Die guten Räuber? Warum wir mit den Louvre-Dieben sympathisieren
Schlau waren sie. Schnell waren sie. Es war ein Coup. Die Schlagzeilen und die Reaktion vieler Leute auf den Juwelenraub im Louvre klingen positiv. Erstaunlich positiv für eine kriminelle Tat! Wären statt heimlicher Bewunderung nicht Empörung und Entsetzen angemessen, wie sie von der französischen Regierung und führenden Politikerinnen aus Paris geäussert wurden?
Oder anders gefragt: Warum amüsieren wir uns über die eine kriminelle Machenschaft und empören uns über eine andere? Warum können wir über den Raub einer Millionenbeute mit historischem Wert im Louvre locker und voyeuristisch diskutieren, reagieren aber entsetzt, wenn Einbrecher bei mir oder einer Nachbarin ein paar Schmuckstücke stehlen, die weder besonders teuer noch einzigartig sind?
Der Robin-Hood-Effekt
Da messen wir offensichtlich mit zwei unterschiedlichen Einheiten – je nachdem, wen es trifft. Wenn bei einer Person aus meinem Bekanntenkreis oder in meiner Nachbarschaft eingebrochen wird, zeigt mir das meine Gefährdung, ich könnte das nächste Opfer sein.
Viele Bestohlene sprechen von einem Gefühl der Unsicherheit danach, weil jemand gewaltsam in ihre Privatsphäre eingedrungen ist, allenfalls gar im Schrank zwischen Unterwäsche und Leintüchern (dem offenbar beliebtesten Versteck für Bares und Schmuck) gewühlt hat.
Wird aber ein Museum bestohlen, ist das kein persönliches Eigentum – was dort ausgestellt ist, gehört einer Institution, dem Staat oder einer superreichen Privatperson. Besonders im letzteren Fall wäre das Mitgefühl wohl minim oder käme gar Schadenfreude auf. Der Robin-Hood-Effekt.
Der legendäre Raubritter, der Reiche überfiel und die Beute an Arme verteilte, ist der Inbegriff des guten Räubers. Er schädigte, um zu helfen. Für ihn gewährt – zumindest unser emotionales und moralisches Wertesystem – mildernde Umstände. Oder man stilisiert ihn je nach ideologischer Haltung gar zum Helden.
Von Kaisern nehmen, was dem Volk gehört
Gestohlen wurden im Louvre am Sonntag die royalen Juwelen aus dem Besitz der Familien um Napoleon III. Der Neffe von Napoleon Bonaparte wurde 1848 französischer Präsident, agierte bald diktatorisch und kürte sich – wie sein Vorbild – 1852 zum Kaiser der Franzosen. 1853 heiratete er die spanische Adelige Eugénie de Montijo. Dafür wurden die gestohlene – und vor dem Louvre verlorene – Krone angefertigt.
Die beiden Diademe, die Colliers und Ohrgehänge sind ältere royale Stücke, getragen wurden sie von Marie Louise, der zweiten Ehefrau von Napoleon I., von Marie Amélie, französische Königin von 1830-1848 an der Seite von Louis-Philippe sowie von Hortense Eugénie Cécile de Beauharnais, der Mutter von Napoleon III.
Kaiser Napoleon III. war der letzte französische Monarch, seit seinem Sturz 1870 ist die Grande Nation eine Republik. Die royalen Preziosen kamen nach und nach in den Louvre, in das staatliche Museum. Sie gehören nun dem Volk, das sie einst finanzierte.
Ist Raub beim Staat politisch?
Die Diebe haben also eigentlich die französischen Bürgerinnen und Bürger beraubt. Aber die Haltung «l’état c’est moi» von Louis XIV. war und ist wohl noch immer eher eine königliche und weniger eine bürgerliche. Was folglich im Louvre geraubt wurde, wurde – gefühlt – nicht der einzelnen Bürgerin, sondern dem Staat gestohlen. Einem Anonyma. Und vor allem einem mächtigen Gebilde, mit dem die Französinnen und Franzosen aktuell wieder hadern und kämpfen – fast wie einst vor der Revolution 1789. Dass die Diebe als Arbeiter getarnt ins Gebäude eindrangen, macht sie zusätzlich volksnäher.
Museumsraub aus politischen Motiven gibt es tatsächlich. Erlebt hat einen solchen der Louvre 1911: Der als Glaser auch im Louvre tätige Vincenzo Peruggia stahl am 21. April 1911 die «Mona Lisa», weil er überzeugt war, das Werk von Leonardo Vinci gehöre nach Italien. Gratis wollte er es dem italienischen Staat allerdings nicht schenken, sondern bot das Werk einem Kunsthändler an – gegen einen sehr hohen Unkostenbeitrag. Dabei wurde er verhaftet und die Mona Lisa kehrte 1914 in den Louvre zurück. Unversehrt.
Der Staat als Dieb
Selbst Staaten werden zu Räubern. Die deutschen Nationalsozialisten verhafteten, deportierten und töteten nicht nur die jüdische Bevölkerung, sondern raubten ihren Besitz. Zum einen für ein Museum des Führers und zum andern, um damit Geld im Ausland zu generieren. Diese Geschichte beschäftigt die Welt und auch die Schweiz bis heute.
Staatliche Raubzüge begannen schon in der Antike. Wer in Kriegen siegte, brachte Gefangene und erbeutetes Kriegsgerät heim und präsentierte auf den Triumphzügen möglichst viele Kunstwerke. Auch die Kolonialmächte und mit ihnen Archäologen und Forscher bedienten sich in den annektierten Gebieten – aus Interesse wie aus Gier. Der Louvre wäre halbleer ohne diese Praxis. Doch wie empfinden wir das Stehlen im Namen des Staates? Als legitim wie einst oder als übergriffig, also verwerflich?
Der französische Staat hat beim aktuellen Raub weder blutige Wunden erlitten, noch wurde ein Besucher oder eine Aufsicht bedroht oder gar verletzt. Erst das macht Raubzüge in Museen zu Taten, bei denen wir über die Cleverness, Agilität und Schnelligkeit der Räuber staunen. Dieses Gefühl wird wohl nur solange dauern, bis die Diebe gefasst und wir allenfalls durchschnittliche, langweilige Menschen als Täter präsentiert bekommen.
Sogar Empörung wird aufkommen, wenn wir erfahren, dass die Schmuckstücke brutal zerstört, eingeschmolzen und die Steine von dubiosen Händlerorganisationen verhökert worden sind. Der Umgang mit der Krone von Kaiserin Eugénie, die den Dieben aus der Tasche gefallen und beschädigt gefunden wurde, ist ein Indiz für eine eher rabiate Haltung.
Raub aus Leidenschaft
Vielleicht war aber auch alles ganz anders und die Diebe oder ihr Auftraggeber handelte nicht aus Geldsucht, sondern aus Leidenschaft. Wir hätten es dann nicht mit bösen Räubern, sondern mit romantischen Figuren zu tun – mit einer reichen Eugénie oder eine reiche Amélie, deren grösster Traum es ist, einmal das Diadem oder die Krone ihrer Namenscousine zu tragen.
Es könnte natürlich auch ein Louis oder Philippe sein, ein Fan der Monarchie, der seine Herzensdame als von echten Kronjuwelen geschmückte Kaiserin vor sich sehen möchte und für den Raub ein paar Millionen Euro einsetzt. Von solchen Geschichten nährt sich der Mythos der Gentleman-Räuber und Lady-Gaunerinnen. Sie gehören aber in die Welt der Fiktion und wir finden sie in Filmen und Büchern. Von ihnen wird unsere Sehnsucht nach dem Typ des guten Räubers geweckt.
