Wer hätte gedacht, dass es dies je geben würde? Impfreisen. Jetzt sind sie da. Sie wurzeln in der Corona-Pandemie, der Impfstoffknappheit und dem Wunsch nach Normalität. Wir werfen einen Blick darauf.
Sucht man auf Google nach «Impfreise», erscheint zuoberst die Seite meine-impfreise.com. Sie gehört dem norwegischen Reiseveranstalter World Visitor.
Im Angebot stehen folgende drei Reisen, welche alle die Impfung in einer russischen Privatklinik zum Ziel haben:
Die erste Option besteht aus je zwei 4-tägigen Reisen nach Moskau. Nach der Anreise am ersten Tag erhält man die Sputnik-Spritze am zweiten Tag, hat den dritten Tag zur freien Verfügung und fliegt am vierten Tag wieder zurück. Der ganze Spass wiederholt sich drei Wochen später nochmal. Für umgerechnet 2200 CHF ist man dabei.
Für einen Preis von 3300 CHF kann man sich eine 23-tägige Impfreise gönnen, wobei die Zeit zwischen der ersten und zweiten Dosis in einem Kurhotel verbracht wird.
Die Moskau- und Türkei-Kombi stellt das günstigste Angebot dar. Für 2000 CHF kriegt man zu Beginn die erste Impfung in Moskau, begibt sich dann auf eine 7-tägige Türkei-Rundreise mit anschliessend 11-tägigem Badeaufenthalt und kehrt dann für die zweite Dosis nach Moskau zurück. Der Haken: Bei dieser Reise soll die Impfung im Transit-Bereich des Moskauer Flughafens verabreicht werden. Das entsprechende Impfzentrum ist allerdings noch nicht eröffnet. Zudem steht die Türkei auf der BAG-Liste der Risikoländer, weshalb eine Quarantäne nach der Rückreise Pflicht ist.
Meine-impfungen.com ist nicht der einzige Anbieter, auch impfreisen.at und fitreisen.de hatten ähnliche Angebote, haben sich nun aber zurückgezogen. Mehr dazu später.
Nicht nur die Reiseanbieter nutzen die Impfstoffknappheit oder das schleppende Impftempo zu ihrem Vorteil. Auch Russland selbst scheint ein Interesse daran zu haben, ausländische Touristinnen und Touristen mit einem Impfversprechen ins Land zu locken.
Wozu? Wie Russland-Korrespondent David Nauer gegenüber SRF sagt, könne man den Impftourismus durchaus als eine PR-Strategie des Landes betrachten. Russland stelle sich so als humanitäres Land, als wissenschaftliche Grossmacht und als Land, welches die Pandemie besser im Griff habe, dar.
Dennoch ist die Botschaft Russlands nicht eindeutig: Einerseits sagt Aleksej Kusnezow vom russischen Gesundheitsministerium, die Impfung der eigenen Bevölkerung habe höchste Priorität, andererseits erteilt das Land ausländischen Touristen die Erlaubnis, sich impfen zu lassen.
Ein Blick auf Twitter zeigt, dass sogar Sputnik selbst an einem Impfprogramm für Ausländerinnen und Ausländer arbeitet:
Tell your friends to follow Sputnik V on Twitter!✌️
— Sputnik V (@sputnikvaccine) April 1, 2021
Our social media followers will be the first to be invited to get #SputnikVaccinated in Russia when the program starts. pic.twitter.com/Sxn17cjlmQ
Ungünstigerweise wurde dieser Tweet am 1. April geteilt, was wohl für einige Fragezeichen gesorgt hat. Sputnik V klärt schnell auf:
Sputnik V mission is to save lives and bring back normality to everyone around the world. It's of paramount importance to us. Just to be clear, this was not an April Fools' Day joke. We are working to start this program in July.
— Sputnik V (@sputnikvaccine) April 1, 2021
Die Angebote scheinen verlockend, denn in der Schweiz müssen sich gesunde junge Menschen noch etwas gedulden, bis sie die Spritze erhalten. Gemäss des Impfzieles des BAGs sollten bis Ende Juni alle Impfwilligen geimpft sein. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Schweiz allerdings noch einige Hürden überwinden. Wieso also nicht für eine Impfung ins Ausland reisen?
Das Geschäft mit dem Impftourismus bewegt sich zwischen zwielichtigen Angeboten und moralischer Fragwürdigkeit, schreibt merkur.de. Viele Angebote seien unseriös und auch wenn sie seriös seien, so stelle sich die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit. Wie der deutsche SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gegenüber dem WDR sagte, sollten übrige Impfdosen in bedürftige Länder geschickt werden, welche Schwierigkeiten hätten, ihre Bürgerinnen und Bürger zu impfen. Solche Impfreisen hält er hingegen für «ein unethisches Geschäftsmodell».
In der Rubrik «Fragen» beantwortet meine-impfreise.com die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit ihres Angebotes gleich selbst und sieht darin kein Problem. Denn es werde ja niemandem der Impfstoff weggenommen. Jede Person, die dies wolle, könne sich in Moskau impfen lassen. Zudem exportiere Russland den Impfstoff Sputnik V bereits in 31 andere Länder oder vergebe Lizenzen dafür. Weiter schreiben sie:
Dennoch: Die Seite operiert nach dem Prinzip «de schnäller isch de gschwinder». Wer zuerst bucht, erhält einen der beschränkten Plätze – unabhängig des Alters und Gefährdungsrisikos.
Auch wenn man in solchen Impfreisen nichts Verwerfliches sehen sollte, gibt es dennoch zwei wichtige Punkte zu beachten.
Auch in der Schweiz sind grössere Impfstoff-Lieferungen und ein Ausbau der Impfkapazität angekündigt worden. Bei Erreichen des angepeilten Impfziels, werden alle Impfwilligen bis Ende Juni geimpft sein. Und dies kostenlos.
Habe verstanden