«Vielleicht wird es doch was»: So reagieren die Ukrainer auf das Ergebnis in Genf
Auf den Strassen Kiews fallen am Montag die Reaktionen auf die Genfer Verhandlungen ganz unterschiedlich aus. Es wird viel Unverständnis geäussert, dass Washington die Ukraine erneut zu erpressen versucht hat. Aber auch der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass wieder Bewegung in den lange ersehnten Friedensprozess kommt.
So bezeichnet die junge Jura-Studentin Halyna die aktuellen Gespräche als «eine Art Schweinerei». Dagegen sagt der 43-jährige Unternehmer Petro:
Dann wiederum schreibt der bekannte Kriegsreporter Bohdan Myroschnykow: «Dieser Plan wird scheitern, wie alle vorherigen auch. Denn er entspricht weder der aktuellen Lage auf dem Schlachtfeld, noch der internationalen Situation der Partner, noch dem gesunden Menschenverstand, noch den Interessen Europas oder unseren eigenen.»
Tatsächlich dominiert in der ukrainischen Hauptstadt die Erwartung, dass der Kreml die Genfer Verhandlungsergebnisse sabotieren und mit zahllosen Änderungsforderungen verschleppen wird, ohne dass Machthaber Wladimir Putin die getroffenen Vereinbarungen klar ablehnt. Aus Trumps Sicht würde somit wiederum der Schwarze Peter des Friedensverhinderers an der Ukraine hängen bleiben, lautet eine Befürchtung.
Keine Grundlage für einen Kompromiss
Insbesondere kann sich in Kiew niemand vorstellen, dass Moskau einer Friedenslösung zustimmt, bei der die militärische Einmischung seitens der USA im Falle einer erneuten russischen Invasion nicht ausdrücklich ausgeschlossen bleibt. «Die USA versuchen, eine Lösung für eine nicht existierende Gleichung zu finden», schreibt darum Mykola Beleskow, Analyst am Nationalen Institut für strategische Studien, welches auch die Regierung Selenski berät.
«Es ist unmöglich, die Souveränität der Ukraine zu wahren und ein für Russland akzeptables Abkommen zu erzielen. Die Forderungen Russlands und unsere roten Linien bieten derzeit keine Grundlage für einen Kompromiss.» Wenn jetzt trotzdem weiter verhandelt werde, «möchte die Diplomatie lediglich nicht zugeben, sie sei hier machtlos», analysiert Beleskow.
Auch was in Kiew sonst über die Genfer Verhandlungen am Montag zu vernehmen war, klang nicht sonderlich vielversprechend. Der ukrainische Delegationsteilnehmer Oleksandr Bews, Berater des Leiters der Kiewer Präsidialverwaltung, betonte zwar, dass der 28-Punkte-Entwurf in der ursprünglichen Form nicht mehr existiere: «Keine einzige Anmerkung der ukrainischen Seite blieb ohne Reaktion.» Die endgültigen Entscheidungen bei den problematischsten Fragen müssten aber ohnehin die Präsidenten Selenski und Trump untereinander treffen. Entgegen ersten Meldungen geht man aktuell nicht mehr davon aus, dass Selenski noch diese Woche in die USA fliegen wird, um sich mit Trump zu besprechen.
Heikle Zusatzrunde für Selenski bei Trump
Die Voraussetzungen für Selenskis Nachverhandlungen in den USA sind ohnehin heikel. Ukrainischen Quellen zufolge konnte in Genf bei zwei der grundlegendsten Punkte keinerlei Einigung erzielt werden: bei der freiwilligen Räumung der gesamten Restregion Donezk mit den ukrainisch-kontrollierten Festungsstädten Kramatorsk und Slowjansk sowie beim Verzicht der Ukraine auf die Nato-Perspektive.
Aus Kiews Sicht bleibt es nahezu unvorstellbar, dass die Ukraine freiwillig die seit Jahren gut ausgebauten Verteidigungsstellungen um Kramatorsk und Slowjansk räumt, selbst wenn diese Gebiete entmilitarisiert werden sollten. Zumal es neben dem militärischen Aspekt weiterhin um Hunderttausende von Menschen vor Ort geht, die der russischen Herrschaft schutzlos ausgeliefert würden – sofern Moskau einer Entmilitarisierung der okkupierten Gebiete überhaupt zustimmt.
Etwas überraschend in den Augen der Öffentlichkeit wird der Plan vom Oppositionspolitiker Oleksij Hontscharenko grundsätzlich unterstützt, der als klarer Selenski-Gegner bekannt ist, aber eine Partei vertritt, die sich stets deutlich für die EU- und Nato-Integration der Ukraine ausspricht. «Der Plan ist funktionsfähig. Wir müssen an Punkten, die uns nicht passen, arbeiten und diese korrigieren. So funktioniert Diplomatie», betont er.
Bei allen Unwägbarkeiten hat die jüngste Verhandlungsrunde zumindest einen klaren Vorteil für die Bevölkerung gebracht. Im Luftkrieg über der ukrainischen Hauptstadt blieb es vergangene Woche ausnahmsweise überwiegend ruhig. Dies war wohl nicht zuletzt auf den mehrtägigen Besuch einer hochrangigen US-Delegation zurückzuführen, die Präsident Selenski mit dem ursprünglichen 28-Punkte-Plan konfrontierte. Mit dieser Ruhe dürfte es bald schon wieder vorbei sein. (aargauerzeitung.ch)
