Bis vor drei Jahren kannte ihn kaum jemand. Nie zuvor hatte er für ein gewähltes Amt kandidiert. Nun haben die Französinnen und Franzosen Emmanuel Macron zum Präsidenten gewählt, mit erst 39 Jahren und ohne eine grosse Partei im Rücken. Er profitierte von der günstigen Konstellation: Seine stärksten Kontrahenten demontierten sich selbst, die anderen waren zu extrem.
An Einem allerdings fehlt es Macron bestimmt nicht: Selbstbewusstsein. Manch ein Schüler träumt davon, seine attraktive – und verheiratete – Lehrerin zu erobern. Emmanuel Macron hat es getan. Ein gesundes Ego kann der neue Bewohner des Elysée-Palasts sehr gut brauchen, denn nach zwei schwachen Vorgängern warten enorme und fast übermenschliche Aufgaben auf ihn.
Es wird schnell gehen. Am Sonntag wird Macron das Amt von François Hollande übernehmen und vermutlich rasch einen Ministerpräsidenten und eine neue Regierung ernennen. Danach will er erste Pflöcke einschlagen, im Stil von Donald Trump mit Verordnungen. Emmanuel Macron hat keine Zeit zu verlieren, die erste grosse Herausforderung steht unmittelbar bevor:
Am 11. und 18. Juni wählt Frankreich eine neue Nationalversammlung. Emmanuel Macron ist auf eine solide Mehrheit angewiesen, um regieren und seine Reformagenda umsetzen zu können. Seine politische Bewegung «En Marche!» ist jedoch erst rund ein Jahr alt. Sie will in allen 577 Wahlkreisen antreten. Die Namen der Bewerber sind noch nicht bekannt. Die Hälfte soll aus «Überläufern» aus anderen Parteien bestehen, die andere aus unverbrauchten Neulingen.
In den Umfragen liegt «En Marche!» an der Spitze, doch das bedeutet wenig, denn das Parlament wird nach Majorz gewählt. Pro Wahlkreis wird ein Sitz vergeben. Eine Umfrage besagt, dass Macron die absolute Mehrheit erringen könnte. Andernfalls muss seine Bewegung eine Koalition mit Sozialisten oder Republikanern eingehen. Im schlimmsten Fall droht eine «Cohabitation», wenn etwa die Republikaner die meisten Sitze erobern und den Regierungschef stellen können.
Ein erstes Gesetz will der neue Präsident möglicherweise noch mit dem heutigen Parlament durchbringen. Es sieht verschärfte Ethikregeln für Politiker vor, insbesondere in Sachen Nepotismus. Die Beschäftigung von Familienmitgliedern auf Staatskosten, wie sie der republikanische Kandidat François Fillon praktizierte, soll in Zukunft nicht mehr möglich sein.
Die grösste Baustelle ist die seit Jahren lahmende französische Wirtschaft. Emmanuel Macron will in erster Priorität das restriktive Arbeitsrecht lockern. Entlassungen sollen erleichtert werden, indem die Höhe der Abfindungen beschränkt wird. Zudem sollen Entscheidungen über Arbeitszeiten und Löhne vermehrt innerbetrieblich erfolgen. Beides kann Macron per Verordnung in Kraft setzen. Erbitterte Proteste der Gewerkschaften sind programmiert.
Der neue Präsident will Frankreich wettbewerbsfähiger und unternehmerfreundlicher machen. So soll die oft erdrückende Bürokratie gelockert werden. Vorgesehen sind auch Steuererleichterungen und eine Senkung der Sozialabgaben sowie ein Investitionsprogramm von 50 Milliarden Euro. Dafür will Macron beim Staat sparen, wenn auch nicht so hart wie François Fillon. Er will 120'000 Stellen im öffentlichen Dienst streichen und über fünf Jahre 60 Milliarden Euro einsparen.
Mit Emmanuel Macron hat jener Kandidat gewonnen, der sich am deutlichsten für die Europäische Union ausgesprochen hat. Entsprechend gross ist die Erleichterung in Brüssel. Doch Macron dürfte härter auftreten als seine beiden Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande, die sich weitgehend den Wünschen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel gefügt hatten.
Macron will die Eurozone mit 19 Ländern zu einem «Kerneuropa» umbauen, mit einem eigenen Budget, einem Parlament und einem Finanzminister. Auch die in Deutschland ungeliebten Eurobonds will er einführen, wenn auch nicht sofort. Konflikte sind trotzdem programmiert, doch Macron warnt: Wenn in der EU alles beim Alten bleibe, drohe der «Frexit».
Kein westliches Land wurde in den letzten Jahren so hart vom islamistischen Terrorismus getroffen wie Frankreich. Dennoch hat das Thema im Wahlkampf eine verblüffend geringe Rolle gespielt. Die Wirtschaft bereitet den Franzosen mehr Sorgen als die Terrorgefahr. Emmanuel Macron will nicht untätig bleiben und 10'000 Polizisten einstellen sowie 15'000 Gefängnisplätze schaffen. Die Arbeit der Geheimdienste soll klarer strukturiert und gebündelt werden.
Daneben will der neue Staatschef die Ausgaben für die Verteidigung von 1,8 auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigern, gemäss den Vorgaben der NATO. Unklar ist, wie es mit den französischen Militäreinsätzen im Ausland weitergehen wird, etwa in Syrien und in Mali. Die 1997 abgeschaffte Wehrpflicht will Macron wieder einführen. Sie soll aber nur einen Monat dauern.
Die Zuwanderung war das Hauptthema von Macrons Rivalin Marine Le Pen. Er will im Gegensatz zu ihr die Grenzen Frankreichs nicht dicht machen, dafür aber die Kontrolle der europäischen Aussengrenzen verstärken. Er hat Angela Merkels Flüchtlingspolitik gelobt. Unklar ist jedoch, ob er den von ihr propagierten Verteilschlüssel unterstützt.
Frankreich gehörte bei diesem Punkt bislang eher zu den Bremsern. Allerdings hat Macron angetönt, dass Frankreich «einen gerechten Anteil übernehmen» sollte. Als konkrete Massnahmen will er lokale Integrationsprogramme für Flüchtlinge schaffen. Asylgesuche sollen innerhalb von sechs Monaten bearbeitet werden.
Präsident Macron plant für diesen heiklen Bereich einen grossen Umbau. Das Rentensystem soll radikal vereinfacht werden. Grundsätzlich soll jeder und jede in Zukunft das Rentenalter frei wählen können. Je früher man sich pensionieren lässt, umso geringer die Rente. Hier dürfte der Widerstand besonders gross sein, deshalb will Macron diesen Bereich erst später anpacken.
Frankreich hat hervorragende Hochschulen, doch in der Breite liegt manches im Argen. Emmanuel Macron will das Niveau erhöhen, etwa indem in benachteiligten Gebieten wie den Banlieues die Schulklassen verkleinert und die Lehrkräfte besser bezahlt werden. Die berufliche Ausbildung soll gestärkt werden. Ausserdem propagiert Macron das lebenslange Lernen.