Schmeichelhaft war das nicht. Nach ihrem Roman «Über Menschen» sei sie als «Nazi-Versteherin» bezeichnet worden, sagte Juli Zeh in einem «Focus»-Interview. «Nazi-Versteherin» ist gleich abwertend wie «Putin-Versteher» und meint immer gleich gutheissen, verteidigen. Was in Juli Zehs Fall Quatsch ist. Es zeige bloss, «dass selbst verstehen heute zu einem moralischen Problem geworden» sei. Sie, die 2017 der SPD beigetreten ist, sagt: «Ich sage nicht, du bist böse, sondern ich sage eben, warum ich die AfD auf keinen Fall wählen würde.» Ein für die promovierte Juristin und ehrenamtliche Richterin charakteristischer Satz: Neugier statt Verurteilung, Haltung statt Emotion, ergebnisorientiert statt moralisierend.
Der Roman «Über Menschen» über ein Dorf in Brandenburg war 2021 mit über einer halben Million Exemplaren der meistverkaufte Roman in Deutschland. Die Literaturkritik war nicht so gnädig: witzige Dialoge, aber Exotismus auf dem Land mit plattitüdenhafter Sprache. Aber sie traf einen Nerv der Zeit. Dass sie darin unter anderem einfühlsam vom «Dorf-Nazi» Gote erzählte, blieb manchem im Halse stecken. Gegenwind ist sich die 1975 in Bonn geborene Juli Zeh also gewohnt.
Allerdings fällt bei Juli Zeh die strikte Trennung von Literatur und politischer Haltung schwerer als bei anderen Autoren. Ihre Romanfiguren geben Sätze von sich, die man auch in Zehs politischen Interventionen findet. Im Briefroman «Zwischen Welten», der weit oben auf den Bestsellerlisten steht, sind die Sympathien eindeutig verteilt: Hier die verzweifelte Biobäuerin in Ostdeutschland, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlt und sich in einer völkischen Verschwörungsgruppe radikalisiert, dort ein woker, aber im Grunde karrierefixierter Journalist, der sich Klimaaktivisten anbiedert. Tragödie gegen Karikatur. Vielleicht übersieht man, dass dieser Roman auch eine Satire ist: die beleidigte Leberwurst als zentrale Figur der Gegenwart.
Weil Juli Zeh seit 15 Jahren mit Familie und Pferden in einem Dorf in Brandenburg lebt, ist in «Zwischen Welten» der Schatten der Autorin fast nicht wegzudenken. Und wenn die Biobäuerin im Roman im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine ihrem Freund schreibt: «Krieg war schon immer ein schlimmer CO2-Produzent. Wenn es dir ernsthaft ums Klima ginge, müsstest du fordern, ihn sofort zu beenden», dann tönt das wie die letztjährigen «Friedens»-Briefe deutscher Künstlerinnen und Intellektueller. Neben dem Philosophen Richard David Precht war sie das Aushängeschild: Statt weitere Waffen zu liefern, müsse sich Kanzler Olaf Scholz für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen einsetzen. Ein Atomkrieg drohe. Beim aktuellen «Manifest für den Frieden» erscheint Juli Zeh hingegen nicht mehr unter den Unterzeichnenden.
Auch wenn man ihre süffige Literatur wohl mehr um der Zeitdiagnose willen als wegen ihrer besonderen Sprache liest, muss man wieder mal betonen: Gute Literatur ist keine Schönwetterparty, sondern ist gefährlich. Indem Romanfiguren zwiespältig, verbohrt oder gewalttätig sind, wird man auch als Leser in Frage gestellt. Schliesslich ist es geistlos, Romane als blosse Selbstbestätigung seiner eigenen Weltsicht zu lesen. Zur Bestsellerautorin wurde Juli Zeh gerade wegen ihrer zeitgenössischen Themen. Etwa im dystopischen «Corpus Delicti» aus dem Jahr 2009, wo sie ein Gesundheitsdiktat mit der Warnung vor einem Überwachungsstaat thrillerartig verarbeitete.
Beispielhaft lässt sich die Empörung über die Autorin am Interview zeigen, das Juli Zeh im Januar der NZZ gegeben hat. Darin bezeichnete sie Ausgangssperren während der Coronapandemie als «totalitäre Strafsituation». Bei jeder Gelegenheit betont sie jedoch, ihr gehe es um die Verhältnismässigkeit von Massnahmen, was sie von fundamentalistischen Gruppierungen wie «Massvoll» oder AfD unterscheidet.
Als Auslöser der Spaltung in der Gesellschaft ortete sie die Flüchtlingspolitik 2015: Wer eine andere Meinung zur Willkommenskultur geäussert habe, sei gleich in die rechte Ecke gestellt worden. Die ostdeutschen Merkel-Hasser fand sie dennoch «unerträglich». Das ist typisch für ihr Denken, das immer auf Grundsätzliches zielt: Hier die Gefahr einer unversöhnlichen Polarisierung, wie sie in den USA zu beobachten sei. Dass sie als SPD-Mitglied den Applaus von rechts aussen in Kauf nimmt, gehört jedenfalls zu ihrem Selbstverständnis als Brückenbauerin.
In Kommentarspalten und in den sozialen Medien tobte daraufhin der vorhersehbare Sturm. Der Publizist Stephan Anpalagan warf ihr vor, dass man «schöner den Rechtsextremismus nicht verharmlosen» könne, und die Politologin Katharina Nocun, die mit ihrem Sachbuch «Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen» 2020 einen Bestseller landete, sah gar eine zunehmende «Radikalisierung» der Autorin Juli Zeh.
Warum sich Juli Zeh so um die polarisierte Gesprächskultur sorgt, könnte man mit ihrer Leidenschaft für Pferde verstehen, über die sie sogar das Sachbuch «Gebrauchsanweisung für Pferde» geschrieben hat. Geradezu vorbildlich seien diese sensiblen Tiere. Die meisten Pferde würden «immer erst einmal anbieten: Guck mal, hier bin ich, wer bist du? Haben wir was miteinander? Da ist dieses Angebot. Dass man daraus etwas machen kann, ist ein faszinierender Prozess.» Tönt zwar in seiner freundlichen Naivität ein wenig kitschig – aber könnte sich trotzdem so mancher Empörte zu Herzen nehmen.
Ich kenne ihre Bücher und habe mir soeben den Podcast ‚Alles gesagt?‘ mit ihr vom 21. August 2020 angehört, in dem sie den Interviewern 8 Stunden lang Red und Antwort steht. Wer dann noch das Gefühl hat, sie sympathisiere mit Neonazis soll das doch gern nach dem Hören des Podcasts nochmals melden.
Schön, dass es Menschen gibt, die nicht nur in schwarz-weiss denken , sondern versuchen, mit der Gegenseite im Gespräch zu bleiben. Der einzige Weg aus der gesellschaftlichen Krise!
Ich finde, man sollte da darüberstehen. Die Buh-Rufe kommen ja bekanntlich meist von den billigen Plätzen.
Schade finde ich, wenn sich auch Journalisten den Empörten unterwerfen und vorsorglich klarstellen, dass sie auf der richtigen Seite stehen. Man darf den Umgang des BAG mit den Impfgeschädigten kritisieren, ohne mehrfach zu erwähnen, dass die Impfung selbstverständlich eine gute Sache war.