Paris, Gare du Nord, 15.30 Uhr: Die Soldaten der Opération Sentinelle halten sich bereit, schwerbewaffnet. In Frankreich herrscht seit der Terrorserie, die am 7. Januar 2015 ihren Anfang nahm, der Ausnahmezustand. Heute ist die Hauptstadt noch mehr in Aufruhr als sonst. Denn das Ergebnis der Präsidentschaftswahl ist weichenstellend. Für das Land, für ganz Europa.
Ich gehe zum Rathaus des 9ème Arrondissement. Viele Pariser gehen an diesem Sonntag auf dem Weg zum Einkauf wählen. Oder sie machen beim Joggen einen Zwischenstopp. Vor dem Rathaus schaut so mancher Wähler zuerst einmal ratlos um sich. Sie wissen nicht, wie sie vorgehen müssen, um ihre Stimme abzugeben.
Viele Wähler sind jung, sie stimmen in vielen Fällen zum ersten Mal ab. Entsprechend ist hier in unserer kleinen Umfrage die Zustimmung für Mélenchon hoch. Mélenchon, der Youtube-Star und chouchou der jungen Franzosen. Er soll laut Umfragen auf dem vierten Platz der «Grossen» Kandidaten landen.
Doch auch die Kleinen scheinen hier im 9ème Arrondissement Gehör zu finden. Kai, 39: «Ich wähle Poutou. Es ist eine Protestwahl gegen das System und die abgehobenen Kandidaten. Mir ist zwar klar, dass er wenig Chancen auf die Stichwahl hat, aber wenigstens scheint er mir aufrichtig. So kann ich hinter meiner Stimme stehen.»
Fernandez hat seine Stimme dem Sozialisten Hamon gegeben: «Sein Programm entspricht am besten meinen Vorstellungen. Aber mit Mélenchon wäre ich auch zufrieden. Und seine Wahl ist wohl realistischer.» Die Wahl sei aber nicht eine Wahl für jemanden, sondern gegen jemanden – gegen Marine Le Pen.
Le Pen-Wähler treffen wir an diesem Vormittag keine. Oder jedenfalls keine, die sich als Front-Nation-Wähler outen wollen.
Der Taxifahrer, der mich später zum Eiffelturm bringt, will zuerst nicht mit uns sprechen. Er echauffiert sich: «Sie sind Journalistin? Nein, dann möchte ich Ihnen nichts sagen. Schauen Sie nur, wie die Medien mit unseren Kandidaten umgehen.» Nach einer kurzen Diskussion lässt er sich dann aber doch auf ein Gespräch ein. Und sagt, er habe François Fillon gewählt. Dieser sei der Einzige mit einem «richtigen» Programm und werde der Wirtschaft Frankreichs gut tun.
Später, im Zug nach Hénin-Beaumont, erzähle ich meinen Sitznachbarn, dass ich auf dem Weg zu Marine Le Pens Wahlverantstaltung bin. Ich ernte bemitleidende Blicke. Ein Mann sagt grinsend: «Zum Glück sind Sie eine Blondine und haben eine helle Hautfarbe.»