Zwischen Finanzmärkten und Strassenprotesten – Frankreichs Regierung ringt um einen Ausweg
Ein «A» weniger. Die Ratingagentur Fitch hat die Bonität Frankreichs in der Nacht auf Samstag von AA- auf A+ gesenkt. Es ist die dritte Abstufung seit 2012, als Frankreich das begehrte Triple-A (Dreifach-A) verloren hatte.
Die Folgen des Bonitäts-Verlustes halten sich für Frankreich vorerst in Grenzen. Die Märkte haben den Entscheid antizipiert. Wenn die beiden anderen grossen Agenturen, Moody’s und S&P, im traditionellen Herbst-Rating nachziehen, müsste Frankreich allerdings immer höhere Kreditzinsen zahlen. Der «Spread», das heisst der Zinsabstand zu Deutschland, wächst unaufhörlich.
Und die Aussichten für Frankreich sind düster. Das unüblich hohe Budgetdefizit von 5,4 Prozent dürfte 2026 nur unwesentlich sinken; die Staatsschuld von 3300 Milliarden Euro könnte dagegen laut Fitch von aktuell 113 Prozent des Bruttoinlandproduktes auf 121 Prozent im Jahr 2027 klettern.
Gravierend ist für die französische Staatsführung nicht nur die Rückstufung, sondern die erbarmungslose Analyse der Finanzlage Frankreich durch Fitch. Sie zeigt auf, dass die französische Staatsführung eigentlich gar keinen Ausweg aus der Finanzkrise hat. Entweder kürzt sie die Sozialausgaben drastisch und riskiert noch heftigere Strassenproteste. Oder sie limitiert die Einsparungen und wird dafür von den Finanzmärkten abgestraft.
Hat Frankreich einen Plan?
Der zweitgrössten Volkswirtschaft der EU hinter Deutschland droht laut Fitch in beiden Fällen eine «zunehmende Instabilität». Der neueste Regierungssturz und Wechsel des Premierministers – der fünfte seit Beginn des letzten Jahres – haben laut der britisch-amerikanischen Agentur zur Folge, dass «kein Plan» für eine Senkung der Schuldenlast erkennbar sei. «Diese Instabilität schwächt die Fähigkeit des politischen Systems, eine substanzielle Haushaltskonsolidierung zu erreichen», folgert Fitch.
Die Agentur räumt ein, dass der neue Premier Premier Sébastien Lecornu in einem unentrinnbaren Dilemma zwischen Sozialforderungen und Finanznot stecke. Eigentlich müsste er aus der Sicht der Agentur wie sein Vorgänger François Bayrou am Budget 2026 milliardenschwere Abstriche vornehmen. Lecornu schickte allerdings zuerst ein innenpolitisches Signal: Am Samstag erklärte der konservative Regierungschef, er werde die von Bayrou geplante und in der Bevölkerung sehr unpopuläre Streichung von zwei Feiertagen (Ostermontag und der 8. Mai für das Ende des Zweiten Weltkrieges) zurücknehmen.
Ein erstes Zeichen fehlenden Sparwillens? Das wäre inakzeptabel für die EU und die Europäische Zentralbank und würde die Zinsen an den Finanzmärkten hochtreiben. Lecornu kann aber die Landesblockade von letzter Woche und die Streiks und Massenproteste der nächsten Tage aber nicht einfach ignorieren. Auch die Linksopposition verlangt mehr, nicht weniger Sozialleistungen. Für den Fall, dass Lecornu dennoch auf das Sparpedal steht, hat die Linksopposition am Wochenende bereits mit einem neuen Regierungssturz gedroht.
Vieles deutet darauf hin, dass Lecornu letztlich versuchen wird, sich mit Steuererhöhungen aus der Affäre zu ziehen. Vermutlich werden die Grossverdiener den Kopf hinhalten müssen: Lecornu will dem Vernehmen nach diesen «ultrariches» (Superreiche) eine Sondersteuer auferlegen. Fitch warnt aber, dass Frankreich mit einer Abgabequote von jetzt schon 46 Prozent (bei 40 Prozent im EU-Schnitt) das Maximum einer zumutbaren Steuerbelastung erreicht habe. (aargauerzeitung.ch)
