Machen Trump und Putin gemeinsame Sache gegen Europa? 6 Fragen und Antworten
Die 120-Millionen-Euro-Strafe der EU gegen Elon Musks Online-Plattform X und die Veröffentlichung der neuen US-Sicherheitsstrategie haben zu einer toxischen Mischung geführt, die übers Wochenende explodiert ist.
Während 48 Stunden ging es vor allem im Internet drunter und drüber. Während Elon Musk die EU mit Nazi-Deutschland verglich und viel Unterstützung von offizieller US-Seite erhielt, verbündeten sich in Moskau auch Putins-Handlanger mit den amerikanischen EU-Gegnern.
Ist die transatlantische Allianz nun endgültig zerbrochen? Und was ist dran an den Vorwürfen, in Europa würde die Zensur eingeführt?
Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie reagiert die EU auf den Frontalangriff aus den USA?
Mit Zurückhaltung. Weder Bundeskanzler Friedrich Merz noch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben sich direkt geäussert. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, deren Institution im Zentrum des Sturms steht, blieb still.
Am besten auf den Punkt brachte es vielleicht die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas:
Die EU und die USA würden aber Alliierte bleiben. Um innenpolitische Angelegenheiten werde man sich selbst kümmern.
Die Botschaft ist klar: Wenn die transatlantische Allianz zerbricht, soll es nicht die Schuld der Europäer sein.
Übrigens: auch US-Präsident Donald Trump hat sich Stand Montagnachmittag noch nicht in den Streit eingeschaltet.
Warum applaudieren jetzt Putins Handlanger?
In Europa nahmen nicht nur EU-Gegner wie die AfD-Chefin Alice Weidel den Steilpass von Musk zur Auflösung der EU auf. In Moskau verbreitete auch Kirill Dmitriev Zustimmung – immerhin Putins Gesandter bei den Ukraine-Verhandlungen mit den USA. Der Russe verstieg sich sogar in die Aussage, die EU sei zum «Feind der Meinungsfreiheit» geworden, indem er einen Beitrag von Musk über europäische «Stasi-Kommissare» mit entsprechendem Kommentar weiterverbreitete.
Das ist deshalb grotesk, weil in Russland westliche Online-Netzwerke wie X, Facebook und Instagram allesamt gesperrt sind. Bei der Redefreiheit landet Russland weltweit auf Platz 171 von 180.
Aber das Kalkül des russischen Applaus für Musk ist klar: Alles, was die Einigkeit Europas schwächt, wird begrüsst. Einzelne Nationalstaaten sind leichter zu manipulieren als ein geeintes Europa. Das ist auch der Grund für die anhaltende Kreml-Unterstützung EU-feindlicher Parteien in Europa.
Gibt es wirklich ein Problem mit der Meinungsfreiheit in Europa?
Es ist nicht überall gleich. Aber generell führen europäische Staaten sämtliche Ranglisten zur Rede-, Meinungs- und Pressefreiheit an. Dass die Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt ist, zeigt sich schon an Musk selbst: Er kann EU-Hitler-Vergleiche veröffentlichen, ohne dass jemand etwas dagegen unternähme.
Einschränkungen gibt es hingegen, wenn es sich um illegale Inhalte handelt. Dazu gehören Aufrufe zur Gewalt, allgemein justiziable Äusserungen oder die Verletzung von Urheberrechten. Die konkrete Ausgestaltung liegt aber bei den Nationalstaaten.
Das Vereinigte Königreich, welches von Musk wegen der dortigen Regelungen gegen Hassrede besonders oft kritisiert wird, ist nicht einmal Mitglied der EU.
Worum geht es wirklich beim Streit mit X?
Es geht nicht um Inhalte, sondern um Transparenz. Die EU kritisiert, dass auf X mit dem System der Blauen Haken Konten als vertrauenswürdig ausgegeben werden, die es in Wirklichkeit nicht sind. Des Weiteren sind sogenannte «Bots» ein Problem. Das sind Roboter-Konten, die automatisiert Inhalte produzieren und zur Desinformation eingesetzt werden können.
Daneben läuft noch eine zweite Untersuchung, die den Algorithmus von X ins Visier nimmt. Dieser priorisiert gewisse Konten und Beiträge gegenüber anderen, was ebenfalls Transparenzfragen aufwirft.
Eine nochmals andere Sache ist der Streit zwischen der EU und den US-Tech-Giganten, wenn es um deren monopolähnliche Stellung geht. Hier greifen die an das Kartellrecht angelehnten Digital-Regeln.
Haben die USA auch einen Punkt bei ihrer EU-Kritik?
Ja. Aber nicht so, wie es sich Musk und Co. bei ihrer Brachial-Kritik vorstellen. Es geht um das sogenannte «Demokratiedefizit». Dieses ist seit Jahrzehnten Gegenstand akademischer Debatte.
In aller Kürze: In der EU gibt es einen Überhang der Exekutive. Das heisst, die Mitgliedsstaaten haben zu viel und nicht zu wenig Macht, wie oft kolportiert. Das liegt daran, dass das EU-Parlament als gewählte Volksvertretung selbst keine Gesetze vorschlagen kann. Und dass die nationalen Regierungen in Brüssel als Teil der Legislative Gesetze ausarbeiten. Das führt zu einer Vermischung der Gewaltentrennung.
Das Argument vom Demokratiedefizit sticht aber nur, wenn man den Staatenbund EU als Bundesstaat versteht. Und davon ist die EU bekanntermassen noch weit entfernt.
Bonus: Die EU-Kommissionspräsidentin und ihre Kommissare werden oft als «ungewählte EU-Bürokraten» beschrieben. Tatsächlich werden sie von den demokratisch legitimierten Regierungen nominiert und vom EU-Parlament in einer Wahl bestätigt.
Nützt der Streit der Schweiz als EU-Nicht-Mitglied?
Die Schweiz gerät als europäisches Land, das nicht Mitglied bei der EU ist, vermehrt unter Zugzwang. Das zeigen die Verhandlungen über die Bilateralen III und die institutionelle Anbindung an die EU. Ein Zerfall der EU wäre aber kaum im Interesse unseres Landes. Im Gegenteil: Die wirtschaftlichen Auswirkungen wären gravierend. Nicht zu reden davon, was ein Ende der europäischen Ordnung sicherheitspolitisch für den Kontinent bedeuten würde. (aargauerzeitung.ch)
