Diese Frau überlebt sogar ihre designierte Nachfolgerin: Während Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) vom politischen Sturm, der seit der umstrittenen Wahl in Thüringen durch Deutschland peitscht, hinweggerissen wurde, steht Angela Merkel scheinbar fest auf ihrem Sockel. Sehr stabil ist dieser allerdings nicht mehr.
Zum einen, weil Merkel nur noch Kanzlerin auf Zeit ist. 2021 ist Schluss, hat sie versprochen. Zum anderen durch eine Forderung der abtretenden Parteichefin: AKK insistierte am Tag ihrer Rücktrittsankündigung, dass Parteiführung und Kanzlerkandidatur in eine Hand gehören.
Das wird wohl auch so kommen. Da stellt sich die Frage: Was bedeutet das für Merkel und die CDU? Muss die Kanzlerin früher abtreten als geplant? Gibt es Neuwahlen? Diese Zeitung hat mit dem Politologen Heinrich Oberreuter die möglichen Szenarien durchgespielt.
Formal fällt die Entscheidung über AKKs Nachfolge an einem Parteitag im Dezember. Viel zu spät, meint Oberreuter. Der Professor von der Universität Passau hält es für wahrscheinlich, dass die CDU bereits vor der Sommerpause einen neuen Chef findet und diesen dann auch zum Kanzlerkandidaten kürt.
Im Rennen sind drei Favoriten aus Nordrhein-Westfalen (NRW) und ein bayerischer Joker. Wer aus dem Trio Armin Laschet, Jens Spahn und Friedrich Merz die besten Chancen hat, ist derzeit weit offen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder käme wohl nur zum Zuge, wenn die CDU zur Einsicht gelangt, dass sie keinen eigenen Kandidaten aufstellen kann.
Von den Beteuerungen Söders, dass München doch so schön sei und er keinerlei Ambitionen auf die Kanzlerschaft hege, hält Oberreuter nicht viel. «Gerede», sagt er. «Wenn der Ruf kommt, wird Söder ihn annehmen.» Oberreuter, selbst CSU-Mitglied, macht auch keinen Hehl daraus, dass er Söder den Job zutrauen würde.
Wahrscheinlicher ist jedoch ein NRW-Kandidat. Heisst er Armin Laschet oder Jens Spahn, könnte Merkel auf ihrem bröckelnden Sockel möglicherweise bis 2021 ausharren. Das hiesse zwar, dass die Ämterverteilung dieselbe wäre, die bereits AKK das politische Genick gebrochen hat: Über dem Kandidaten würde eine präsidiale Kanzlerin schweben. Auch wenn es nicht auszuschliessen sei, hält es Oberreuter dennoch für unwahrscheinlich, dass einer der beiden Kandidaten «der Kanzlerin die Pistole auf die Brust setzen» und sie zum Platz machen auffordern würde. Es gelte dann, «auf disziplinierende Kräfte innerhalb der Partei zu hoffen», die die friedliche Co-Existenz von Kanzlerin und Parteichef für eine Übergangszeit bis zur Wahl ermöglichten. Gleichwohl hätte der Wahlkampf etwas Rückwärtsgewandtes, sollte Merkel «am Amt kleben».
Möglich wäre aber auch mit Laschet und Spahn, dass die Partei oder die Kanzlerin höchst selbst die Reissleine zieht und die Ära Merkel ein jähes Ende findet. Zwei Möglichkeiten kämen dafür in Frage: Merkel könnte die Vertrauensfrage stellen und eine Mehrheit im Bundestag einen anderen Kanzler bestimmen. Dieser würde dann mit dem Amtsbonus in den Wahlkampf ziehen. Dass die SPD dabei mitmacht, ist allein deshalb fraglich. Die zweite Möglichkeit wären Neuwahlen.
Und wenn sich Merz die Kandidatur sichert? «Wenn Merz der Kandidat wird, dann gibt es Revolution», sagt Oberreuter. Kaum vorstellbar, dass die alten Widersacher Merkel und Merz gemeinsam in den Wahlkampf ziehen. Merz hat mit der Kanzlerin noch eine alte Rechnung offen: Sie drängte ihn vor fast zwei Jahrzehnten von der Fraktionsspitze. Würde er Kandidat, könnte er sich jetzt dafür revanchieren.
Der Blick in die Kristallkugel weist demnach – ohne Gewähr, versteht sich – dieses Szenario als das wahrscheinlichste aus: Die CDU findet bis zum Sommer einen neuen Chef. Wird es Laschet oder Spahn, könnte die Koalition bis 2021 überleben. Wird es Merz, wählt Deutschland wohl schon früher. Vermasseln es jedoch alle drei, könnte ein Bayer zum Zug kommen.