Donald Trump
kommt nach Davos ans Gipfeltreffen der globalen Elite.
Was ist vom «America First»-Präsidenten zu erwarten?
Brian Klaas:
Chinas Präsident Xi Jinping trat letztes Jahr in Davos auf als Hüter
des globalen Systems, das mit Hilfe der USA errichtet wurde. Trump
wird vermutlich das Gegenteil machen. Er wird den Rest der Welt
beschuldigen, die USA auszunutzen, und sich für eine
protektionistischere Handelspolitik einsetzen. Daneben wird er den
Fokus auf globale Probleme wie Nordkorea und Iran richten. Der
entscheidende Punkt aber ist: Wir werden in Davos einen Anführer der
USA erleben, der das System attackiert, das die USA nach dem Zweiten
Weltkrieg aufgebaut haben.
Bundespräsident
Alain Berset wird Trump in Davos treffen. Was soll er ihm sagen?
Es ist eine
Gratwanderung. Erst einmal sollte er Trump schmeicheln (lacht). Das
funktioniert gut und kostet die Schweiz nichts. Er sollte aber auch
deutliche Worte zu den gemeinsamen Werten finden, die Trump
attackiert. Bei den europäischen Politikern gibt es eine Tendenz,
Trump zu ignorieren und einfach weiterzumachen. Ohne Gegendruck zu
seinen Angriffen auf den Atomdeal mit Iran oder die demokratischen
Institutionen wird es zu einer Entfremdung kommen, die nicht im Interesse der europäischen Mächte ist. In Europa wollen viele das
nicht wahrhaben.
Wie kommen Sie
darauf? Wir wissen doch alle, wie Trump tickt.
Ich meine weniger
die Menschen als ihre politischen Anführer. Sie verhalten sich
opportunistisch. Emmanuel Macron hat sich bei Trumps Besuch in Paris
auf clevere Art bei ihm eingeschmeichelt. Aber der Gegendruck aus
Europa ist zu unbedeutend. Der stärkste Protest von Theresa May bezog sich auf Trumps Retweets von britischen Neofaschisten. Das ist
eine sehr zaghafte Antwort auf seine gravierenden Verstösse gegen
die gemeinsamen Werte. Es ist in Europas langfristigem Interesse, den
Trumpismus nicht einfach zu akzeptieren.
Viele in Europa
fragen sich, wie Donald Trump überhaupt Präsident werden konnte.
Es gibt einen
wirtschaftlichen und einen kulturellen Grund. Wir haben in den USA in
den letzten 30 Jahren eine wachsende Ungleichheit bei stagnierenden
Löhnen erlebt. Viele Menschen sind wütend auf das System und das
Establishment. Sie verhielten sich gemäss der Redensart «Der Feind
meines Feindes ist mein Freund». Der Feind ist das Establishment
und der Status quo.
Was meinen Sie
mit dem kulturellen Aspekt?
Rassismus und
Einwanderung. Es gab einen Backlash gegen den ersten schwarzen
Präsidenten und die sich wandelnde Demographie in Amerika. Dieser
Backlash ist fremdenfeindlich und nationalistisch. Donald Trump hat
es geschafft, ihn zu seinen Gunsten zu instrumentalisieren, während
Hillary Clinton in beiden Bereichen den Status quo repräsentierte.
Viele stimmten deshalb gegen sie. Auch Sexismus spielte eine Rolle.
Sie war die erste Frau, die für eine der grossen Parteien für die
Präsidentschaft kandidierte, was vielen Amerikanern nicht passte.
Erkennen Sie
Anzeichen für einen Stimmungswandel?
Die gute Nachricht
ist, dass viele Trump-Wähler ihren Entscheid bereuen. Man sieht das
an den Umfragen. Er ist der unpopulärste Präsident seit dem frühen 20. Jahrhundert.
Kümmert ihn das
überhaupt?
Er ist dünnhäutig
und ichbezogen, ein Narzisst. Deshalb denke ich, dass er vielen
Umfragen einfach nicht glaubt. Letztes Jahr bezeichnete er sie auf
Twitter als Fake News. Dafür vertwittert er Umfragen, die für ihn
vorteilhaft aussehen und ihm eine Beliebtheit von 45 Prozent
bescheinigen. Das ist bizarr, denn auch dieser Wert ist miserabel.
Wieso macht er es
trotzdem?
Er kann seine
Impulse nicht kontrollieren, die ihn dazu verleiten, sich einzig bei
seiner politischen Basis anzubiedern. Er ist wohl der erste Präsident
in der Geschichte der USA, der nicht zumindest versucht, das Land zu
einen. Darum ist Trump auch so unbeliebt.
Das gilt nicht
für seine Anhänger. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sie Trump mehr vertrauen als Fox News.
Das zeigt die tiefe
Polarisierung in den USA. Objektiv betrachtet ist Trump ein Lügner.
Eigentlich ist es unsäglich, so etwas über einen Präsidenten zu
behaupten. Seine Anhänger aber glauben ihm sogar, wenn es objektive
Belege für seine Lügen gibt. Im Trumpismus kommt es weit mehr
darauf an, dass man die Person mag, die etwas sagt, als was sie sagt.
Das ist ein grosses Problem, das die USA noch beschäftigen wird,
wenn Trump weg ist. Rationale Argumente zählen nicht mehr.
Sie bezeichnen
Trump als verkappten Despoten.
Ich muss klar
betonen, dass Trump kein Mussolini, Hitler oder Stalin ist. Einige
Linke behaupten das. Sie liegen falsch. Aber sein Verhalten deutet
darauf hin, dass er gerne diese Machtfülle hätte. Trump möchte
ein Despot sein, dem niemand zu widersprechen wagt. Er hat dazu
aufgerufen, Gegenspieler einzusperren. Er greift die Medien an,
verstösst gegen Ethikregeln und beruft Familienmitglieder. Sein Verhalten erinnert an autoritäre Herrscher.
Gibt es dazu
keine Gegenbewegung?
Die gute Nachricht
ist, dass es in den USA nach wie vor demokratische Institutionen
gibt, die ihn in die Schranken verweisen. Sie sind schwächer, als
sie sein sollten und als ich erwartet habe. Der Kongress macht sich
weitgehend zu Trumps Komplizen. Ich befürchte jedoch, dass Trump die Politik in
einer Weise verändert, in der autoritäres Verhalten von der
Bevölkerung honoriert wird. Er untergräbt unsere demokratischen
Normen.
Können Sie
Beispiele nennen?
Als Donald Trump
erstmals dazu aufrief, Hillary Clinton einzusperren, dominierte er drei Tage lang die Medien. Jetzt nimmt man es einfach zur
Kenntnis. Man gewöhnt sich an sein inakzeptables Verhalten. Das ist
sehr gefährlich für die Demokratie und wird lange nachwirken.
Was empört Sie
an Trump besonders?
Aus persönlicher
Sicht finde ich es unsäglich, dass meine Ansichten als parteiisch
eingestuft werden, etwa indem ich als linken Spinner beschimpft
werde. Mein Buch wäre 2015 noch als unparteiisch betrachtet worden.
Ich erwarte einzig Respekt gegenüber der Pressefreiheit oder die
Ernennung von qualifizierten Personen für die Regierung. Man soll
auch nicht verlangen, dass politische Gegner eingesperrt werden ohne
Beweise für eine Straftat.
Sie haben
erwähnt, dass dieses Verhalten lange nachwirken wird. Was meinen Sie
damit?
Selbst wenn Trump
2018 oder 2020 abtreten sollte, werden diese Dinge nicht mehr als
unparteiisch betrachtet werden. Das ist für mich das Alarmierendste
an Trump. Mich empört, wie die Menschen gegen das System
aufgewiegelt werden, statt über Sachthemen wie Gesundheits- und
Steuerpolitik zu debattieren. Es gibt 60 bis 70 Millionen Amerikaner,
die kein Problem mit autoritären Massnahmen haben, solange sie in
ihrem Sinn angewendet werden. Das ist extrem gefährlich für die
langfristige Gesundheit der Demokratie. Europa hat sehr viele
Probleme, aber rationale Argumente funktionieren noch. Es gibt noch
Respekt für die Pfeiler der Demokratie.
Was ist aus den
Selbstheilungskräften der amerikanischen Demokratie geworden?
Es gibt Gründe für
Optimismus. 2018 könnte Trump einen historischen Rückschlag
erleiden. Wenn die Demokraten das Repräsentantenhaus und vielleicht
den Senat erobern, könnte es zur notwendigen Kurskorrektur kommen
und Trumps Macht beschränkt werden. Wenn das nicht geschieht,
stecken wir in ernsten Schwierigkeiten, nicht zuletzt in der
Aussenpolitik. Ein Trump, der auf der Weltbühne unbeschränkt
schalten und walten kann, wäre sehr destruktiv für die globale
Stabilität und das Ansehen der USA, das bereits schwer
angeschlagen ist.
Ihre
Schlussfolgerung lautet, dass drei weitere Jahre Trump das
demokratische System stark beschädigen könnten.
Es könnten sogar
sieben Jahre werden. Darum wehre ich mich auch gegen den Vorwurf, ein
Alarmist zu sein. Die amerikanische Demokratie wird nicht mehr die
gleiche sein, wenn es drei Jahre so weitergeht. Und sie wird
sicherlich keine sieben Jahre überleben.
Könnten die
Russland-Ermittlungen dem Trump-Spuk ein Ende setzen?
Das lässt sich
schwer vorhersagen. Im Watergate-Skandal tauchten die Tonbänder, die
Richard Nixon überführten, vier Tage vor seinem Rücktritt auf.
Vielleicht gibt es auch bei den Mueller-Ermittlungen gravierende
Dinge, von denen die Öffentlichkeit nichts weiss und die Trump zu
Fall bringen können. Ich befürchte, dass Robert Mueller eine hohe
Wahrscheinlichkeit für geheime Absprachen feststellen wird. Die
Indizien sind vorhanden. Aber die Republikaner werden nicht gegen
Trump vorgehen, selbst wenn die Voraussetzungen für ein Impeachment
vorhanden sind.
Fox News
attackiert Mueller ja beinahe täglich.
Dabei ist er ein
eingetragener Republikaner, der von einem republikanischen
Präsidenten als FBI-Direktor eingesetzt wurde. Heute bezeichnet man
ihn als Handlanger der Demokraten. Das wird auch 2020 nicht
verschwinden. Der Geist ist aus der Flasche. Die zynischen Attacken
auf die Strafverfolger werden weit über Trump hinaus Auswirkungen
haben. Das beunruhigt mich sehr.
Sie erwähnen die
Möglichkeit, dass ein Trump 2.0 auftauchen könnte, der
umgänglicher, aber nicht weniger radikal agiert.
Trump umwirbt
autoritäre Wähler, die sich nicht um demokratische Prinzipien
scheren. Früher gab es eine Art Pakt zwischen Demokraten und
Republikanern, dieses Segment nicht anzusprechen. Trump hat ihn
gebrochen. Andere Republikaner könnten zum Schluss kommen, dass sie
es noch besser machen können. Einen Trumpismus ohne idiotische
Tweets und konstante Lügen, aber mit dem gleichen nationalistischen,
fremdenfeindlichen, autoritären Populismus, den Trump verkörpert.
Daraus könnte ein jüngerer, charismatischer Trump 2.0 hervorgehen
und gewinnen.
Was kann man
dagegen tun?
Die Gefahr für
unser politisches System betrifft auch uns selbst. Einige von Trumps
Ideen sind populär, ob uns das gefällt oder nicht. Wenn sie
effektiver verpackt werden, könnten sie noch beliebter werden. Das
muss man im Hinblick auf die Post-Trump-Zukunft im Auge behalten.