Merz übt scharfe Kritik an Pistorius: «Hat er wohl nicht mitbekommen»
Die Union macht Druck für eine Reaktivierung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht. Die Parteichefs von CDU und CSU, Kanzler Friedrich Merz und Markus Söder, machten am Sonntagabend deutlich, dass eine Freiwilligkeit wohl nicht ausreicht, um mehr Soldaten für die Bundeswehr zu bekommen. SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf pocht hingegen genau darauf.
Der vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf setzt zunächst auf Freiwilligkeit. Die erste Lesung im Bundestag war ursprünglich am 9. Oktober angesetzt, wurde aber nun um eine Woche verschoben.
Die Bundeswehr benötigt etwa 80'000 zusätzliche aktive Soldaten. Denn die Nato hält für die Truppe eine Grössenordnung von 260'000 für erforderlich, um einem Angriff etwa Russlands standzuhalten. Der Gesetzentwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) setzt auf Freiwilligkeit, um mehr junge Leute für die Bundeswehr zu gewinnen, und auch auf einen finanziell attraktiveren Dienst.
Der Kanzler zeigte sich in der ARD-Sendung «Caren Miosga» skeptisch. «Wir wollen das jetzt mit der SPD zunächst freiwillig versuchen hinzubekommen», sagte Merz – und fügte hinzu: «Ich bin skeptisch. Wenn es uns gelingt – umso besser.» Aus der Union kommt zudem der Einwand, dass im Gesetzentwurf nicht genau definiert wird, unter welchen Bedingungen die bisher geplante Freiwilligkeit in eine neue Pflicht umgewandelt werden könnte.
Merz für allgemeines gesellschaftliches Pflichtjahr
Merz sagte: «Ich bin dafür, dass wir das machen, was wir im Koalitionsvertrag verabredet haben, nämlich vorläufig freiwillig. Aber ich vermute, es wird bei Freiwilligkeit allein nicht bleiben». Ferner sprach sich der Kanzler für ein «allgemeines gesellschaftliches Pflichtjahr in Deutschland» aus. Dafür brauche es aber eine Grundgesetzänderung. Erst danach könnten auch Frauen einbezogen werden.
Verärgert zeigte sich der CDU-Politiker über die Kritik von Minister Pistorius an der Unionsfraktion. Die Verschiebung der Bundestagsdebatte über Pistorius' Gesetzentwurf zum neuen Wehrdienst sei «schon vor einigen Tagen» gemeinsam von den Fraktionen von Union und SPD vereinbart worden – dafür sei nicht, wie von Pistorius behauptet, allein die CDU/CSU verantwortlich. Mit Blick auf Pistorius übte der Kanzler scharfe Kritik: «Es kann sein, dass er die internen Vorgänge im Parlament nicht so mitbekommen hat.»
Bayers Ministerpräsident Söder hatte in der «Bild am Sonntag» eine schnelle Rückkehr zur Wehrpflicht verlangt. «An der Wehrpflicht führt kein Weg vorbei. Halbe Sachen reichen nicht mehr. Eine Wischiwaschi-Wehrpflicht hilft niemandem», sagte der CSU-Chef. Im ARD-«Bericht aus Berlin» bekräftigte er die Forderung. Wenn man nicht definiere, wie viele Soldaten wann gebraucht werden, beginne man in zwei, drei oder vier Jahren von Neuem. Dann sei es angesichts der Bedrohungen durch Russland möglicherweise zu spät, meinte Söder.
SPD pocht auf Freiwilligkeit
Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Henning Otte, schlägt in dieselbe Kerbe. «Es mag zwar grundsätzlich löblich sein, auf Freiwilligkeit zu setzen, allerdings gibt es erhebliche Zweifel daran, ob dies wirklich gelingen kann und auch der Lage angemessen ist», sagte der CDU-Politiker der «Rheinischen Post».
SPD-Generalsekretär Klüssendorf zeigte sich verärgert über die neu aufkommende Diskussion. «Wir haben uns in der Koalition gemeinsam auf einen klaren Weg verständigt: Der neue Wehrdienst wird freiwillig sein. Punkt», sagte Klüssendorf dem Magazin «Stern». Er warnte: «Wer wieder und wieder Debatten aufwärmt, schwächt die Glaubwürdigkeit der Politik und verunsichert junge Menschen.» Er fügte hinzu: «Wir werben bei jungen Menschen, sich in der Bundeswehr für unser Land zu engagieren – ohne Pflicht, aber mit Perspektiven: mit guter Ausbildung, attraktiven Chancen und hoher Anerkennung.»
Gelassener äusserte sich SPD-Fraktionsvize Siemtje Möller. Verschiebungen bei Tagesordnungen seien keine Besonderheit, sagte die Verteidigungsexpertin der «Rheinischen Post». Möller betonte: «Wir gehen davon aus, dass allen Beteiligten die Dringlichkeit einer Verabschiedung sehr bewusst ist und wir deswegen zügig zu einer ersten Lesung und dann auch zu einer Verabschiedung des Gesetzes vor Jahresende kommen.»