Der Bundestag hat den auch wegen einer Unterstützung durch die AfD heftig diskutierten Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Begrenzung der Migration abgelehnt. Sitzungsleiterin Petra Pau teilte mit, das «Zustrombegrenzungsgesetz» habe in zweiter Lesung keine Mehrheit gefunden. Damit entfiel die dritte Lesung mit der Schlussabstimmung.
Nach Angaben des Bundestages gaben 692 Abgeordnete ihre Stimmen ab: 338 Ja-Stimmen, 349 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen. Zuvor hatten neben Vertretern von CDU/CSU auch Abgeordnete der AfD, der FDP, des BSW und Fraktionslose Zustimmung signalisiert. SPD und Grüne hatten die Pläne heftig kritisiert. Kritiker hatten gewarnt, die «Brandmauer» anderer Parteien zur AfD falle, wenn ein Gesetz verabschiedet werde, für das AfD-Stimmen massgeblich gewesen wären.
Der Ablauf der Debatte und die Reaktionen in neun Punkten:
Aus der Unionsfraktion gab es nach Angaben des Bundestags keine Gegenstimmen. Allerdings gaben 12 Unionsabgeordnete ihre Stimme nicht ab. Aus der FDP-Fraktion, die zuvor ebenfalls ihre Zustimmung signalisiert hatte, gab es fünf Enthaltungen und zwei Abgeordnete stimmten dagegen, Anikó Glogowski-Merten und Ulrich Lechte. 16 FDP-Abgeordnete gaben keine Stimme ab.
Die AfD stimmte bei einer nicht abgegebenen Stimme ansonsten geschlossen für das Gesetz. SPD, Grüne und die Linke hatten die Pläne geschlossen abgelehnt und heftig kritisiert - inhaltlich und weil aus ihrer Sicht kein Gesetz in den Bundestag eingebracht werden sollte, dem die AfD zu einer Mehrheit verhelfen könnte.
Mit der Abstimmung über das «Zustrombegrenzungsgesetz» wollte der Unionskanzlerkandidat unter dem Eindruck des tödlichen Messerangriffs von Aschaffenburg Tatkraft und Handlungsstärke in der Migrationspolitik demonstrieren. Doch auch nach stundenlangen Verhandlungen mit SPD, Grünen und FDP gelang kein Kompromiss, bei dem abgestimmt werden konnte, ohne dass der AfD eine entscheidende Rolle zugekommen wäre - und dann scheiterte der Antrag seiner Fraktion am Ende auch noch im Plenum.
Wer in Merz einen Hardliner sah, der im Werben um AfD-Wähler die nötige Distanz zur politischen Konkurrenz rechts der Union vermissen lässt, dürfte sich nun bestätigt fühlen. Wer sich vom Unionskanzlerkandidaten hingegen Massnahmen für mehr Abschiebungen und weniger Fluchtmigration versprochen hatte, dürfte ebenfalls enttäuscht sein - schliesslich kam für den Gesetzentwurf der CDU/CSU am Ende nicht die nötige Mehrheit zustande.
AfD-Chefin Alice Weidel sagte nach der Abstimmung, es habe sich gezeigt, dass ihre Fraktion geschlossener agiere als die CDU/CSU. Sie sagte: «Das ist die Demontage von Friedrich Merz als Kanzlerkandidat gewesen.» Seine eigene Fraktion habe ihn «abgesägt». «Friedrich Merz ist als Tiger gesprungen und endete als Bettvorleger.»
Welchen Eindruck die Ereignisse bei den Wählerinnen und Wählern hinterlassen, wird sich zeigen. Laut dem aktuellen ARD-«Deutschlandtrend» sind zwei von drei Bürgerinnen und Bürgern (68 Prozent) der Meinung, Deutschland solle weniger Flüchtlinge aufnehmen als aktuell. Gut jeder Fünfte (22 Prozent) meint, Deutschland solle weiterhin so viele Flüchtlinge aufnehmen wie derzeit.
Die Grünen wollten vor der Bundestagswahl am 23. Februar eigentlich mit eigenen Inhalten werben: funktionierende Infrastruktur, bezahlbares Leben, Klimaschutz und soziale Absicherung. Doch nun dürfte die Warnung vor einem möglichen Rechtsruck für die Partei erneut zum beherrschenden Thema werden. Genau das hatte die Partei eigentlich vermeiden wollen nach mehreren erfolglosen Länder-Wahlkämpfen mit dieser Strategie.
Die SPD ist bereits umgeschwenkt: Seit Tagen wirbt sie in sozialen Medien für ein Bollwerk gegen den rechten Rand, nach dem Motto «Mitte statt Merz». Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Kurs vorgegeben mit der Warnung, Merz könne womöglich ein schwarz-blaues Bündnis eingehen.
Der wird darauf reagieren müssen. Statt wie zunächst angekündigt im Wahlkampf über Wirtschaftspolitik zu sprechen, dürfte sich der CDU-Chef nun vor allem mit der Frage herumschlagen müssen, ob die von ihm beschworene Brandmauer zur AfD wirklich hält.
Auch aus der eigenen Partei ist ein Grummeln über die Taktik von Merz zu hören - auch wenn er in seiner Fraktion breiten Rückhalt geniesst. Auf der Strasse demonstrieren Tausende gegen eine mögliche Zusammenarbeit der Union mit der AfD - kein schönes Bild für CDU/CSU. Merz habe SPD, Grünen und AfD mit seinem Vorgehen zudem ein regelrechtes Mobilisierungsprogramm geliefert, heisst es kritisch auch in den eigenen Reihen.
Am Mittwoch hatte ein Antrag der CDU/CSU für Zurückweisungen von Migranten an den deutschen Grenzen, der keine bindende Wirkung hat, eine Mehrheit gefunden. Ihm hatten Vertreter von CDU/CSU, AfD, FDP sowie fraktionslose Abgeordnete zugestimmt, was Empörung auslöste.
Zehntausende Menschen gingen allein am Donnerstag auf die Strasse – unter anderem in Berlin, Freiburg, Hannover und München. Auch aus den eigenen Reihen gab es Gegenwind für die Union: Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltete sich ein und nannte es «falsch», erstmalig eine Mehrheit mit Stimmen der AfD zu ermöglichen.
Es gehe nun darum «die Schande von Mittwoch» zu korrigieren, hatte Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in der Debatte am Freitag gesagt. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rief Merz zu: «Der Sündenfall wird Sie für immer begleiten. Aber das Tor zur Hölle, ja, ich sage es, das Tor zur Hölle können wir noch gemeinsam schliessen.»
Die Debatte zum Gesetzentwurf begann mit einer Verspätung von dreieinhalb Stunden. Die FDP schlug zunächst vor, den Entwurf in die Ausschüsse zurückzuschicken und so einen möglichen erneuten Beschluss mit entscheidenden Stimmen der AfD zu verhindern. Es folgten hektische Beratungen zwischen CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP, die allerdings keine Einigung erbrachten. Die FDP verzichtete daraufhin auf ihren Vorschlag.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz wies den Vorwurf einer Zusammenarbeit mit der AfD bei den Abstimmungen über eine schärfere Migrationspolitik erneut strikt zurück. Zur Forderung von SPD-Fraktionschef Mützenich, er solle sich dafür entschuldigen, dass er der AfD die Hand gereicht habe, sagte der CDU-Vorsitzende und Unionskanzlerkandidat in der Debatte über den Gesetzentwurf seiner Fraktion: «Von meiner Partei aus reicht niemand der AfD die Hand.»
FDP-Vize Wolfgang Kubicki warf den Grünen eine unmoralische Migrationspolitik vor. «Wer glaubt, andere mit moralischen Appellen beeindrucken zu können, während er selbst nichts tut, um offenkundige Probleme im Land anzugehen, der zeigt nur eins: Es geht ihm nicht ums Land, es geht ihm nur um sich selbst», sagte Kubicki.
Kern des Gesetzentwurfs war eine Aussetzung des Familiennachzugs zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus. Zu dieser Gruppe gehören in Deutschland viele Syrerinnen und Syrer. Ausserdem sollten die Befugnisse der Bundespolizei erweitert werden. Sie sollte, wenn sie etwa an Bahnhöfen Ausreisepflichtige antrifft, selbst für eine Abschiebung sorgen können. Die Union drang in ihrem Entwurf überdies darauf, das Ziel einer «Begrenzung» des Zuzugs von Ausländern wieder ins Aufenthaltsgesetz aufzunehmen. (sda/dpa)