Nach fünf Jahren Asyl in Russland hat Edward Snowden keine Angst vor seinen Gastgebern. Mit scharfer Zunge teilt der US-Whistleblower aus gegen Präsident Wladimir Putin und dessen Führung. «Die russische Regierung ist in vielerlei Hinsicht korrupt», sagte der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Ende Juni der «Süddeutschen Zeitung».
Damals stand Putin gerade als Gastgeber der Fussball-WM im Rampenlicht, an deren Glanz nichts kratzen sollte. Snowden fuhr die Krallen aus: «Die Russen sind warmherzig, sie sind klug. Ihre Regierung ist das Problem, nicht das Volk.»
Fünf Jahre ist es her, dass der damals von den USA meistgesuchte Mensch nach einer Hollywood-reifen Flucht Asyl in Russland bekam. 2013 hatte Snowden Journalisten im grossen Stil vertrauliche Dokumente über massive Abhörpraktiken des US-Geheimdienstes NSA und anderer Dienste zugespielt. Seine Enthüllungen wirken bis heute nach.
Der Dokumentarfilm «Citizenfour» (2014) darüber wurde mit einem Oscar prämiert. Gegner sehen in Snowden einen Verräter, Anhänger wünschen ihm den Friedensnobelpreis.
Zunächst floh Snowden von Hawaii nach Hongkong, dann flog er weiter nach Moskau. Eigentlich wollte er in der russischen Hauptstadt nur umsteigen. Doch die USA hatten seinen Pass in der Zwischenzeit für ungültig erklärt. Plötzlich sass Snowden fest - im Transitbereich des Flughafens Scheremetjewo.
Medien nannten ihn das «Phantom von Moskau», kaum einer bekam ihn in den gut sechs Wochen zu Gesicht. In zahlreichen Ländern ersuchte er um Schutz. Am 1. August 2013 gewährte ihm Russland Asyl. Es gilt noch bis 2020.
Streng abgeschirmt von der Öffentlichkeit lebt Snowden seitdem in Russland. Er twittert viel, tritt per Videoschaltung bei Konferenzen zu Pressefreiheit und IT-Sicherheit auf. Immer wird dabei penibel darauf geachtet, dass sein Standort geheim bleibt. Ansonsten kommuniziert er über seine Anwälte. Sein Krem-naher Moskauer Staranwalt Anatoli Kutscherena ging auf eine Interview-Anfrage nicht ein.
Trotz aller Geheimhaltung lebt der 35-jährige Snowden nach eigener Darstellung ein weitgehend normales Leben. «Die Leute haben diese Vorstellung, dass ich auf einer Militärbasis oder in einem Palast lebe, mit bewaffneten Wachen (...) vor der Tür. Aber nein, ich wohne in einer gewöhnlichen Wohnung zusammen mit meiner Freundin Lindsay, und ich zahle Miete wie jeder andere auch», sagte er. Seine Freundin war vor einigen Jahren aus den USA nach Russland gezogen.
Kutscherena sagt, Snowden habe in den vergangenen Jahren viele Orte in Russland bereist, und St. Petersburg gefalle ihm besonders gut. «Ich benutze keine Kreditkarten, und ich versuche, mein Privatleben so weit wie möglich von der Öffentlichkeit fernzuhalten», sagte Snowden. Zur Erinnerung: der genaue Wohnort Snowdens ist geheim.
In den USA wird Snowden per Haftbefehl gesucht. Prophylaktisch ergingen Auslieferungsersuchen an mehrere Länder. Im Falle einer Rückkehr würde Snowden nach jetzigem Stand in drei Punkten angeklagt, davon in zwei Punkten auf Grundlage des Spionage-Gesetzes. Demnach würde Snowden nur vor einem Richter stehen, eine Jury gäbe es nicht. Eine Verurteilung gälte als sicher.
Alle drei Punkte der Strafanzeige sehen jeweils eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren vor. Unklar ist, ob die Justiz eine Anklage nicht noch um weitere Punkte erweitern würde. Sowohl Präsident Donald Trump als auch der Ex-CIA-Chef und jetzige Aussenminister Mike Pompeo favorisieren die Todesstrafe.
Im Fall Snowden liegen bei Trump Welten zwischen Worten und Taten. Wie hat er dem Whistleblower mit Twitter-Salven zugesetzt - bevor er das Präsidentenamt antrat: Lügner, Betrüger, Spion, eine Schande, ein menschliches Stück Müll - ein Verräter, der hingerichtet werden müsse. Im Wahlkampf versprach Trump vollmundig «Schaut, wenn ich Präsident bin, sagt Putin zu Snowden: Hey, zack, du bist weg. Das versichere ich euch.»
Zurück zur Realität. Als Präsident habe Trump kein Verlangen gezeigt, Putin wegen Snowden zu konfrontieren, schreibt das Nachrichtenmagazin «Politico». Dieser sei von Trumps Aufgabenliste praktisch verschwunden. Die US-Presse spekuliert, ob Trump und Putin den Fall auf ihrem Gipfel im Juli in Helsinki angesprochen haben.
Denn Snowden kommentiert und kritisiert via Twitter immer wieder Vorgänge in den USA. Auch zu Trump hat er eine Meinung: «Ehrlich gesagt, jeder, der Trump drei Minuten lang zuhört, weiss, dass er eine Abrissbirne ist.»
Das Thema Snowden spielt in der US-Öffentlichkeit aber keine Rolle. Und das Wichtigste: Trumps Basis probt wegen Snowden keinen Aufstand, der Mann ist im Augenblick einfach kein Thema. Dennoch gibt sich Snowden keinen Illusionen hin, dass diese Ruhe trügerisch sein könnte.
Es scheine ziemlich klar zu sein, dass Trump niemanden mehr liebe als den russischen Präsidenten, sagte er im Mai der Nachrichten-Webseite «The Intercept». «Wird er versuchen, einen Deal zu machen? Vielleicht. Kann ich etwas dagegen tun? Nein. Würde ich meine Prinzipien verkaufen, damit das weniger möglich wird? Nein.»
Snowden als Verhandlungsmasse für Trump und Putin? Nach russischer Darstellung war eine Auslieferung beim Gipfel kein Thema. Putin hatte schon 2013 betont: «Russland liefert niemals niemanden nirgendwohin aus und plant dies auch nicht.» Damals trug die Causa Snowden zu den schlechten Beziehungen zwischen Moskau und Washington bei: Der damalige Präsident Barack Obama sagte einen Besuch in Moskau ab.
Was Russland vom Asyl für Snowden hat, darüber wird viel spekuliert. Experten sagen, er sei für den Kreml nützlich. Denn so könne der Ex-Geheimdienstler Putin sich als Wahrer der Menschenrechte darstellen, der einen Whistleblower vor den Fängen der USA schützt.
Snowden selbst sagte in Interviews, er habe keinen Kontakt zur russischen Führung und arbeite nicht für den Geheimdienst. «Ich hatte nie vor, hier zu sein.» (aeg/sda)