Es kam für viele Beobachter durchaus überraschend, als er am Wochenende direkte Verhandlungen mit Kremlchef Wladimir Putin vorschlug. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte in einer Videobotschaft: «Der Schwung der Verhandlungen muss verstärkt werden. Ein Treffen auf Führungsebene ist notwendig, um wirklich einen dauerhaften Frieden zu erreichen.»
Noch in dieser Woche wird es erneut Gespräche zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul geben. Ein Waffenstillstand oder gar Frieden steht allerdings nicht auf der inhaltlichen Agenda des Treffens. Vielmehr möchten beide Seiten erneut über einen Gefangenenaustausch verhandeln. Darüber hinaus gilt es als unwahrscheinlich, dass Moskau einem Treffen zwischen Putin und Selenskyj zustimmen wird.
Sollte Russland irgendwann seine Kriegsziele nicht mehr militärisch erreichen wollen, soll sich die Führungsebene erst dann treffen, wenn ein Friedensdeal ausgehandelt ist. Das erklärte der Kreml in den vergangenen Jahren immer wieder.
Es ist in Diplomatenkreisen kein Geheimnis, dass Putin den ukrainischen Präsidenten verachtet. Er sieht ihn als Schauspieler und nicht auf Augenhöhe. Zudem verunglimpft die russische Propaganda Selenskyj seit Beginn der russischen Vollinvasion der Ukraine als Nazi. Putin brachte den Krieg über die Ukraine, und allein deshalb ist die Verachtung wahrscheinlich gegenseitig. Doch warum forciert Selenskyj gerade jetzt ein persönliches Treffen mit dem Kremlchef?
Absolute Klarheit über Selenskyjs Motivation gibt es nicht. Womöglich möchte Kiew US-Präsident Donald Trump zufriedenstellen und sich kooperationsbereit zeigen. Schliesslich hatte Trump der russischen Führung zuletzt eine 50-Tage-Frist gesetzt, um einem Abkommen im Ukraine-Krieg zuzustimmen. Andernfalls drohte der US-Präsident Russland und seinen Verbündeten mit massiven Strafzöllen – eine potenzielle Gefahr für Länder wie Indien, Brasilien oder China.
Die Ukraine hat definitiv Interesse daran, dass Trump diesen Konfrontationskurs gegenüber Putin beibehält. Sicher ist das jedoch nicht. Im Hintergrund brodelt bereits die Gerüchteküche: So könnten die amerikanischen Drohungen China aufgeschreckt haben. Der chinesische Präsident Xi Jinping soll nun versuchen, ein direktes Treffen zwischen Putin und Trump zu organisieren. Das könnte nur der nächste chinesisch-russische Schachzug sein.
Im Terminkalender der kommenden Wochen sticht eine Gelegenheit für ein mögliches Treffen zwischen Trump, Xi und Putin heraus. Am 3. September jährt sich Chinas Sieg über Japan zum 80. Mal.
Am 2. September 1945 unterzeichnete Japan die Kapitulation und China feierte mit den Alliierten den weltweiten Triumph über den Faschismus. Die chinesische Regierung hat bereits eine Reihe von Gedenkveranstaltungen angekündigt, darunter eine Militärparade am 3. September. Putin wird zu diesem Anlass nach Peking reisen, so viel steht fest. Unklar ist aber, ob auch Trump nach China fliegt.
Zunächst berichtete die japanische Zeitung «Kyodo News», dass China den US-Präsidenten einladen wolle. Zwar dementierte die chinesische Führung dies umgehend, aber das Gerücht hält sich seither hartnäckig. Denn es gilt auch als unwahrscheinlich, dass Xi Jinping eine Einladung offiziell machen würde. Zu gross wäre der Gesichtsverlust für die Volksrepublik, sollte der US-Präsident diese ausschlagen.
Strategisch wäre ein direktes Treffen mit Trump aus mehreren Gründen durchaus sinnvoll. Einerseits könnten Xi und Putin darauf hoffen, dass die Amerikaner vor möglichen Gesprächen keine weiteren Massnahmen ergreifen, um die Verhandlungsergebnisse nicht zu gefährden. Zum anderen ist die Parade erst im September.
Putin könnte demnach seinen Krieg weiterführen und seine Sommeroffensive fortsetzen – bis in den Herbst, wenn es durch die Matschzeit ohnehin schwieriger wird, Geländegewinne zu erzielen.
Die chinesische Regierung hatte bei einem Treffen mit EU-Vertretern Anfang Juli erklärt, dass die Volksrepublik Russland nicht verlieren lasse. Doch Xi Jinping könnte auch eigene Interessen haben, eine Einladung an Trump auszusprechen. So möchte natürlich auch China mögliche US-Sekundärsanktionen verhindern.
Zugleich hätte der Besuch des US-Präsidenten auch für die Volksrepublik eine wichtige Symbolik: Chinas Rolle als wichtigster östlicher Kriegsschauplatz im Zweiten Weltkrieg wurde in westlichen Erzählungen lange heruntergespielt. Dabei hatte auch der acht Jahre andauernde chinesische Widerstand gegen Japan enorme Opfer gefordert. So starben 20 Millionen Chinesinnen und Chinesen im Zweiten Weltkrieg.
Trumps Teilnahme am Jahrestag wäre folglich eine Anerkennung für den Beitrag Chinas am Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg.
Trotzdem stünden die aktuellen geopolitischen Krisen im Mittelpunkt. Unter diesem Gesichtspunkt könnten China und Russland eine Teilnahme des US-Präsidenten bei der Veranstaltung kritisch sehen. Trump, Xi und Putin würden im Rampenlicht stehen, während mögliche Gäste aus Ländern des Globalen Südens zu Statisten würden. Und dabei wollen sich Russland und China aktuell vor allem mit diesen Ländern gut stellen.
Zumindest Russland zeigt sich grundsätzlich offen für ein mögliches Treffen – wenn auch mit Zurückhaltung. «Wir bereiten eine Reise nach Peking vor. Das steht tatsächlich auf der Tagesordnung des Staatsoberhauptes. Aber wir haben nichts davon gehört, dass Präsident Trump ebenfalls nach Peking reist», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Sollte der US-Präsident zur Militärparade kommen, könnte ein Treffen sinnvoll sein.
Doch wie blickt Trump auf eine Reise nach China?
Bislang äusserte sich der US-Präsident nicht dazu. Es ist kein Geheimnis, dass Trump bereits Interesse an einer Reise in die Volksrepublik bekundet hat. Er mag atmosphärische Bilder und grosse Inszenierungen. Ausserdem: Bereits bei seinen Treffen mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un während seiner ersten Amtszeit hat der Republikaner keine Berührungsängste zu Autokraten gezeigt.
Trotzdem sprechen auch einige Gründe dafür, dass die Amerikaner eine chinesische Einladung ausschlagen könnten. Erstens wäre die Empörung im Westen gross, sollte sich Trump zusammen mit Putin und Xi bildgewaltig bei einer Parade inszenieren. Zweitens würde der Republikaner auch innenpolitisch in die Kritik geraten, sich von China instrumentalisieren zu lassen. Und drittens würde der US-Präsident wahrscheinlich nur Gesprächen zustimmen, wenn er sicher sein kann, dass auch Ergebnisse erzielt werden. Das würde nicht zu Putins Strategie passen, der seinen Krieg offenbar noch weiterführen möchte.
Letztlich stehen also viele Hürden einer Reise Trumps nach China am 3. September im Weg. Klar ist nur: Sollte sie wirklich zustande kommen, wäre der politische Druck auf alle Beteiligten immens.