Die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln haben die Diskussion über sexuelle Gewalt in Deutschland angeheizt. Das Parlament beschliesst nun eine Strafrechtsverschärfung.
Nach dem Grundsatz «Nein heisst Nein» macht sich dann nicht nur derjenige strafbar, der Sex mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt. Es genügt vielmehr, dass sich der Täter – meistens ein Mann – über den «erkennbaren Willen» des Opfers – in den meisten Fällen eine Frau – hinwegsetzt. Über eine entsprechende Gesetzesverschärfung wird der Bundestag am Donnerstag entscheiden.
Um die Reform wurde in Deutschland lange gerungen, und sie ist auch jetzt nicht unumstritten. Angeheizt wurde die Diskussion durch die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln und anderen deutschen Städten, als junge Männer – laut Zeugen meist Zuwanderer aus dem arabisch-nordafrikanischen Raum – in grosser Zahl Frauen belästigten, begrapschten und beraubten. Als eine Konsequenz sollen jetzt auch aufdringliches Grapschen und sexuelle Attacken aus einer Gruppe heraus als Straftatbestände festgeschrieben werden.
Das Justizministerium in Berlin hatte eigentlich schon im Sommer 2015, also lange vor Silvester, eine Strafrechtsreform erarbeitet. Doch die Beratungen zogen sich in die Länge, und erst im März dieses Jahres wurde der Gesetzentwurf vom Kabinett verabschiedet. Vielen Experten, Frauenrechtlerinnen, Politikern und auch dem deutschen Bundesrat (Länderkammer) ging dieser Entwurf nicht weit genug, weil er unter anderem das «Nein-heisst-Nein»-Prinzip nicht festschrieb.
Die Fraktionen der regierenden Christ- und Sozialdemokraten einigten sich aber auf verschiedene Nachbesserungen am Entwurf, über den das Parlament abstimmen wird. Über letzte Details des Gesetzestextes wurde am Mittwoch noch im Rechtsausschuss des Bundestages beraten, aber das Grundprinzip steht.
«‹Nein heisst Nein› wird zukünftig Gesetz, und damit sind wir endlich auf einem guten Weg im Sexualstrafrecht», sagte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Eva Högl, nach der Einigung im Juni.
Jede nicht einvernehmliche sexuelle Handlung sei künftig strafbar, das Opfer müsse sich nicht mehr aktiv wehren. Die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, sprach von einem «Meilenstein für die Wahrung der Rechte der Frauen».
In einer Umfrage des ARD-«Morgenmagazins» befürwortete eine grosse Mehrheit der Deutschen die Verschärfung. Laut Statistiken machen Sexualstraftaten in Deutschland allerdings weniger als ein Prozent der erfassten Gesamtkriminalität aus, Tendenz fallend.
Kritisch zu dem Gesetz äusserte sich die Strafrechtsprofessorin Monika Frommel. In Interviews mit mehreren Medien nannte sie es «unnötig» oder gar «kontraproduktiv».
Es werde dann zwar häufiger als bisher zu Anklagen kommen. «Aber da die Beweislage so schwierig bleibt wie bislang, wird die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten häufiger das Angebot machen, gegen Zahlung einer Geldbusse der Einstellung zuzustimmen», sagte sie der «Berliner Zeitung». Dann werde es oft gar nicht mehr zur Gerichtsverhandlung kommen.
Die renommierte Wochenzeitung «Die Zeit» sprach von einer «unnötigen und verhängnisvollen Verschärfung des Sexualstrafrechts». Sie warnte davor, dass mit dem neuen Gesetz leichter als bisher Männer zu Unrecht einer Vergewaltigung bezichtigt und Unschuldige verurteilt werden könnten.
Denn die Wahrheitsfindung werde «in die persönliche Deutungshoheit der Anzeigeerstatterin» gelegt. «Was leidenschaftliche Liebesnacht und was Vergewaltigung war, definiert die Frau am Tag danach», warnte die Autorin.
(sda/dpa)