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Pariser Louvre: Insider berichtet über Missstände im Museum

«Das ist gelogen»: Insider deckt Missstände im Louvre auf

Streik, Wasserschäden und diskriminierende Eintrittspreise: Seit dem spektakulären Juwelenraub kommt der Pariser Louvre nicht mehr zur Ruhe. Ein Insider erklärt auf einem Rundgang die tieferen Gründe.
15.12.2025, 20:4815.12.2025, 20:48
Stefan Brändle, Paris / ch media

Die ganze Welt kennt den schmalen Balkon, über den am 19. Oktober zwei Einbrecher in die Apollo-Galerie des Louvre eingestiegen waren und Kaiserjuwelen im Wert von 80 Millionen Euro mitlaufen liessen. Das Quartett wurde inzwischen gefasst, von der Beute fehlt aber jede Spur.

An diesem verregneten Dezembertag hält ein Lieferwagen unter dem Balkon mit Blick auf die Seine. Drei Männer mit orangen Westen steigen aus, packen mit schnellen Griffen Werkzeuge aus.

Ein neuer Einbruch? «Keine Sorge, das sind Bauarbeiter», beruhigt Didier Rykner. «Sie bringen Metallsperren an, um die Zufahrt auf die Gehsteige wie bei dem Einbruch zu verhindern», sagt der Kunsthistoriker. «Das ist sinnlos und natürlich zu spät – die übliche Flickarbeit im Louvre.»

A black curtain hides the window where thieves entered the Louvre museum, three days after historic jewels were stolen in a daring daylight heist, Wednesday, Oct. 22, 2025 in Paris. (AP Photo/Thibault ...
Die Diebe stiegen über dieses Fenster ins Museum ein.Bild: keystone

Rykner, Herausgeber der kleinen, in der Kunstbranche aber viel beachteten «Tribune de l’Art», ist ein kritischer Geist. Als die Louvre-Direktion nach dem spektakulären Einbruch vollmundig die Installation von 100 Überwachungskameras und eines mobilen Polizeipostens im Museum ankündigte, fragte er in seiner Zeitschrift: «Warum erst jetzt?» Unter einem Regendach zieht der kleine, joviale Mann ein Papier aus der Tasche. Es ist ein vertraulicher Bericht des Schmuckhauses Van Cleef&Arpels von 2018. «Hier war alles vorausgesagt. Sogar der Einsatz einer Hebebühne, um auf den Balkon zu gelangen, war erwähnt. Und das schon vor sieben Jahren», sagt Rykner. «Geändert hat sich nichts.»

Eine jüngste Senatsanhörung hat ergeben, dass die Polizei die Einbrecher nur um 30 Sekunden verpasste. Wäre die Apollo-Galerie besser – zum Beispiel mit bruchsicheren Fenstern – geschützt gewesen, wäre das Diebesquartett kaum entkommen.

Police officers work by a basket lift used by thieves Sunday, Oct. 19, 2025 at the Louvre museum in Paris. (AP Photo/Thibault Camus)
France Louvre
Die Einbrecher kamen mit einer Hebebühne.Bild: keystone

Rykner macht es nichts aus, sich mit den Pariser Kulturgewaltigen anzulegen. Nach dem Brand der Notre Dame-Kathedrale 2019 hatte er bereits (vergeblich) personelle Konsequenzen gefordert. Jetzt übt er scharfe Kritik an der Louvre-Direktorin Laurence des Cars und verlangt ihren Rücktritt.

«Für die Reparaturen stehen weder Geld noch Handwerker zur Verfügung.»
Didier Rykner

«Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas»: Rykner durchquert einen offenen Seitenbogen des hufeisenförmigen Louvre-Gebäudes. Im Hof zeigt er auf eine Fensterreihe im ersten Stock. «Hier hat sich Madame des Cars ein Esszimmer für 500'000 Euro einrichten lassen; dazu kommen 270'000 Euro unter anderem für Designmöbel in ihrem Büro. Kein Wunder, fehlen die Mittel für die Sicherheit und den Unterhalt des über 800 Jahre alten Gebäudes.»

In der Warteschlange rund um die berühmte Eingangs-Pyramide von Ieoh Ming Pei holt Rykner sein Handy hervor. «Hier ein paar Bilder von der Schattenseite des Louvre», kündigt er an. Zu sehen sind wasserundichte Decken, leere Säle, verstopfte Toiletten. «Solche Fotos schicken mir vertraute Louvre-Angestellte öfter zu. Für die Reparaturen stehen weder Geld noch Handwerker zur Verfügung.»

Rykner seufzt. «Der Louvre zählt neun Millionen Besucher im Jahr, mehr als alle Museen. Er ist nicht nur für mich das schönste Museum der Welt. Im Herzen von Paris gelegen, mit einer Glaspyramide inmitten eines ehemaligen Königspalastes – und dann erst die Kunstwerke!» Der «Freund des Louvre», als die ihn seine Jahreskarte ausweist, zählt auf: Mona Lisa von Leonardo da Vinci, Davids Napoleon-Krönung oder Delacroix’ Revolutionsgemälde; Raffael und Veronese, Velázquez und Michelangelo, die Venus von Milo und die Hammurabi-Stele... «Ach, da könnte man tagelang verweilen», beschliesst Rykner seine Aufzählung.

Visitors walk in the lobby of the Louvre museum three days after historic jewels were stolen in a daring daylight heist, Wednesday, Oct. 22, 2025 in Paris. (AP Photo/Thibault Camus)
France Louvre
Die Empfangshalle im Louvre.Bild: keystone

In der Empfangshalle unter der Pyramide angelangt, stört sich Rykner aber sofort an den Hinweistafeln: «Der Besucherstrom wird in den Denon-Flügel gelenkt, wo die Mona Lisa hinter Panzerglas wartet. Der Sully-Flügel bleibt dagegen fast leer, obwohl dort wunderbare Gemälde von Rembrandt oder Vermeer zu sehen wären.»

«Das ist gelogen»

Einige Abteilungen, und längst nicht nur die ausgeraubte Schmuckgalerie, lassen sich nicht besichtigen. «Wegen Arbeiten geschlossen», steht auf einem Tor im Richelieu-Flügel. «Das ist gelogen», erklärt Rykner, «in Wahrheit fehlt es an Wachleuten.»

Auch die griechischen Antiquitäten der Galerie Campana mussten zugesperrt werden – die hölzernen Tragbalken im Boden drohen einzustürzen. In der altägyptischen Bibliothek kam es im November zu einem Wasserrohrbruch, weil das veraltete Hydrauliksystem ausfiel. Angestellte versuchten, die über 300 antiken Dokumente mit Löschpapier zu trocknen.

Am Montag sind die 2200 Louvre-Angestellten in einen unbefristeten Streik getreten. Sie verlangen mehr Mittel – nicht nur für die Sicherheit. Rykner hat Verständnis. Er führt uns zum Carrousel du Louvre, der unterirdischen Ladengalerie mit einem Seiteneingang ins Museum. Hier ist die Besucherschlange noch länger als draussen. «Eine Stunde Wartezeit», schätzt Rykner. «Und wissen Sie warum? Weil es nur eine einzige Sicherheitsschleuse hat.»

epa12593798 Louvre workers from various unions, including CGT, CFDT, and SUD, hold a banner with the message 'The Louvre fights for decent working conditions, higher wages, and more staff. Agains ...
Louvre-Angestellte haben einen Streik begonnen.Bild: keystone

Laut dem Kunsthistoriker wäre schon viel geholfen, wenn die Metalldetektoren und Körperscanner verdoppelt würden. «Das wäre eine praktische, günstige Lösung. Doch die Direktorin rührt lieber mit der grossen Kelle an.» Des Cars will auf der Ostseite des Museums einen neuen Eingang schaffen. Und dazu gleich auch einen neuen Ausstellungssaal, in den die Mona Lisa verlegt würde. Kostenpunkt des Projektes «Grande Colonnade»: 666 Millionen Euro. «Die Zahl des Teufels», kommentiert Rykner sarkastisch. «Das Vorhaben ist völlig überrissen, wenn man an den maroden, dringend sanierungsbedürftigen Zustand des übrigen Museums denkt.»

Kein Geld für die Sicherheit

Allein Staatspräsident Emmanuel Macron hatte anfangs dieses Jahres grünes Licht gegeben. «Er will nach zehn Jahren als Präsident ein grosses Bauwerk hinterlassen», glaubt Rykner. «Bloss frisst dieses Projekt ein riesiges Loch ins Budget. Für die Sicherheit ist kein Geld mehr da.»

Auch der französische Rechnungshof kritisierte schon vor dem Einbruch, der Louvre habe in den letzten Jahren teure Kunstwerke erworben, die Sicherheit, den Gebäudeunterhalt und den Besucherkomfort aber vernachlässigt. Ein neues Sicherheitsdispositiv sei 2022 auf Eis gelegt worden. Erst jetzt werde es in aller Hast neu aufgelegt.

epa12564534 'Saint Paul the Hermit' by Spanish painter Jusepe de Ribera on display in the room dedicated at the Italian and Spanish paintings from the 17th and 18th centuries during a press  ...
Die Eintrittspreise für Nicht-EU-Bürger steigen.Bild: keystone

Dafür muss der Louvre ab Mitte Januar seine Eintrittspreise erhöhen. Aber nur für Nicht-EU-Bürger: Für sie kostet ein Ticket nicht mehr 22, sondern 32 Euro.

Die Franzosen will Macron nicht zur Kasse bitten. Auch EU-Bürger, die nach Brüsseler Recht gleichbehandelt werden müssen, zahlen weiter 22 Euro. «Diskriminiert werden die anderen, in erster Linie die Amerikaner und Chinesen, aber auch die Schweizer», meint Rykner kopfschüttelnd. Auf die Abschlussfrage, ob der Kurs des Museums kohärent sei, lacht der Kunstfachmann: «War der Louvre schon mal kohärent?» (aargauerzeitung.ch)

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