Ein Wahlsieger, der über Betrug klagt ⎼ wann hat es das in der Geschichte jemals gegeben? In der Welt des Donald Trump aber ist nichts unmöglich. 2016 hatte er überraschend die Präsidentschaftswahl gegen Hillary Clinton gewonnen. Dennoch war er sauer, denn er hatte fast drei Millionen Wählerstimmen weniger erhalten als die Demokratin.
Das durfte nicht sein, wie es auch nicht sein durfte, dass er bei seiner Vereidigung weniger Zuschauer hatte als Barack Obama. Also behauptete Trump, bis fünf Millionen Stimmen seien illegal abgegeben worden, von papierlosen Immigranten. Dafür gab es nicht den geringsten Beweis, aber darum hat sich ein Donald Trump noch nie geschert.
There is NO WAY (ZERO!) that Mail-In Ballots will be anything less than substantially fraudulent. Mail boxes will be robbed, ballots will be forged & even illegally printed out & fraudulently signed. The Governor of California is sending Ballots to millions of people, anyone.....
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) May 26, 2020
«Wenn Trump eine gewonnene Wahl als manipuliert bezeichnet, was wird er dann tun, wenn er eine Wahl verliert?» fragt sich der Politologe Brian Klaas in der «Washington Post». Der Amerikaner, der am University College in London arbeitet, forscht seit Jahren über Trumps despotische Neigungen, die er in seinen Tweets ungeniert zelebriert.
In letzter Zeit pöbelte er gegen die briefliche Stimmabgabe, die manche Bundesstaaten bei der Präsidentschaftswahl im November wegen der Corona-Pandemie ausbauen wollen. Die Briefwahl lade zum Betrug ein, wettert Trump, was aus Schweizer Perspektive völlig absurd ist. Bei uns ist das Abstimmen per Briefkasten längst die Regel.
In Wirklichkeit sind Trump und andere Republikaner gegen die Briefwahl, weil sie tendenziell die Stimmbeteiligung erhöht, was den Demokraten mehr nützen dürfte (ganz sicher ist das nicht). Trumps Polemik verdeutlicht, was Brian Klaas und andere befürchten: Der Präsident wird eine Wahlniederlage gegen Joe Biden im November schlicht nicht akzeptieren.
Trumps sinkende Beliebtheitswerte wegen seines Versagens in der Coronakrise und im Umgang mit den Protesten nach der Tötung von George Floyd verstärken diese Ängste. Sogar von einem eigentlichen Staatsstreich ist die Rede. Dass in Washington über so etwas spekuliert wird, zeigt, wie prekär die Gegner des Präsidenten die Lage beurteilen.
Eine «Taskforce» aus Demokraten und einigen der nicht sehr zahlreichen Anti-Trump-Republikaner spielt gemäss der «New York Times» verschiedene «Weltuntergangs-Optionen» durch, die bei der Präsidentschaftswahl zur Anwendung kommen könnten. Ins Leben gerufen wurde sie von Rosa Brooks, einer Rechtsprofessorin an der Georgetown University.
Im Vordergrund steht eine Verschiebung der Wahl, womöglich auf den St.Nimmerleinstag. Das aber ist schwierig, denn die Wahl alle vier Jahre am Dienstag nach dem ersten Montag im November ist seit 1845 gesetzlich festgelegt. Auch in Kriegszeiten hielt man sich daran. Trump hat solche Spekulationen zurückgewiesen, aber das heisst wenig.
Der Anwalt Martin Elias, der für die Demokratische Partei arbeitet, hält es für möglich, dass Trump im Oktober etwa unter dem Vorwand der Corona-Pandemie den Ausnahmezustand in Städten wie Detroit oder Milwaukee erklären wird, die in wichtigen Swing States liegen. Damit könnte er die Wahl erschweren oder verunmöglichen.
Die Städte sind Hochburgen der Demokraten. Es ist wahrscheinlich, dass die Gouverneure und Bürgermeister sich wehren würden. Martin Elias will darauf nicht warten. Er hat laut der «New York Times» mehrere Gerichtsverfahren angestrengt, die auf eine Erleichterung der Briefwahl und der vorgezogenen Stimmabgabe abzielen.
Die Juristin und Wahlrechtsexpertin Kimberley Wehle, die für den Fernsehsender CBS arbeitet, hat in Politico weitere Szenarien skizziert. Falls es im Herbst zu einer zweiten Corona-Welle komme, könnte Trump eine Quarantäne über das Land verhängen und so die Wahl verhindern. Das scheint weit hergeholt, ist laut Wehle aber möglich.
Unter dem Vorwand des Kampfs gegen Wahlbetrug könnte Trump seine Anhänger dazu auffordern, sich als «Wächter» vor den Wahllokalen zu installieren. Das eigentliche Ziel wäre, potenzielle Wählerinnen und Wähler abzuschrecken, schreibt Wehle. Sie erinnert daran, dass die Republikaner wiederholt ähnliche Methoden gegen Schwarze angewendet haben.
Die Republikaner haben noch andere Tricks auf Lager, um besonders Angehörige von Minderheiten vom Wählen abzuhalten. Dazu gehören neben restriktiven Wahlgesetzen die Schliessung von Wahllokalen oder die «Säuberung» der Register, in die man sich mangels Einwohnerkontrolle eintragen muss, wenn man an einer Wahl teilnehmen will.
Kimberley Wehle schildert ein besonders krasses Beispiel. Als Brian Kemp 2018 als Gouverneur des Staates Georgia kandidierte, liess er zuvor rund zehn Prozent aller Namen aus den Wahlregistern entfernen. Kurz vor der Wahl kamen weitere 53’000 Namen hinzu. Kemp besiegte die Demokratin Stacey Abrams mit rund 54’000 Stimmen Vorsprung.
Eine Woche vor der Wahl kündigt Justizminister William Barr eine Strafuntersuchung gegen den demokratischen Kandidaten Joe Biden an. So lautet ein weiteres Szenario. Das erinnert stark an die Vorgänge vor vier Jahren. Kurz vor der Wahl hatte FBI-Direktor James Comey damals neue Ermittlungen in der E-Mail-Affäre von Hillary Clinton aufgenommen.
Biden kennt die Gefahr. Er hat wiederholt angedeutet, dass Trump die Wahl verschieben oder beeinträchtigen könnte. «Wir vermuten, dass er jede Art von Trick, Masche oder Plan anwenden könnte, um an der Macht zu bleiben», sagte sein Anwalt und Chefberater Bob Bauer der «New York Times». Man werde verhindern, dass ihm dies gelinge.
Die Offenheit, mit der Donald Trump einen Machterhalt um jeden Preis anstrebt, hilft seiner Sache nicht unbedingt. Die Frage ist, ob die Kontrollmechanismen in der amerikanischen Demokratie noch funktionieren. Justizminister Barr, der eigentlich als «Wachhund» die Regierung beaufsichtigen müsste, hat sich als Schosshund des Präsidenten entpuppt.
«Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war die Gefahr so gross, dass unsere Demokratie kollabiert», warnte der Yale-Politologe Jacob Hacker im «Spiegel». Sein Kollege Brian Klaas äusserte 2018 im Interview mit watson die Befürchtung, «dass Trump die Politik in einer Weise verändert, in der autoritäres Verhalten von der Bevölkerung honoriert wird».
Vielleicht greift Donald Trump auch zu einem ganz simplen Trick: Er weigert sich nach einer Niederlage, aus dem Weissen Haus auszuziehen, ebenso die Übergabe der Macht an Joe Biden und sein Team. Auch dieses Szenario ist gemäss «New York Times» im 200-seitigen, noch unveröffentlichten Bericht der Taskforce von Rosa Brooks enthalten.
Womöglich müsste dann der Oberste Gerichtshof eingreifen, wie bei der denkwürdigen Wahl 2000. Damals stoppte er die Nachzählung in Florida und verhalf damit George W. Bush zum Sieg gegen Al Gore. Und Donald Trump hat durch die Ernennung von zwei neuen Richtern eine rechte Mehrheit im Supreme Court geschaffen.
Seine Rednecks und Hillbillies werden ihm ja sicher begeistert zu Diensten sein.