Wie im Kalten Krieg: Deutschland will wieder alle 18-jährigen Männer mustern
70 Jahre nach ihrer Gründung am 12. November 1955 beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte der deutschen Bundeswehr. In gewisser Weise kehrt sie zurück zu ihren Wurzeln, denn Deutschlands Wiederbewaffnung nach dem Zweiten Weltkrieg, die mit dem Segen und auch auf Wunsch der westlichen Besatzungsmächte USA, Grossbritannien und Frankreich geschah, stand im Zeichen des Kalten Krieges.
Damals galt es, der sowjetischen Bedrohung eine respektgebietende Territorialstreitmacht entgegenzustellen; Ende der 1980er-Jahre stellte Deutschland die zweitgrösste Armee innerhalb der Nato.
Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde der Truppenbestand schrittweise reduziert; eine schlanke Eingreiftruppe, die rasch bei Konflikten in aller Welt intervenieren kann, war nun das Ziel. Heute, nach Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine, soll die Bundeswehr wieder wachsen: Bis zum Jahr 2031 von derzeit 180’000 aktiven Soldaten auf 260’000 und von 50’000 Reservisten auf 200’000.
Für Frauen bleibt die Musterung freiwillig
Darüber, dass dafür die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wieder angewandt werden müsse, bestand in Berlin seit längerem Einigkeit. Über die genaue Ausgestaltung waren sich die Koalitionspartner Union und SPD aber lange uneinig. Am späten Mittwochabend haben sie sich auf ein Modell geeinigt.
Demnach sollen ab dem nächsten Jahr alle jungen Männer gemustert werden, die am 1. Januar 2008 oder später geboren wurden. Zusätzlich soll ein Fragebogen an alle 18-jährigen Männer und Frauen versendet werden; die Männer müssen ihn ausfüllen, die Frauen dürfen dies tun. Damit will das Verteidigungsministerium erfassen, wer zum Dienst bereit ist.
Sollten sich nicht genügend Freiwillige finden, um die angestrebte Truppenstärke zu erreichen, soll der Bundestag über eine sogenannte Bedarfswehrpflicht entscheiden können, bei der auch ein Losverfahren darüber entscheiden könnte, wer zum Dienst einrücken muss.
Damit hat sich der sozialdemokratische Verteidigungsminister Boris Pistorius durchgesetzt. Die Union hatte zunächst ein Modell favorisiert, bei dem das Los unter Umständen auch darüber entschieden hätte, wer überhaupt zur Musterung erscheinen muss. Pistorius äusserte Bedenken, ob dieses doppelte Losverfahren verfassungsrechtlich haltbar sei.
Wer freiwillig dient, soll besser entlohnt werden
«Ich bin sehr zufrieden», sagte der Verteidigungsminister nach einer Sondersitzung der SPD-Bundestagsfraktion am Donnerstagmorgen. Keiner seiner Fraktionskollegen habe sich gegen das nun beschlossene Verfahren ausgesprochen. Zufrieden äusserten sich auch Politiker der Christdemokraten und Christsozialen, deren gemeinsame Fraktion dem Kompromiss ebenfalls zustimmte.
Um mehr junge Leute zum Dienst in der Bundeswehr zu animieren, haben sich die Koalitionsparteien auch auf zusätzliche finanzielle Anreize geeinigt: So sollen Freiwillige künftig 2600 Euro brutto im Monat verdienen. Wer sich für mehr als ein Jahr verpflichtet, soll ausserdem einen Zustupf zur Finanzierung seines Führerausweises erhalten. (aargauerzeitung.ch)
