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Klingbeil: SPD-Chef wollte Scholz von Kanzler-Kandidatur abbringen

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SPD-Chef Lars Klingbeil (l.) mit Bundeskanzler Olaf Scholz: Nicht die erste Wahl.Bild: keystone

Grosses Zerwürfnis? SPD-Chef wollte Scholz von Kanzler-Kandidatur abbringen

Scholz oder Pistorius? Im Machtkampf um die K-Frage stellte sich die SPD-Spitze öffentlich hinter den Kanzler. Doch intern verfolgte Parteichef Lars Klingbeil einen anderen Plan.
05.02.2025, 11:30
Daniel Mützel, Christoph Schwennicke / t-online
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Ein Artikel von
t-online

SPD-Chef Lars Klingbeil hat Olaf Scholz nach gemeinsamen Recherchen von t-online und «Tagesspiegel» wiederholt nahegelegt, auf eine erneute Kanzlerkandidatur zu verzichten. Nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Quellen in der SPD sowie im Umfeld der Partei wurde Klingbeil deshalb mindestens zweimal bei Scholz vorstellig.

Er trug damit den Bedenken der engeren SPD-Führung sowie mächtiger SPD-Landesverbände Rechnung, die intern für eine Kandidatur von Verteidigungsminister Boris Pistorius als beliebtestem deutschen Politiker plädierten. Nach dem Bruch der Ampelkoalition im November 2024 und angesichts schlechter Umfragewerte des Kanzlers wurden die Chancen auf eine Wiederwahl von Olaf Scholz parteiintern als zunehmend unwahrscheinlich bewertet.

Nach Informationen von t-online und «Tagesspiegel» war die SPD-Führung, insbesondere Klingbeil und dessen Co-Vorsitzende Saskia Esken sowie SPD-Generalsekretär Matthias Miersch, zur Überzeugung gelangt, dass mit Scholz als Kanzlerkandidaten die vorgezogene Bundestagswahl kaum zu gewinnen sei. Scholz beharrte in den Gesprächen mit dem SPD-Vorsitzenden jedoch auf seinem Anspruch.

Klingbeil war am Dienstag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Eine Sprecherin der SPD liess ausrichten: «Ich dementiere die Meldung. Die Darstellung ist falsch.» Worauf sich das Dementi bezieht, war auf Nachfrage bis zum Veröffentlichungszeitpunkt unklar.

«Jemand muss mit Olaf reden»

Bei mindestens einem der Treffen, bei denen Scholz der Verzicht auf eine erneute Kandidatur nahegelegt wurde, war Klingbeil laut Informationen von t-online nicht alleine. So sollen am 17. November neben Klingbeil auch dessen Co-Vorsitzende Saskia Esken und Fraktionschef Rolf Mützenich Scholz im Kanzleramt besucht haben.

03.12.2024, Berlin: Boris Pistorius (l, SPD), Bundesminister der Verteidigung, und Lars Klingbeil, Vorsitzender der SPD, unterhalten sich vor Beginn der Fraktionssitzung der Bundestagsfraktion der SPD ...
Der Parteichef und der Umfragekönig, Verteidigungsminister Boris Pistorius (l): Stünde die SPD mit Pistorius jetzt besser da?Bild: DPA

Dem Krisentreffen in der Regierungszentrale ging eine andere wichtige Zusammenkunft voraus: Zwei Tage zuvor, am Morgen des 15. November, schaltete sich der geschäftsführende Fraktionsvorstand der SPD zusammen. Thema war laut Informationen von t-online auch hier die K-Frage, insbesondere die schwierige Ausgangslage mit einem Kandidaten Olaf Scholz.

Mehrere Teilnehmer, darunter die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Achim Post und Dirk Wiese, sollen darauf gedrungen haben, dass man auf Scholz zugehen müsse, damit dieser den Weg für Pistorius freimache. «Jemand muss mit Olaf reden», sagte ein Teilnehmer des Gesprächs.

Der Aufruf zeigte offenbar Wirkung: Direkt im Anschluss an die Schalte traf sich Fraktionschef Rolf Mützenich mit Parteichef Klingbeil und Generalsekretär Miersch, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Zeitgleich beschlossen die Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP im Bundestag, die «Haushaltswoche» Ende November abzusagen, da aufgrund des Ampelbruchs kein Haushalt zustande gekommen war. Das parallel stattfindende Krisentreffen der drei Spitzengenossen lässt sich auch anhand der Videoaufzeichnung der Plenarsitzung indirekt nachvollziehen: In den Reihen der SPD-Fraktion fehlten Klingbeil, Mützenich und Miersch.

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Spitzengenossen Miersch, Esken, Scholz, Mützenich, Klingbeil (v.l.n.r.) auf dem Parteitag im Januar: Geschlossenheit nach aussen, Zweifel nach innen.Bild: keystone

Woche der Entscheidung

Doch mit dem Gang ins Kanzleramt am 17. November war die K-Frage in der SPD noch immer nicht abschliessend geklärt. Am Nachmittag flog Scholz nach Rio de Janeiro zum G20-Gipfel. In den darauffolgenden Tagen wurde die Kandidatendebatte in der SPD auch zunehmend in der Öffentlichkeit ausgetragen.

Während der Kanzler in Brasilien weilte, wuchs der Druck auf ihn stetig. Noch am Tag des Abflugs der Kanzlermaschine meldete sich der Ex-Partei- und Fraktionschef der SPD, Franz Müntefering, im «Tagesspiegel» zu Wort und sprach Scholz das Vorrecht auf die Kanzlerkandidatur ab. Kurz darauf plädierten mehrere Bundestagsabgeordnete und Kommunalpolitiker öffentlich für einen Kanzlerkandidaten Boris Pistorius.

Ein mächtiger Landesverband interveniert

Am Mittwoch, 19. November, schalteten sich zwei einflussreiche Genossen aus NRW in die Debatte ein. SPD-Fraktionsvize und Co-Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Dirk Wiese, und Wiebke Esdar, Co-Vorsitzende der Parlamentarischen Linken (PL), erklärten in einem Statement: «Im Zentrum steht die Frage, was die beste politische Aufstellung jetzt für diese Bundeswahl ist. Dabei hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius.»

Wiese, von 2010 bis 2013 Münteferings Bürochef, und Esdar sind zugleich Vorsitzende der NRW-Landesgruppe – der grössten Landesgruppe der SPD-Bundestagsfraktion. Im mächtigen SPD-Landesverband in NRW mit dessen Chef Achim Post war der Zuspruch für Pistorius besonders hoch. Doch auch in anderen Landesverbänden, insbesondere an der SPD-Basis, gab es vermehrt Stimmen, die einen Kandidatenwechsel forderten.

Auch Pistorius liess die Debatte laufen

Dass die SPD überhaupt ernsthaft das Szenario diskutierte, einen amtierenden Kanzler zum Rückzug zu bewegen, lag an ihrer schwierigen Situation. Eine Serie von Wahlniederlagen im Sommer und Herbst, dauerhaft schlechte Umfragewerte und eine gescheiterte SPD-geführte Bundesregierung hatten für viel Unmut in der Partei gesorgt. Über Monate stauten sich Frust und Enttäuschung an, bis die Zweifel an einer erneuten Kandidatur von Olaf Scholz ihren Weg in die Öffentlichkeit fanden.

Auch Pistorius hatte seinen Anteil daran, die K-Debatte am Köcheln zu halten. Bei einem Auftritt am 18. November in Passau sagte der Minister, danach gefragt, ob er eine Kanzlerkandidatur ausschliesse: «In der Politik sollte man nie irgendetwas ausschliessen». Das Einzige, was er definitiv ausschliessen könne, sei das Papstamt.

Entscheidende Krisensitzung – ohne Scholz

Doch auch wenn die SPD-Spitze mit Scholz haderte, entschied sie sich am Ende nicht für Pistorius. Eine entscheidende Krisensitzung fand am Abend des 19. November statt. Die engste Parteiführung schaltete sich kurz nach 20 Uhr zu einer Telefonkonferenz zusammen, auch um die Kandidatenfrage zu klären.

Der Kanzler, dessen Maschine in Brasilien kurz darauf abhob, nahm nicht daran teil. Laut Informationen von t-online sprachen die Teilnehmer der Runde zwar offen über die parteiinterne Kritik an Scholz, unterstützten am Ende aber mehrheitlich dessen erneute Kandidatur.

Am Ende ist es Pistorius, der verzichtet

Zwei Tage später, am 21. November, erklärte Pistorius schliesslich seinen Verzicht. Gegen Mittag rief er Klingbeil an, um ihn darüber zu informieren. Kurze Zeit später traf Pistorius im Willy-Brandt-Haus ein, der Parteizentrale der SPD in Berlin, um ein Videostatement aufzuzeichnen. Der Text wurde gemeinsam von Pistorius und der Parteispitze verfasst. In dem rund dreiminütigen Clip, der am Abend über SPD-Kanäle verschickt wurde, erklärte Pistorius seine Entscheidung und empfahl Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten der SPD.

In einer anschliessenden virtuellen Fraktionssitzung nannte Pistorius zudem private Gründe für seinen Verzicht. Olaf Scholz wurde kurze Zeit später per Beschluss des SPD-Vorstands zum Kanzlerkandidaten gekürt und vom Parteitag im Januar offiziell bestätigt.

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Die Karriere von Bundeskanzler Olaf Scholz in 8 Bildern
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Die Karriere von Bundeskanzler Olaf Scholz in 8 Bildern
Scholz wird 1958 in Osnabrück geboren und wächst als ältester von drei Brüdern auf. Nach bestandenem Abitur und Zivildienst, studiert Scholz Rechtswissenschaften in Hamburg und wird Anwalt. Bereits 1975 als Gymnasiast beginnt er sich bei den Jusos zu engagieren und wird später stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender.
quelle: gladstone~dewiki, cc by-sa 4.0 via wikimedia commons
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Zuschauerin bewirft Lindner mit Torte
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65 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Idealisst, Fabulisst, Alchemisst
05.02.2025 11:49registriert Januar 2014
Das muss ich auch als Sympathisant sozialdemokratischer Politik sagen: Mit Scholz ist keine Wahl mehr zu gewinnen. So wohltuend ich im letzten Wahlkampf seine «Unaufgeregtheit» fand, so enttäuscht bin ich über seine blasse, schwache und mutlose Politik als Kanzler.
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FrancoL
05.02.2025 12:01registriert November 2015
Ein satter Fehler der SPD, die damit 2-3 Prozentpunkte verschenkt hat. Die SPD ist für mich als Altlinker nicht mehr zu verstehen. Diese Verbissenheit in die Macht und erst noch mit ungenügender Qualifikation ist nicht brauchbar. Und es nützt auch nichts wenn andere Parteien das gleiche Problem haben, man muss zuerst bei sich anfangen liebe SPDler.
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Migeek
05.02.2025 11:43registriert Dezember 2022
Scholz möcht halt, wie bisher, das beste für Scholz...

relativ unwichtig was für die Partei oder das Land gut wäre
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65
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