Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer ist tot. Sie starb am Freitag im Alter von 103 Jahren, wie die Margot Friedländer Stiftung in Berlin mitteilte. «Mit ihrem Tod verliert Deutschland eine bedeutende Stimme der Zeitgeschichte», erklärte die Stiftung.
Die aus einer jüdischen Familie stammende und von den Nationalsozialisten verfolgte Friedländer war nach sechs Jahrzehnten als Emigrantin in New York im hohen Alter nach Deutschland zurückgekehrt. Seither engagierte sie sich unermüdlich gegen das Vergessen. Besonders die junge Generation lag ihr am Herzen. Sie erzählte ihre Geschichte regelmässig in Schulen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilte mit: «Die Nachricht vom Tode Margot Friedländers erfüllt mich mit tiefer Trauer. Sie hat unserem Land Versöhnung geschenkt – trotz allem, was die Deutschen ihr als jungem Menschen angetan hatten. Für dieses Geschenk können wir nicht dankbar genug sein.»
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nannte Friedländer auf der Plattform X «eine der stärksten Stimmen unserer Zeit: für ein friedliches Miteinander, gegen Antisemitismus und Vergessen».
Noch am Mittwoch dieser Woche trat sie in Berlin öffentlich auf. «Ihre letzten öffentlichen Worte anlässlich der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des Kriegsendes am 7. Mai 2025 im Berliner Rathaus waren: ‹Für Euch. Seid Menschen. Das ist es, was ich Euch bitte zu tun: Seid Menschen!›» – daran erinnerte ihre Stiftung.
Am Freitag hätte Friedländer eigentlich bei einem öffentlichen Termin das Grosse Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland bekommen sollen. Der Termin wurde jedoch abgesagt. Auch an der Gedenkstunde zum 80. Jahrestag des Kriegsendes am Donnerstag nahm Friedländer nicht mehr teil.
Zahlreiche Ehrungen hatte Friedländer bereits in den vergangenen Jahren erhalten. Sie wurde weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. «In grosser Dankbarkeit verneigen wir uns vor ihrem eindrucksvollen Lebenswerk», erklärte die Margot Friedländer Stiftung in ihrer Traueranzeige.
Margot Friedländer wurde 1921 in eine jüdische Familie geboren. Ihre Mutter und ihr Bruder wurden aus Berlin deportiert und im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Sie selbst konnte dank vieler Helfer zunächst untertauchen, wurde dann aber gefasst und ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sie überlebte, so wie ihr späterer Mann, mit dem sie schliesslich nach Amerika ging.
Aus Friedländers direkter Familie überlebte niemand ausser ihr den Holocaust. Dennoch zog sie mit fast 88, nach dem Tod ihres Mannes, wieder zurück in ihre Heimat, nach Berlin. Sie kam zurück in das Land der Täter und sagte doch:
Mit 96 Jahren wurde sie Ehrenbürgerin Berlins. Im Herbst 2023 widmete das ZDF ihr ein Dokudrama – da lag die Pogrom-Nacht von 1938 85 Jahre zurück. Ebenfalls 2023 gründete sie die Margot Friedländer Stiftung.
Margot Friedländers Vermächtnis sei Mahnung und Verpflichtung, erklärte Bundespräsident Steinmeier. Dies gelte besonders in einer Zeit, in der die Demokratie angefochten wird und sich Antisemitismus wieder unverhohlen zeigt. Es bleibe «unsere Verantwortung, die jüdische Gemeinschaft in unserem Land nie wieder im Stich zu lassen».
Er selbst habe das Glück gehabt, Friedländer oft zu treffen, erklärte der Bundespräsident weiter.
Auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner würdigte Friedländers Einsatz gegen das Vergessen. Das Engagement in Schulen oder Universitäten und die Gespräche Friedländers mit Jugendlichen blieben unvergessen, erklärte Wegner auf der Plattform X.
In sozialen Netzwerken bekundeten viele Politiker ihre Trauer, so etwa der frühere Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour. Der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Lars Klingbeil sagte der «Rheinischen Post»:
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner nannte Friedländer eine grossherzige Zeitzeugin und erinnerte daran: «Gestern vor 80 Jahren wurde sie in Theresienstadt befreit.»
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, erklärte, Friedländer habe das Menschsein zu ihrem zentralen Anliegen gemacht. «Sie war nicht nur eine mahnende Stimme unserer Zeit, sondern besass auch die Gabe, stets das Beste in ihrem Gegenüber zu sehen. Eine Gesellschaft ohne sie ist für mich kaum vorstellbar.»
Auch der World Jewish Congress würdigte Friedländer. Präsident Ronald Lauder erklärte in New York, Friedländer sei eine «Frau unerschütterlichen moralischen Muts» gewesen und eine Stimme der Erinnerung für Generationen.
Mit emotionalen Worten hat Starpianist Igor Levit auf der Bühne des Deutschen Filmpreises der verstorbenen Holocaust-Zeitzeugin Margot Friedländer (103) gedacht. «Sie war ein Wunder von Mensch», sagte Levit in Berlin und rief zu einem Schweigemoment auf. Das Publikum stand auf, einige Schauspieler hatten Tränen in den Augen.
Einige Momente seien grösser als der Preis, als wir alle, sagte Levit, der eigentlich für eine Laudatio für die beste Filmmusik auf der Bühne stand, aber dann für Friedländer eine Würdigung improvisierte. Er rang dabei sichtlich um Fassung, immer wieder stockte seine Stimme. Er habe erst kurz vor seinem Auftritt vom Tod Friedländers erfahren. Sie habe immer den Appell mit sich getragen, menschlich zu sein.
Sie sei eine warmherzige und unglaubliche Person gewesen. Am Ende seiner Rede schaute Levit auf seine Karten und sagte, den «Schmu» könne man doch echt wegwerfen. Moderator Christian Friedel bedankte sich bei dem jüdischen Pianisten für die Worte und sagte, er sei selbst tief berührt.
(rbu/sda/dpa)
R.I.P.
Eine beindruckende Frau - möge sie in Frieden ruhen, wir sie nie vergessen und ihr Wirken lange nachhallen!