Das Vereinigte Königreich steht im Bann mehrerer Grossereignisse. Am Samstag wird Charles III. in der Westminster Abbey zum König gekrönt. In der folgenden Woche findet in Liverpool der Eurovision Song Contest statt. Die Briten sprangen für den letztjährigen Sieger Ukraine ein, wo der Mega-Event aus naheliegenden Gründen nicht stattfinden kann.
Den Auftakt aber machen am Donnerstag die Kommunalwahlen in weiten Teilen Englands (zu den Ausnahmen gehört die Hauptstadt London). Sie sind ein Stimmungstest für den konservativen Premierminister Rishi Sunak. Er hatte das Amt vor sechs Monaten von Liz Truss übernommen, die das Land mit ihrer Wirtschaftspolitik ins Chaos gestürzt hatte.
Beim unrühmlichen Abgang der Kurzzeit-Regierungschefin lagen die Konservativen in den Umfragen rund 30 Prozent hinter der oppositionellen Labour-Partei. Dem Pragmatiker Sunak gelang eine gewisse Trendwende. In der Querschnittumfrage der BBC hat sich der Rückstand halbiert. Labour kommt demnach auf 44 Prozent, die Tories auf 29 Prozent.
Mit Blick auf die nächste Unterhauswahl, die vermutlich Ende 2024 stattfinden wird, ist die Differenz aber immer noch erheblich. Denn Sunak gelang es höchstens ansatzweise, die schwere Krise der Lebenshaltungskosten in den Griff zu bekommen, die selbst Menschen mit einem ordentlichen Einkommen dazu zwingt, sich nach der Decke zu strecken.
Die Inflation lag zuletzt bei über 10 Prozent und damit höher als in den meisten Ländern auf dem europäischen Kontinent. Bei den Lebensmittelpreisen war sie noch grösser, auch wegen durch den Brexit erschwerter Importe. Auch die hohen Energiepreise machen den Briten zu schaffen, obwohl die Regierung die Heizkosten gedeckelt hat.
Eine Folge davon war die heftigste Streikwelle seit Jahrzehnten, die zahlreiche Bereiche erfasste. Und eine immer grössere soziale Not. So haben die 1300 Tafeln oder Food Banks des Trussell Trust, einer der wichtigsten britischen Wohltätigkeitsorganisationen, innerhalb eines Jahres mehr als eine Million Notfall-Lebensmittelpakete an Kinder ausgeteilt.
Der Bedarf sei noch grösser gewesen als im ersten Jahr der Pandemie, «von dem wir alle dachten, dass es sich um ein einmaliges Rekordhoch handeln würde», sagte Emma Revie vom Trussell Trust der BBC. Mehr als 750’000 Hilfsbedürftige hätten zuvor nie eine Food Bank aufgesucht. Auch sind immer mehr Leute mit einem Job auf Hilfe angewiesen.
Millionen Britinnen und Briten droht der Absturz aus dem Mittelstand in die Armut. Was das konkret bedeutet, zeigt eine Reportage des Senders CNN aus Doncaster, einer Stadt mit rund 300’000 Einwohnern in der Grafschaft South Yorkshire. Es ist eine jener Regionen in Nordengland, die sich nie richtig vom Niedergang von Industrie und Bergbau erholt haben.
«Wer kein Millionär ist, spürt den Druck», sagte Liz Coopey, die als freiwillige Helferin in einer Food Bank arbeitet, die zur Kirche St. John the Evangelist gehört. Dort stehen immer mehr Menschen für Lebensmittel an, die eine Vollzeit-Arbeit haben. «Sie brauchen ihren ganzen Lohn, um Rechnungen zu bezahlen, und haben kein Geld für Nahrungsmittel», sagte Andy Unsworth, ein Pastor der Kirche, der die Food Bank leitet, gegenüber CNN.
Ausgerechnet in diesem Umfeld lässt sich Charles III. am Samstag in einer pompösen Zeremonie die Krone aufs Haupt setzen. Zwar wurde sie im Vergleich zur Inthronisierung seiner Mutter Elizabeth II. vor 70 Jahren abgespeckt. Auch damals erlebte das Königreich eine harte Zeit. Es erholte sich nur langsam von den Folgen des Zweiten Weltkriegs.
Damals aber war die Krönung für viele eine willkommene Abwechslung vom tristen Alltag. Und die junge, unverbrauchte Queen war eine Hoffnungsträgerin. Charles hingegen ist mit 74 Jahren so alt wie niemand vor ihm bei der Thronbesteigung. Er steht nicht für einen Neuanfang, sondern wirkt auf immer mehr Leute wie ein aus der Zeit gefallenes Relikt.
Zu reden geben nicht zuletzt die Kosten der Krönung zulasten der klammen Staatskasse. Die britische Regierung weigert sich, sie zu beziffern, doch britische Medien gehen gemäss CNN von 50 bis zu mehr als 100 Millionen Pfund aus. Das stösst vielen in Doncaster und anderswo sauer auf, denn Charles ist kein «armer» Monarch.
Zwar zahlt er «freiwillig» Einkommenssteuer, doch auf das Privatvermögen seiner Mutter von rund 500 Millionen Pfund – dazu gehören unter anderem eine Kunstsammlung sowie die Schlösser Balmoral und Sandringham – entrichtet er keine Erbschaftssteuer. Dem britischen Fiskus entgehen so Einnahmen von Dutzenden Millionen Pfund.
Hinzu kommen satte Einkünfte für Charles III. aus Ländereien und anderen Investments. Allein aus der Duchy of Lancaster bezog er im letzten Budgetjahr die nette Summe von 24 Millionen Pfund, so CNN. Angesichts solcher Beträge ärgern sich selbst Monarchisten darüber, dass der König seine Krönung nicht aus der eigenen Tasche bezahlt.
«Ich mag die Royal Family, aber sie hat den Bezug zur Realität verloren», sagte Laura Billington, eine Lehrerin aus Doncaster, die trotz Vollzeit-Job ebenfalls «den Druck spürt». Auch Liz Coopey aus der Food Bank ist keine Gegnerin der Monarchie, doch die Millionen für die Krönung sähen «nicht gut aus», wenn das Land «offen gesagt am Arsch ist».
Am Samstag werden trotzdem viele der Königsfamilie zujubeln. Aber die Konservativen könnten den Volkszorn bei den Kommunalwahlen zu spüren bekommen. Ihre einzige Hoffnung ist, dass es kaum schlimmer kommen kann als vor vier Jahren. Damals verloren sie rund 1300 der mehr als 8000 zur Wahl stehenden Sitze in den Gemeinderäten.
Verantwortlich waren die glücklose Premierministerin Theresa May und ihre Probleme, den EU-Austritt durchs Parlament zu bringen. Allerdings hatte auch Labour mit dem umstrittenen Linksaussen-Parteichef Jeremy Corbyn 2019 entgegen dem üblichen Trend Sitze verloren. Profiteure waren die Liberaldemokraten sowie parteilose Kandidatinnen und Kandidaten.
Nun hat die linke Opposition laut Sky News reelle Chancen, ihre einstigen Hochburgen in Nordengland zurückzuerobern, die bei der Unterhauswahl Ende 2019 zu den Tories «übergelaufen» waren. Für Labour-Chef Keir Starmer wäre es ein wichtiger Erfolg. Denn immer noch bezweifeln viele, dass er die Partei zum nationalen Wahlsieg führen kann.
Weil er nicht dazu gezwungen / mit Nachdruck aufgefordert wird.
Und weil am Spruch 'von den Reichen lernt man sparen' ab und an halt doch was dran ist.
Und ausserdem war imperiales Gehabe schon immer die britische Antwort auf innere Krisen. Grossbritannien hat nicht umsonst zwei gigantische Flugzeugträger gebaut (die grössten Schiffe der Royal Navy bis dato). Auch der Einsatz für die Ukraine beruht nicht auf Nächstenliebe. Man will zeigen, dass das Empire noch nicht ganz untergegangen ist. Und dazu gehört auch eine pompös gekrönte Gallionsfigur.