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G20-Gipfel in Rom: Die Angst vor dem grossen Knall

G20-Gipfel in Rom: Die Angst vor dem grossen Knall

Corona, Klimakrise, Weltwirtschaft: Beim G20-Gipfel diskutieren die Staats- und Regierungschefs über die grossen globalen Probleme. Vor dem Treffen herrscht in Rom Furcht vor Gewalt auf den Strassen – und Konflikten beim Gipfel.
30.10.2021, 07:52
Patrick Diekmann / t-online
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t-online

Rom bereitet sich auf den Ausnahmezustand vor. Tausende Polizisten und Soldaten sollen am Wochenende auf den Strassen, Scharfschützen auf den Dächern sein – es gibt eine Flugverbotszone über der italienischen Hauptstadt. Die Stimmung ist angespannt, denn erstmals wieder findet ein G20 -Gipfel in einer europäischen Grossstadt statt. Chaos und brennendende Strassen, wie zuletzt in Hamburg 2017, möchten die italienischen Behörden unbedingt verhindern.

Während die Sicherheitskräfte eine rote Zone um das Kongresszentrum «La Nuvola» einrichten, herrscht auch unter den Staats- und Regierungschefs Furcht vor dem ein oder anderen Knall. So reist Kanzlerin  Angela Merkel  zu ihrem letzten G20-Gipfel einmal mehr in ihrer Paraderolle als Vermittlerin. 

Die offizielle Agenda bietet genügend kontroverse Themen – dazu später mehr. Doch sie wird von mehreren Konflikten überlagert. Die drei wichtigsten:

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Rom: Bewaffnete Polizisten patrouillieren in der Nähe des Trevi-Brunnens.Bild: keystone

Erdoğan und der Botschafter-Eklat

Zum einen trifft am Wochenende der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf Merkel, Frankreichs Emmanuel Macron und US-Präsident Joe Biden. Erdoğan wollte unter anderem die Botschafter der USA , Deutschlands und Frankreichs ausweisen lassen, weil diese sich für die Freilassung des türkischen Mäzens Osman Kavala eingesetzt hatten. Erst nachdem die Botschafter öffentlich bekundeten, dass sie sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Türkei einmischen möchten, ruderte der türkische Präsident zurück.

Danach liess sich Erdoğan in der Türkei dafür feiern, den Westen in die Schranken gewiesen zu haben. Offiziell haben die westlichen Länder der türkischen Regierung die Möglichkeit gegeben, gesichtswahrend aus der Angelegenheit zu kommen, doch in diplomatischen Kreisen rumort es.

In Rom wird der Botschafter-Streit noch in unterschiedlichen bilateralen Gesprächen mit Erdoğan thematisiert werden, auch US-Präsident Biden wird es bei einem Treffen ansprechen. Merkel und Macron werden wohl auf den drohenden Ausschluss der Türkei aus dem Europarat verweisen und sich für einen Freispruch Kavalas im November einsetzen. Dabei werden sie jedoch mit diplomatischer Sorgfalt vorgehen, denn die Europäische Union möchte eigentlich auch einen neuen Flüchtlingsdeal mit der Türkei aushandeln. Das macht die EU noch immer erpressbar.

U-Boot-Streit mit Frankreich

Geschlossen wird der sogenannte Westen in Rom nicht auftreten: Nachdem die Biden-Regierung einen geheimen U-Boot-Deal mit Australien aushandelte und die australische Regierung daraufhin eine milliardenschwere Bestellung von französischen Unternehmen aufkündigte, herrscht momentan Eiszeit zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich.

Präsident Macron ist sauer, denn für ihn kommt diese Niederlage zur Unzeit – immerhin sind im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen. Den Wahlkampfstart habe ihm Biden verpatzt, sind sich französische Diplomaten einig. Macron braucht nun politische Erfolge und erwartet Hilfe von den USA.

French President Emmanuel Macron delivers his speech at the Quai Branly museum Wednesday, Oct. 27, 2021 in Paris. France next month will hand over 26 looted colonial-era artifacts to the government of ...
Emmanuel Macron: Der französische Präsident will im kommenden Jahr wiedergewählt werden.Bild: keystone

Auch dieser Streit wird den Gipfel überschatten. Deutschland stellte sich zwar an die Seite Frankreichs, kann sich aber auch nicht zu laut gegen die Vereinigten Staaten positionieren. Biden kam Merkel bei der Stationierung von US-Soldaten in der Bundesrepublik und bei der umstritten Ostseepipeline Nord Stream 2 entgegen. Ein strategisch kluger Schachzug der USA.

Sicherheitspolitik mit Putin und Xi

Sicherheitspolitisch gibt es auch mit China und Russland reichlich Gesprächsbedarf. Der russische Präsident Wladimir Putin und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping werden aufgrund der Corona-Lage in ihren Ländern nur digital teilnehmen. 

Die EU-Staaten werden vor allem mit Putin über die Lage in Belarus sprechen wollen. Der dortige Machthaber Alexander Lukaschenko benutzt Flüchtlinge als Druckmittel gegenüber den EU-Staaten – und reagiert damit auf die Sanktionen gegen sein Land. Putin ist der einzige Staatschef, der Einfluss auf Lukaschenko nehmen kann. Auch über Libyen wird gesprochen werden, denn dort sollen vor allem Russland und die Türkei dafür sorgen, dass ihre Söldner abgezogen werden.

US-Präsident Biden richtet seinen Blick dagegen erneut auf China, denn der Konflikt um Taiwan hat sich in den vergangenen Monaten erneut zugespitzt. Die USA haben Taiwan daraufhin erneut ein Sicherheitsversprechen gegeben, sollte die Volksrepublik die Insel angreifen. Für die USA ist es nun wichtig, China klar zu kommunizieren, dass dieses Versprechen ernst gemeint ist.

Teilnehmer des G20-Gipfels
Italien: Mario Draghi (Gastgeber), Argentinien: Alberto Ángel Fernández, Australien: Scott Morrison, Brasilien: Jair Bolsonaro, Kanada: Justin Trudeau, China: Xi Jinping, Frankreich: Emmanuel Macron, Deutschland: Angela Merkel, Indien: Narendra Modi, Indonesien: Joko Widodo, Japan: Fumio Kishida, Mexiko: Andrés Manuel López Obrador, Russland: Wladimir Wladimirowitsch Putin, Saudi-Arabien: Salman ibn Abd al-Aziz, Südafrika: Cyril Ramaphosa, Südkorea: Moon Jae-in, Türkei: Recep Tayyip Erdoğan, Grossbritannien: Boris Johnson, USA: Joe Biden, Europäische Union: Ursula von der Leyen & Charles Michel

Klimakrise, Corona und globale Wirtschaft

Diese Konflikte sind im Vergleich zu den grossen globalen Krisen vergleichsweise unbedeutend, aber sie erfordern bilaterale Gespräche. Die Zeit für diese Gespräche fehlt dann an anderer Stelle. Bei den Themen, die eigentlich auf der G20-Agenda stehen: 

Klimakrise

Die grossen Industrienationen wollen neue Versprechen für den Klimaschutz abgeben, sind aber noch uneins über konkrete Ziele. In einem Entwurf des Abschlusskommuniqués wird zu «sofortigem Handeln» aufgerufen, um die Erderwärmung auf 1.5 Grad zu begrenzen. Strittig ist aber, ob sich die G20 auch zu einem gemeinsamen Ziel für Netto-Null-Emissionen von Treibhausgasen oder Kohlendioxid-Neutralität bis 2050 bekennen werden. Klimaschützer zeigten sich enttäuscht von dem Entwurf: Dieser bleibe zu vage.

In dem Dokument steht das Zieljahr 2050 noch in Klammern. So hat sich auch China als der mit Abstand grösste Emittent von Kohlendioxid bisher nur dazu bekannt, bis 2060 kohlendioxidneutral werden zu wollen. Netto-Null bedeutet, dass alle Treibhausgas-Emissionen durch Massnahmen zur Reduktion wieder aus der Atmosphäre entfernt werden müssen. Damit wäre die Menschheit klimaneutral und die globale Temperatur würde sich Forschern zufolge vermutlich stabilisieren. Die G20-Staaten sind für mehr als 75 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.

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Joe Biden vor dem Abflug nach Rom: Der US-Präsident will sich in Rom vor allem für eine Beschleunigung des Kampfes gegen die Klimakrise stark machen.Bild: keystone

Die Staats- und Regierungschefs wollen bei ihrem Gipfel in Rom auch das Weltklimatreffen (COP26) vorbereiten, das am Sonntag im schottischen Glasgow beginnt. Dort soll darüber beraten werden, wie das 2015 im Pariser Klimaabkommen formulierte Ziel erreicht werden kann, die Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit möglichst auf 1.5 Grad zu begrenzen.

Corona-Pandemie

Neben Entwicklungshilfe, die die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie lindern soll, wird es vor allem um Impfstoffverteilung gehen. Es gibt global immer mehr Dosen, aber die Verteilung an Entwicklungs- und Schwellenländer läuft langsam.

Entwicklungsorganisationen haben deshalb hohe Erwartungen an die G20 formuliert. «Um endlich die Pandemie zu beenden, brauchen wir jetzt Impfstoffgerechtigkeit und einen transparenten Fahrplan, wann und wie Impfdosen geteilt werden», sagte am Mittwoch Friederike Röder von der Bewegung Global Citizen. Einige Organisationen fordern eine Freigabe der Impfstoffpatente, was unter anderem Deutschland und die EU blockieren.

Erst 1.8 Prozent der Bevölkerung in armen Nationen seien geimpft – gegenüber 63 Prozent in reichen Ländern, stellte Oxfam fest. «Niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind», habe es am Anfang der Pandemie geheissen. Das Versprechen, für eine faire Verteilung der Impfstoffe zu sorgen, sei aber nicht eingehalten worden.

Globale Mindeststeuer

Es ist ein grosses Projekt des Finanzministers und wahrscheinlich künftigen Bundeskanzlers Olaf Scholz: Der G20-Gipfel wird eine globale Mindestbesteuerung für Unternehmen von 15 Prozent beschliessen, zuvor hatten sich die Finanzminister schon auf eine Reform geeinigt. Laut Scholz wollen insgesamt 136 Länder mitmachen.

Italian police patrol in front of La Nuvola (the cloud) convention center where the G20 summit is scheduled to take place in Rome, Thursday, Oct. 28, 2021. A Group of 20 summit scheduled for this week ...
Die Kongresshalle «La Nuvola» (Die Wolke): Hier findet am Wochenende der G20-Gipfel statt.Bild: keystone

Droht Chaos auf Roms Strassen?

Eben diese grossen Themen werden auch dafür sorgen, dass in Rom Tausende Demonstranten auf die Strasse gehen werden. Die Sorge der Behörden ist, dass sich auf der grösstmöglichen Bühne organisierte Krawallmacher mit Impf- und Regierungsgegnern, linken und rechten Extremisten sowie Klimaaktivisten zusammenschliessen, um für Chaos zu sorgen.

Die Polizei geht nach eigener Aussage zwar nicht von vielen gewaltbereiten Demonstranten aus, die aus dem Ausland anreisen. Allerdings verschärften sich in Italien zuletzt bereits die Spannungen bei den vielen Protesten gegen die Corona-Politik von Regierungschef Mario Draghi.

Bis Mittwoch waren in Rom in grosser Entfernung zum Tagungszentrum zwei Protestaktionen angemeldet: am frühen Samstagnachmittag eine Kundgebung der Partei «Rifondazione Comunista» und kurz darauf ein Demo-Marsch, an dem Gruppen wie die Klima-Initiative Fridays for Future und Gewerkschaften teilnehmen wollen. Dabei werde mit etwa 10'000 Teilnehmern gerechnet.

Beim Gipfel und auf den Strassen Roms gibt es am Wochenende also vor allem eines: viel Zündstoff. 

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