Jetzt sogar Schweden: Die Skandinavier sind am Freitag von ihrem Sonderweg abgekommen und haben die Weichen Richtung Lockdown gestellt. Alle öffentlichen Einrichtungen wie Schwimmhallen und Bibliotheken werden bis mindestens am 24. Januar geschlossen. Schulen ab der 10. Klasse bleiben zu. Für Restaurants und Geschäfte werden Besucherbeschränkungen eingeführt. Sämtliche Arbeitnehmer sind aufgefordert, von zu Hause zu arbeiten, sofern das irgendwie möglich ist. Zudem wird neu im öffentlichen Verkehr Mundschutz empfohlen.
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«Ich hoffe, dass alle jetzt den Ernst der Lage verstehen», sagte Regierungschef Stefan Löfven. Die Zahl der Ansteckungen steigt in Schweden zur Zeit schnell und liegt proportional zur Bevölkerungszahl sogar über derjenigen der Schweiz. Die Todeszahlen sind rund ein Drittel tiefer als in der Schweiz, aber auf hohem Niveau, ähnlich wie in Deutschland und den USA. Zudem ist die Situation auf den Intensivstationen prekär, insbesondere in Stockholm: Es fehlt nicht so sehr an Plätzen, aber an gesundem Personal.
Dennoch kamen die Restriktionen überraschend. Staatsepidemiologe Anders Tegnell hatte mit Rückendeckung der Regierung monatelang an der rein auf Empfehlungen basierenden Strategie festgehalten. Jetzt reizt die Regierung alle Möglichkeiten zu Einschränkungen aus. Weitergehen kann sie derzeit nicht. Das verschärfte Pandemiegesetz geht wohl erst im März durchs Parlament.
Die Kritik an Regierung und Gesundheitsbehörde war zuletzt deutlich lauter geworden. König Carl Gustav sprach diese Woche in einem Fernsehinterview von einem «Misserfolg». Die hohen Todeszahlen seien «fürchterlich». «Ich denke, wir sind gescheitert», sagte er. Die Aussagen haben Aufsehen erregt, denn der Monarch äussert sich traditionell nie zur Politik.
Trotz der Entwicklung geniessen Regierung und Behörden in der Bevölkerung nach wie vor Rückhalt. Aber er bröckelt. Laut einer neuen Umfrage hatten im Oktober 68 Prozent der Befragten «grosses Vertrauen» in die Gesundheitsbehörde, heute sind es noch 52. Auch die Zustimmungswerte für Staatsepidemiologe Tegnell sind deutlich gefallen.
Über die Strategie gehen die Meinungen weit auseinander. «Im Frühling fand ich die Strategie gut, aber jetzt sollte sie strikter sein», sagt etwa Viktoria Johansson. Die 49-jährige Schwedin glaubt, mit früheren, härteren Einschränkungen hätte man die «traurige Situation mit den vielen Toten in Altersheimen» und die vielen Ansteckungen in den engen Siedlungen der Vororte besser vermeiden können. Jetzt würden wenigstens mehr Leute zu Hause arbeiten müssen. Dennoch ist Johansson froh, dass es keinen weitergehenden Lockdown gab, aus ökonomischen und sozialen Gründen – ein oft gehörtes Argument in Schweden.
Der Hochschuldozent Dan Kärreman aus Göteborg hielt die bisherige Strategie für «vernünftig». Es sei wichtig, dass in Schweden die Grundrechte wie Bewegungsfreiheit geschützt seien und man an die Eigenverantwortung appelliere. Viele andere Länder hätten ja im Herbst auch Empfehlungen statt Verbote gewählt. Zwar seien die Todeszahlen in Schweden ohne Zweifel hoch, doch das gelte auch für andere Länder. «Schweden hat sich doch ziemlich durchschnittlich gehalten, immerhin», findet Kärreman – auch ohne Lockdown.
Mit den neuen Massnahmen vom Freitag gesteht die Regierung allerdings ein, dass sie den bisherigen Weg nicht mehr für ausreichend hält. «Wir tun, was wir immer getan haben in dieser Pandemie», erklärte Regierungschef Stefan Löfven: «Die richtigen Massnahmen zur richtigen Zeit.»