachdem es unmittelbar nach der Niederlage des rechtskonservativen Amtsinhabers Jair Bolsonaro im Kampf um das brasilianische Präsidentenamt ruhig blieb, rumort es im Land nun doch. In den sozialen Medien verbreitete sich das von Bolsonaro aufgebrachte Narrativ des Wahlbetrugs weiter. Es kursierten Videos, die angebliche Fehlfunktionen von Wahlmaschinen zeigen sollen, wie die New York Times schreibt. Die brasilianischen Behörden erklärten derweil, dass es keine Beweise für möglichen Betrug bei den Wahlen gab.
Dennoch haben Teile der Anhänger Bolsonaros aus Protest gegen das Ergebnis mehr als 200 Strassensperren über das ganze Land verteilt errichtet. Unter den Demonstranten waren viele Lastwagenfahrer, wie die brasilianische Zeitung «Folha de S. Paulo» am Montagabend (Ortszeit) unter Berufung auf die Polizei berichtete. Die Trucker gehören mehrheitlich zu den Unterstützern Bolsonaros und sind in Brasilien eine mächtige Berufsgruppe, weil ein grosser Teil des Gütertransports in dem Land auf der Strasse erfolgt.
Demnach betrafen die Blockaden wichtige Verkehrsachsen wie eine Stadtautobahn in der Wirtschaftsmetropole und eine Verbindungsstrasse zwischen Rio de Janeiro und São Paulo.
Durch die Blockaden entstanden kilometerlange Staus, die das Fortkommen der Brasilianer erheblich beeinträchtigten. Einige Protestierende hängten der «Folha» zufolge brasilianische Fahnen an ihre LKW, manche beschimpften auch den gewählten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva.
Die befürchteten Gewaltausbrüche blieben zwar bisher aus. Allerdings kam es laut «Folha» dennoch zu Tumulten. Der Präsident des Obersten Wahlgerichts wies die Polizei an, die Blockaden zu beenden. Auch auf einer Schnellstrasse bei São Paulos Flughafen versammelten sich am Abend Demonstranten. Der Flughafen warnte vor einem erschwerten Zugang zu den Terminals. Medienberichten zufolge kam es zeitweise zu Verspätungen und Streichungen von Flügen.
Mittlerweile ist mehr als ein Tag vergangen, seit das Ergebnis der Wahl feststeht. Nach wie vor hat sich Bolsonaro aber nicht zu diesem geäussert. Ebenfalls trat der 67-Jährige nirgends in der Öffentlichkeit auf. Auch seine drei Söhne, die für gewöhnlich sehr aktiv in den sozialen Medien sind, haben sich bisher nicht zu Wort gemeldet.
Bolsonaro habe den Montagmorgen in seiner Residenz in Brasília verbracht und sei dann zu Gesprächen in den Amtssitz des Präsidenten gefahren.
Dennoch heizt der Ex-Präsident mit seinem Schweigen die Spekulationen an. Bolsonaro hatte im Vorfeld der Wahl mehrfach angedeutet, dass er ein Ergebnis zu seinen Ungunsten nicht anerkennen würde. Wie sein US-amerikanisches Pendant Donald Trump nährte er das Narrativ, dass bei der Wahl womöglich betrogen wird und ihm Stimmen geklaut werden.
Die Behauptungen schürten in den Teilen der Bevölkerung, die ihn unterstützen, das Misstrauen gegenüber dem Wahlsystem. Es gab Befürchtungen, dass die Leute auf Geheiss des 67-Jährigen auf die Strassen gehen würden und es zu Tumulten kommen könnte, ähnlich wie beim Sturm auf das Kapitol in den USA. In den Stunden nach der Wahl blieb es aber dann mehrheitlich ruhig auf den Strassen der brasilianischen Grossstädte. Dennoch zeigen die Strassensperren der Bolsonaro-Anhänger, dass es nach wie vor Eskalationspotenzial gibt.
Laut Medienberichten versuchten mehrere Minister und Berater, Bolsonaro davon zu überzeugen, seine Niederlage einzuräumen. Einige äusserten sich auch öffentlich und gestanden die Niederlage ein. Auch die einflussreiche rechtspopulistische Kongressabgeordnete Carla Zambelli, eine glühende Verehrerin Bolsonaros, schrieb auf Twitter, dass sie «die härteste Opposition sein werde, die sich Lula je vorstellen konnte», womit sie indirekt ebenfalls die Niederlage eingestand.
Ainda que eu ande pelo vale das sombras, não temerei, porque Tu Senhor Deus estás comigo.
— Carla Zambelli (@Zambelli2210) October 30, 2022
O sonho de liberdade de mais de 51 milhões de brasileiros continua vivo.
E lhes PROMETO, serei a maior oposição que lula jamais imaginou ter.
Solange der abgewählte Präsident dies aber nicht selbst tut, entschärft sich die Stimmung in der grössten Demokratie Südamerikas kaum – Bolsonaros Schweigen hinterlässt eine bedrohliche Atmosphäre der Ungewissheit. Laut Kommunikationsminister Fabio Faria wird sich Bolsonaro auch am Dienstag nicht öffentlich äussern, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Der Ex-Präsident wolle warten, bis er eine Rede vorbereitet habe – ob diese dann ein Eingeständnis seiner Niederlage beinhaltet, ist unklar.
Der neue Präsident Lula und sein Team lassen sich derweil von den Fragezeichen um den besiegten Kontrahenten nicht beirren. Sie bereiten sich auf den Regierungswechsel ohne Mithilfe des amtierenden Staatschefs vor. «Ich hoffe, dass zum Wohle Brasiliens und des brasilianischen Volkes Normalität Einzug halten wird. Wenn der Präsident, wenn Jair Bolsonaro nicht teilnehmen möchte, ist das ok», sagte die Vorsitzende von Lulas Arbeiterpartei (PT) und Leiterin der Wahlkampagne, Gleisi Hoffmann, am Montag (Ortszeit) im TV-Sender Globo News. Und weiter:
Lula tritt sein Amt demnach am 1. Januar 2023 an, egal, ob Bolsonaro seine Niederlage eingesteht oder nicht.
Derweil erhielt Lula weitere Gratulationen von verschiedenen Staatschefinnen und -chefs weltweit. Beispielsweise gratulierte der chinesische Präsident Xi Jinping ebenso wie der saudi-arabische Prinz Mohammed bin Salman.
Lula selbst vermeldete via Twitter, dass er bereits mit US-Präsident Joe Biden telefoniert habe. Sie hätten darüber gesprochen, wie die Demokratie in Brasilien gestärkt werden, man die Umwelt besser schützen und die Beziehungen zwischen den beiden Ländern ausbauen könne.
Conversei hoje por telefone com o presidente dos Estados Unidos, @JoeBiden. Falamos sobre o fortalecimento da democracia no Brasil, a preservação do meio ambiente e a nossa vontade de ampliarmos a cooperação entre os nossos países 🇧🇷🇺🇸
— Lula 13 (@LulaOficial) October 31, 2022
(con)
Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA.