Bundesrat Rösti habe nachdenklich gewirkt, sagt jemand aus seinem Umfeld. Dass die SVP im März auf ein Nein zum Stromgesetz eingeschwenkt war, fand der Energieminister nicht lustig. Nun zeigt sich: Seine Partei hat ihm ein Geschenk gemacht.
Die Umfragen sagen ein klares Resultat voraus: 65 Prozent Ja, vielleicht gar 70. Albert Rösti wird am Sonntag als Sieger dastehen. Als ein Magistrat, der eine Volksabstimmung gewinnt – und sich dabei gegen die eigene Partei durchsetzt.
Im Parlament hatte die SVP den Kompromiss mitgetragen, auf den Rösti hingewirkt hatte: erneuerbare Energien fördern, ohne den Schutz der Landschaft zu vernachlässigen. Dann regte sich aber in der Parteileitung unter der Führung des neuen Präsidenten Marcel Dettling der oppositionelle Impuls. Und Dettling mag keine Windräder.
Die SVP-Spitze verkalkulierte sich: Nationalrat Christian Imark, auf Energiefragen spezialisiert, stellte sich an die Seite Röstis und kritisierte SVP-Vizepräsidentin Magdalena Martullo öffentlich. Ein weiteres Schwergewicht der Partei, Ständerätin Esther Friedli, macht mit im Ja-Komitee. Es ist nicht nur die Berner SVP-Sektion, die Rösti beisteht.
Der Energieminister wird von Parlamentariern gelobt, die ihm anfänglich mit Skepsis begegneten. Albert Rösti, der glücklose SVP-Präsident. Wahlverlierer 2019. Nach dem Wahlsonntag war ihn Parteivater Christoph Blocher damals in einer Besprechung dermassen hart angegangen, dass er wenig später den Bettel hinwarf.
Die Vorwürfe lauteten: Rösti greife in den kantonalen SVP-Sektionen, die passiv oder zerstritten seien, nicht energisch genug ein. Rösti mache zu viel Politik als Nationalrat und zu wenig Politik als Parteipräsident. «Du willst Bundesrat werden», sagte Blocher zu Rösti. Als Kompliment war das nicht gemeint.
Drei Jahre später wurde der Agraringenieur tatsächlich Mitglied der Landesregierung. Viele dachten: Der konfliktscheue Rösti werde nun den Wänden entlangschleichen, seinen Kurs den Meinungsumfragen und den Medien anpassen, von der SVP-Spitze Befehle empfangen. Als Rösti in seinem Departement als Generalsekretär Yves Bichsel anstellte, der unter Bundesrat Blocher gedient hatte, schienen die Vorurteile bereits bestätigt.
Nun sagen bürgerliche National- und Ständeräte: Rösti kenne seine Dossiers bis ins Detail, er lote die unterschiedlichen Positionen akribisch aus, wenn er auf einen Kompromiss angewiesen sei – und er ziehe seine Linie ohne langes Federlesen durch.
Das zeigte sich, als Rösti den Wolf zum Abschuss freigab. Als er der SRG eine Senkung der Medienabgabe verordnete. Als er sich für den Ausbau der Autobahnen aussprach. In allen drei Fällen kritisierten einige Medien Rösti scharf. Ein Begleiter sagt, dass ihn einzelne Kommentare gewurmt hätten. Der Medienminister lernte aber schnell: Wer als Bundesrat geachtet werden will, lässt sich den Ärger über eine schlechte Presse nicht anmerken.
Fragt man linke Politiker, was sie von Rösti halten, bekommt man ausweichende oder gar keine Antworten. Die Unlust zur Kritik hat erstens damit zu tun, dass die SP und die Grünen überzeugt sind von Röstis Stromgesetz. Zweitens gilt Rösti als nahbar. Er geht auf die Parlamentarier zu und schüttelt viele Hände. Rösti schüttelt ständig irgendeine Hand. Wenn kein Amtsträger in der Nähe ist, schüttelt er die Hände von Kameraleuten, Kabelträgern und von anderen Bediensteten.
Drittens heisst es in Bundesbern, dass es in der Regierung zwei Leaderfiguren gebe: Karin Keller-Sutter und Albert Rösti. Dass der Berner Oberländer nach nur eineinhalb Jahren mit einem solchen Prädikat versehen würde, war nicht absehbar. Zum guten Ruf trägt bei, dass sein Departement bei der Verbreitung von Indiskretionen relativ zurückhaltend ist. Und anders als sein Vorgänger Ueli Maurer ruft sich Rösti nicht regelmässig mit auffälligem Verhalten bei der SVP-Basis in Erinnerung.
SP-Nationalrat Roger Nordmann lässt sich im Unterschied zu seinen Parteikollegen eine Einschätzung abringen: «Bundesrat Rösti kann sehr kooperativ sein. Er geht auf das andere politische Lager ein und schliesst Kompromisse. Die Resultate sind dann gut, wie beim Stromgesetz.» Es gebe aber eine andere Seite von Rösti: «Unter dem Einfluss seines Generalsekretärs gebärdet er sich ideologisch. Dann hat er keinen Erfolg, wie kürzlich vor den Parlamentskommissionen bei der SRG-Gebühr.»
Die Kommissionen sprachen sich gegen eine Senkung der Medienabgabe aus. Sie wollen zuerst definieren, wie das Angebot der SRG künftig aussieht. Medienminister Rösti rückt aber nicht von seinem Plan ab: Die Abgabe soll auf 300 Franken sinken – zur Abwehr der 200-Franken-Initiative, für die er sich als Nationalrat einsetzte. Die SRG müsse sparen, sagt Rösti. Zugleich lobt er den Rundfunk für dessen Programme in der Romandie und der rätoromanischen Schweiz. Rösti spricht in der Öffentlichkeit inzwischen dermassen positiv über die SRG, dass sich in der SVP-Spitze ein Unbehagen ausbreitet.
Im Departement heisst es: Rösti folge im Mediendossier nicht den Einflüsterungen seines Generalsekretärs Yves Bichsel. Die Positionen habe er sich selber erarbeitet. Bichsel ist hingegen aktiv als Verfasser von Mitberichten. Darin zerpflückt er die Anträge anderer Departemente für die Bundesratssitzungen. Ein Beobachter meint aber, dass die Mitberichte aus dem Departement Rösti nicht mehr so zahlreich wie am Anfang seien. Und sie seien auch weniger schneidend als zuvor.
Ende April hält der Schweizerische Gewerbeverband im Berner Kursaal seinen Kongress ab. Gastredner ist Bundesrat Rösti. Auf dem Weg zum Rednerpult schüttelte er viele Hände. Der Verkehrsminister erklärt, warum die Schweiz breitere Autobahnen brauche. Der Ausweichverkehr in den Dörfern sei schlimm. Es ist keine mitreissende Ansprache. Aber die Zuhörer scheinen zufrieden und reihen sich ein, um Rösti zum Abschied die Hände zu schütteln.
Im Herbst den Ausbau der Autobahnen durchzubringen – das ist schwierigerer als jetzt beim Strom. Rösti wird das geschlossene linksgrüne Lager gegen sich haben. Zugleich wächst die Zahl derer, die finden: Als Bundesrat macht er es nicht schlecht. Und die SVP hat ihm ein Geschenk gemacht. Den Sieg am Sonntag erringt Rösti nicht als Parteisoldat, sondern gegen die SVP-Spitze. Er gewinnt damit an Statur. (aargauerzeitung.ch)
Die Ironie liegt darin, dass die SVP sich immer als die einzige Partei aufführt (Spoiler: ist sie nicht!), die behauptet, den Volkswillen zu respektieren. Und Rösti hat bei seinen ersten Entscheidungen reihenweise den Volkswillen missachtet, um SVP Politik zu machen. Was er vergisst ist, dass er nicht BR für seine Partei ist, sondern für die ganze Schweizer Bevölkerung. Er missachtet die Volksabstimmung zum Jagdgesetz (die Gerichte haben Rösti schon widersprochen).