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Le Pen oder Bardella – warum Frankreichs Rechte in der Klemme steckt

Le Pen oder Bardella – warum Frankreichs Rechte in der Klemme steckt

Das Gerichtsurteil gegen Marine Le Pen wirbelt die Wahlpläne der französischen Rechten durcheinander. Schlägt nun die Stunde des erst 29-jährigen Jordan Bardella?
10.04.2025, 06:1010.04.2025, 06:10
Stefan Brändle, Paris / ch media
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Es ist die grosse, die derzeit entscheidende Frage der französischen Tagespolitik. Am Parteisitz des Rassemblement National (RN) in Paris-Nanterre ist sie allerdings tabu. Zu explosiv für Marine Le Pen. Der TV-Sender TF1 stellte ihr die Frage dennoch sehr direkt: «Soll der formelle Parteichef Jordan Bardella bei den Präsidentschaftswahlen 2027 an Ihrer Stelle antreten?»

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Die RN-Gründerin und ihr politischer Ziehsohn: Marine Le Pen mit Parteipräsident Jordan Bardella.Bild: keystone

Letzte Woche hatte die RN-Gründerin für die Veruntreuung von EU-Geldern eine vierjährige Haftstrafe – davon zwei Jahre mit Fussfesseln – erhalten, kombiniert mit einer Busse und einer fünfjährigen Unwählbarkeit. Eine «Atombombe», nannte Le Pen das Verdikt selber. Sie hat Berufung eingereicht, aber ihre Chancen gelten als gering, ihre Kandidatur wankt.

Die Antwort auf die TF1-Frage hatte Le Pen sichtlich vorbereitet. «Jordan Bardella ist ein grossartiger Trumpf für unsere Bewegung», antwortete sie dem TF1-Journalisten etwas gestelzt. «Aber ich hoffe, dass wir diesen Trumpf nicht früher als nötig einsetzen müssen.» Zwei Tage später fügte sie auf eine Journalistenfrage an: «Es kommt nicht infrage, einen Plan B ins Auge zu fassen, bevor der Plan A zu Ende ist.»

«Und der Plan A», hätte sie unnötigerweise anfügen können, «das bin ich.» Warum sie daran festhält, erklärte sie so: «Ich habe seit 25 Jahren ein enges Band mit den Franzosen geknüpft; es erlaubt mir, die Favoritin der nächsten Präsidentschaftswahlen zu sein.» Zumal ihr zweifacher Bezwinger, Staatschef Emmanuel Macron, nach zwei Mandaten nicht mehr antreten kann.

Das Gericht durchkreuzt die grossen Pläne

Nicht vorhergesehen war in dem Plan A die mehrjährige Haftstrafe. Das Berufungsgericht ist zwar Le Pen entgegengekommen; es will den zweitinstanzlichen Prozess schon im Sommer 2026 beendet haben. Doch das Verdikt Le Pen trifft sehr hart. Über Nacht warf sie ihre seit Jahren verfolgte Strategie der Mässigung im Stil wie im Inhalt über Bord. Ihre Stimme wird wieder schrill, aggressiv schimpft sie über das «System», das gegen sie und die Demokratie arbeite.

Es ist, nebenbei gesagt, das gleiche «System», das sie im Élysée zu leiten hätte. Ein wenig wie Donald Trump und der angebliche «Deep State». Der US-Präsident polterte letzte Woche, Le Pen sei in ihrem Land Opfer einer «Hexenjagd». Sie organisierte am Sonntag in Paris eine Protestkundgebung (siehe nebenstehenden Beitrag), um Druck auf die Justiz zu machen. Doch mit einem Freispruch in einem Jahr rechnen nicht einmal die Optimisten der Partei. Le Pen wäre schon zufrieden, wenn sie eine aufschiebende Wirkung des Urteils erhielte; damit könnte sie an den Kassationshof gelangen und zwischenzeitlich fürs Élysée kandidieren.

epa12013490 President of the French National Rally (RN) Jordan Bardella speaks via a video link during the Federal Congress of the League (Lega) at the Fortezza da Basso in Florence, Italy, 06 April 2 ...
International vernetzt: Jordan Bardella spricht per Videoschalte an einer Veranstaltung der italienischen Lega.Bild: keystone

Das sind aber etwas viele Hypothesen. Wäre es nicht besser, den Plan B zu aktivieren? B wie Jordan Bardella?

Seine mehrheitlich weiblichen Fans halten den Jungspund mit dem Benehmen eines idealen Schwiegersohnes auch für den idealen Kandidaten. Der Sohn italienischer Einwanderer, der in der armen, gefährlichen Pariser Vorstadt Drancy aufwuchs, ist smart und perfekt gestylt mit Massanzug und Dreitagebart.

Doch auch der Plan B hat seine Tücken. Bardella ist erst 29 Jahre alt; obwohl er von einem Präsident-Veteranen bereits ein intensives Medientraining erhalten hat, zeigt er in den Rededuellen im Fernsehen immer wieder Schwächen und Patzer. So behauptete er, Jean-Marie Le Pen sei kein Antisemit gewesen, obwohl dieser die Gaskammern als «Detail» des Zweiten Weltkrieges bezeichnet hatte.

Zur Wiedergutmachung folgte Bardella einer Einladung der israelischen Regierung nach Jerusalem. Und als der Trump-Adlat Steve Bannon bei der CPAC-Konferenz in den USA den Hitlergruss machte, boykottierte Bardella das Treffen der Ultrakonservativen ostentativ. Generell hält er zu Trumpisten und Putinisten mehr Distanz als Le Pen. Unklar bleibt bei ihm jeweils nur, ob das aus Kalkül oder Überzeugung geschieht.

Liiert mit der Nichte der Parteigründerin

Bardella wird in seinem Lager mit Macron verglichen, der mit 39 Jahren Staatschef wurde. Aber der RN-Novize hat weder den scharfen Intellekt noch die Erfahrung des ehemaligen Investmentbankers und Wirtschaftsministers. Einen Job hat der ehemalige Geografiestudent nie ausgeübt; ausser einem Mandat als Pariser Regionalrat und als Europaabgeordneter ist auch sein politischer Lebenslauf jungfräulich leer. Seinen Aufstieg hat er vielleicht auch dem Umstand zu verdanken, dass er mit einer jungen Frau aus dem Le-Pen-Clan liiert ist – einer Nichte von Marine.

Auch ausserhalb der Dynastie der französischen Rechten steigt seine Popularität. Noch ein Keulenschlag für Le Pen: 60 Prozent der RN-Mitglieder ziehen laut einer neuen Umfrage Bardella vor, nur 32 Prozent Le Pen. Ähnlich sieht es parteiübergreifend aus: 31 Prozent für Bardella, 16 für Le Pen. Und auch diese Umfrage bleibt im RN-Hauptquartier tabu.

Das Dilemma für den RN ist unlösbar: Für den Fall einer neuen Verurteilung sollte Marine Le Pen damit beginnen, ihren politischen Ziehsohn Bardella als Ersatz aufzubauen. Das wäre aber ein Eingeständnis ihrer eigenen Schwäche, falls sie schliesslich doch im Rennen bleibt. Verwehrt sie Bardella aber den Fronteinsatz und die Medienpräsenz, verweigert sie ihm den Aufstieg – und dem RN womöglich bald einen Spitzenkandidaten.

Und Bardella? Er bekräftigte nach dem Gerichtsurteil, er stehe «Marine» mit «totaler Loyalität» zur Seite. Vielleicht sagt er sich, dass er es nicht eilig habe. Mit 29 Jahren bliebe ihm bis über 2060 hinaus Zeit, ins Élysée zu gelangen. Aber Bardella wirkt nicht wie jemand, dessen erste Tugend Geduld ist. (aargauerzeitung.ch)

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11 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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bokl
10.04.2025 06:38registriert Februar 2014
Da zeigt sich halt klar, dass es Le Pen zuerst um die Person geht und nicht um die Partei oder gar das Land. Absolut ungeeignet für den wichtigsten Posten der Nation.
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