Der französische Premierminister François Bayrou hat diese Woche angekündigt, dass er am 8. September in der Nationalversammlung die Vertrauensfrage stellen will. Damit sucht er, einer auf den 10. September angekündigten Landesblockade zuvorzukommen. Die Organisatoren von links bis rechts aussen erinnern mit ihrem Aufruf «Blockieren wir alles!» an die Gelbwesten von 2019. Die breite Mobilisierung richtet sich gegen Einschnitte in Bayrous Staatshaushalt. Alle Oppositionsparteien haben angekündigt, sie würden dem Bayrou-Kabinett in einer Woche das Misstrauen aussprechen. Das würde die Regierung zu Fall bringen.
Bayrou hat der Nation seit Montag täglich ins Gewissen geredet und begründet sein Sparbudget mit der ausufernden Staatsschuld von über 3300 Milliarden Euro. Noch in diesem Jahr wird die Zinslast für diese Anleihen 67 Milliarden Euro erreichen. Das ist erstmals mehr als die wichtigsten Budgetposten, die Bildung oder auch die Verteidigung.
Der christdemokratische Premier hat deshalb im neuen Etat 44 Milliarden Euro an Einsparungen vorgesehen. Gesundheitsausgaben werden beschnitten, die Renten vor dem Vorjahresniveau eingefroren; 3000 Beamtenstellen fallen weg, wie auch zwei Feiertage, darunter Ostermontag.
Wie einschneidend diese Massnahmen sind, ist umstritten. Ein Beispiel: 3000 Stellen sind nur 0,05 Prozent der 5,7 Millionen öffentlichen Stellen in Frankreich. In den letzten zwei Jahrzehnten hatte die Zahl der Staatsstellen um 500'000 zugenommen. Das rechtsliberale Magazin «Valeurs actuelles» schnödete deshalb, Bayrou zücke in Wahrheit «nicht die Kettensäge, sondern nur die Gartenschere».
Nicht nur die Aktion «tout bloquer» (alles blockieren) zeigt: Die Streichung zweier Feiertage – und das ohne Lohnkorrektur – wird von vielen als Angriff auf das französische Savoir-vivre angesehen. Die Franzosen sind aufgebracht: Alles wird teurer, das Leben wird härter – und jetzt sollen sie auch noch länger malochen! Die Regierung wird dadurch nicht beliebter: «Wenn Bayrou einmal weg ist, werden wir so glücklich sein, dass wir daraus einen neuen Feiertag machen», flachste einer in den sozialen Medien.
Die Zeitschrift «Alternatives économiques» moniert, Bayrou dramatisiere die Lage der Staatsfinanzen bewusst, um sich als verantwortungsbewusster Politiker hinzustellen. Dabei habe Macron seit seinem Amtsbeginn selber tausend Milliarden Euro verprasst, und das nicht nur in der Covidzeit.
Und jetzt, fügt das linke Magazin an, drohe das «Austeritätsbudget» die Wirtschaft noch ganz ausbluten. Besser wäre ihm zufolge die Einführung der so genannten Zucman-Steuer, benannt nach einem Mitarbeiter des Kapitalismuskritikers Thomas Piketty: Die Vermögen von über 100 Millionen Euro würden stärker besteuert, was bis zu 20 Milliarden Euro in die Staatskasse spülen könnte.
Die Macronisten haben diese Reichensteuer aber im Senat abgelehnt. Ihr Argument: Die gesamte Abgabe- und Steuerquote der Franzosen betrage fast prohibitive 47 Prozent – ein internationaler Spitzenwert, der die Wirtschaft zunehmend abwürge. Neue Steuern seien deshalb für Frankreich tabu, hatte auch Bayrou vor der Sommerpause erklärt. Mit dem Rücken zur Wand stehend erklärt er nun, er wolle die «begütertsten Franzosen» stärker zur Kasse bitten. Nur so dürfte es ihm gelingen, das Budgetdefizit von 5,4 Prozent geringfügig zu senken.
Fakt ist: Seit fünfzig Jahren haben die sich folgenden Links- und Rechtsregierungen in Paris keinen ausgeglichenen Haushalt, keine schwarze Null mehr zustande gebracht – weder Macron noch seine Vorgänger Mitterrand, Chirac, Sarkozy oder Hollande. Alle türmten die Staatsschuld und die Zinslast auf.
Die EU-Kommission legte sich allerdings nie quer. Als ein Journalist den damaligen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker 2016 fragte, warum Brüssel kein Bussverfahren gegen Paris einleite, sagte dieser schulterzuckend: «Weil es Frankreich ist.»
Damals, kurz vor Macrons Einzug ins Élysée, hatte Frankreichs Staatsschuld noch 2100 Milliarden Euro betragen. Heute wiegt der Elefant im EU-Raum noch mehr: 3300 Milliarden. Das ist mehr als die chronische italienische Schuldenlast. Wirtschaftsminister Eric Lombard teilte am Montag mit, dass Paris sogar höhere Anleihezinsen zahlen müsse als Rom.
Ausserdem will Lombard eine Intervention des Internationalen Währungsfonds (IWF) für den französischen Patienten nicht mehr ausschliessen. Die Grande Nation wie ein Entwicklungsland behandelt, wie Griechenland, Spanien oder Portugal zu einer Sparkur verdonnert? Die Franzosen sind konsterniert. Zuerst wollen sie aber Bayrou in die Wüste schicken. Und Macron am liebsten gleich hinterher: 67 Prozent der Franzosen wünschen laut einer Umfrage, dass nach Bayrou auch der Präsident abdankt.