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Regierung Frankreichs schränkt nach Krawallen öffentliches Leben ein

Regierung Frankreichs schränkt nach Krawallen öffentliches Leben ein

30.06.2023, 21:4030.06.2023, 22:40
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Mit Einschränkungen des öffentlichen Lebens will die Regierung in Frankreich die schweren Krawalle nach dem Tod eines Jugendlichen durch einen Polizeischuss eindämmen. Landesweit sollte der Nahverkehr mit Bussen und Strassenbahnen am Freitagabend nach einer Anweisung von Innenminister Gérald Darmanin um 21.00 Uhr eingestellt werden, berichtete der Sender BFMTV. Grossereignisse wie Konzerte wurden abgesagt, der Verkauf und das Mitführen von Feuerwerkskörpern und brennbaren Stoffen wurden verboten. Den nationale Notstand rief die Regierung allerdings bislang nicht aus.

Nach der dritten Nacht mit Unruhen in ganz Frankreich appellierte Präsident Emmanuel Macron am Freitag an das Verantwortungsbewusstsein von Eltern. Sie müssten ihre jugendlichen Kinder von der Teilnahme an Krawallen abhalten. Der Präsident machte auch die sozialen Netzwerke für die Gewalteskalation der vergangenen Tage verantwortlich. Dort seien gewalttätige Versammlungen organisiert worden. Ausserdem habe er das Gefühl, dass einige Jugendliche auf der Strasse Videospiele nachahmten. Macron kündigte an, dass die Behörden gegen Menschen vorgehen werden, die über die sozialen Netzwerke zu Krawallen aufrufen.

epa10719506 French President Emmanuel Macron arrives to inaugurates an exhibition dedicated to produces made in France, at the Elysee palace in Paris, France, 30 June 2023. EPA/Michel Euler / POOL MAX ...
Präsident Macron appelliert an die Eltern der protestierenden Jugendlichen.Bild: keystone

Premierministerin Élisabeth Borne hatte zuvor angekündigt, «alle Hypothesen» zu prüfen, um schnell wieder zur «republikanischen Ordnung» zurückzukehren – auch die Ausrufung des landesweiten Notstands hatte sie nicht ausgeschlossen. Die französische Regierung entschied sich zunächst jedoch dafür, den Einsatzkräften den Rücken zu stärken und dem Innenministerium «zusätzliche Mittel» zur Verfügung zu stellen. Was das konkret bedeutet, blieb zunächst unklar.

Auslöser der Unruhen war der Tod eines Jugendlichen. Eine Motorradstreife in Nanterre bei Paris hatte den 17-jährigen Nahel am Dienstagmorgen am Steuer eines Autos gestoppt. Als der junge Mann plötzlich anfuhr, fiel ein tödlicher Schuss aus der Dienstwaffe des Polizisten. Gegen den Beamten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Totschlags eingeleitet, er kam in Untersuchungshaft. Der Einsatz der Waffe bei der Kontrolle war nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht gerechtfertigt.

Beerdigung für Samstag geplant
Der bei einer Polizeikontrolle in Frankreich erschossene Jugendliche soll am Samstag beerdigt werden. Das teilte Patrick Jarry, der Bürgermeister von Nanterre, am Freitag laut der Nachrichtenagentur AFP mit. (sda/dpa)

Seitdem wird Frankreich von heftigen Unruhen erschüttert. Im Grossraum Paris und in weiteren Städten gab es von Donnerstag auf Freitag in der dritten Nacht in Folge Ausschreitungen. Knapp 2000 Autos gingen in Flammen auf und an rund 500 öffentlichen Gebäuden wie Polizeiwachen und Rathäusern wurde Feuer gelegt und Polizisten wurden mit Feuerwerkskörpern angegriffen. Mehrere Hundert Menschen wurden nach Angaben des Innenministeriums festgenommen und über 200 Polizeibeamte verletzt.

Nach den Unruhen der vergangenen Tage in Frankreich sollen in der Nacht zum Samstag 45'000 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz sein. Darunter seien auch Spezialeinheiten, erklärte Innenminister Gérald Darmanin am Freitagabend im Fernsehsender TF1. Darmanin sprach von «aussergewöhnlichen Mitteln», konkretisierte das aber zunächst nicht. In der Nacht zuvor waren 40'000 Polizisten im Einsatz.

A police investigator watches charred buses on a third night of unrest, Friday, June 30, 2023 at the bus depot of Aubervilliers, outside Paris. A dozen of buses have been destroyed. Protesters erected ...
Verkohlte Busse ausserhalb von Paris.Bild: keystone

Ob Macron seinen für kommende Woche geplanten Staatsbesuch in Deutschland absagen wird, ist offen. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, er habe dazu im Augenblick keine Informationen. Die Bundesregierung blicke mit einer «gewissen Sorge» auf die aktuellen Ereignisse in Frankreich.

Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf rief die französische Polizei angesichts der Unruhen auf, sich mit Rassismus in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen. «Dies ist der Zeitpunkt für das Land, sich ernsthaft mit den tiefgreifenden Problemen von Rassismus und Diskriminierung in den Strafverfolgungsbehörden auseinanderzusetzen», sagte eine Sprecherin am Freitag in Genf. Das Pariser Aussenministerium wies den Vorwurf zurück. «Jegliche Anschuldigungen, dass die Polizei in Frankreich systematisch Rassismus oder Diskriminierung betreibt, sind völlig unbegründet», hiess es. «Frankreich und seine Ordnungskräfte kämpfen entschlossen gegen Rassismus und alle Formen der Diskriminierung.» (sda/dpa)

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35 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bärner728
30.06.2023 22:23registriert Juni 2020
Klar, Rassismus... Der Straftäter, 17, ohne Führerausweis, in einem stark motorisierten Mercedes-AMG mit polnischem Kennzeichen (Fahrzeug wahrscheinlich gestohlen) zu schnell auf für Busse reservierten Spur unterwegs. Als die Polizei ihn an einer Kreuzung kontrollieren will, fährt er bei Rot los und liefert sich eine 20-minütige Verfolgungsjagt mit der Polizei, bei der er mehrmals Passanten gefährdet, bis er im Stau stecken bleibt. Als die Polizisten dann neben ihm stehen um ihn zu kontrollieren, gibt er wieder Gas. Was für ein nettes Unschuldslamm, böse Polizei muss rassistisch sein.
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So en Ueli
30.06.2023 22:23registriert Januar 2014
Frankreich täte gut daran, ihre Gesetze allgemein zu verschärfen und endlich in den Ghettos aufzuräumen. Entweder mit Ausschaffungen oder mit Unterstützung und Integration.
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