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Interview

Experte zu Orbáns Veto-Politik: «Ungarn ist keine Demokratie mehr»

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Macht nach Druck den Weg frei für das EU-Hilfspaket für die Ukraine: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Bild: keystone
Interview

«Orbán greift in die Souveränität von EU-Ländern ein» – so sieht es in der Schweiz aus

Für viele EU-Mitgliedsstaaten gilt Ungarns Regierungschef Viktor Orbán als Querulant. Doch der verfolgt seine ganz eigenen Pläne – auch in der Schweiz.
02.02.2024, 15:55
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Ungarns Regierungschef Viktor Orbán reisst gerne aus der EU-Einigkeit aus. Er schüttelt fröhlich die Hand des russischen Präsidenten Wladimir Putin, während dieser für die EU als Persona non grata gilt. Und er ist der Einzige, der im Dezember gegen das EU-Hilfspaket von 50 Milliarden Euro für die Ukraine ein Veto eingelegt hat.

Seither versuchte die EU stets, Druck auf Orbán auszuüben. Das Ganze gipfelte am Wochenende in einem brisanten Plan, der durch die Medien geisterte. Dieser sah vor, dass die EU-Staats- und Regierungschefs eine Auszahlung weiterer EU-Gelder an Ungarn auf absehbare Zeit aussetzen könnten. Für das wirtschaftlich angeschlagene Ungarn wäre das verheerend gewesen. Orbán selbst bezeichnete es als «Armageddon» und «Erpressungsversuch».

Nun kam am Donnerstag die überraschende Wendung: Orbán lenkte ein und das EU-Hilfspaket für die Ukraine steht. Wie es dazu gekommen ist und was das bedeutet, hat watson mit Politexperte Daniel Hegedüs vom US-Think Tank German Marshall Fund in Berlin angeschaut.

Herr Hegedüs, Orbán gibt seine Blockade auf. Was ist der Hauptgrund dafür?
Daniel Hegedüs:
Die Frustration der anderen EU-Mitgliedsstaaten über Ungarn war so gross, dass Orbán seine Blockade nicht mehr aufrechterhalten konnte. Für ihn bestand das Risiko, dass er sonst weiter von der EU sanktioniert worden wäre – bis zum Stimmrechtsentzug. Der Vertrauensbruch war also sehr nahe, das hat auch Viktor Orbán gemerkt.

«Orbán möchte ein autoritäres Regime.»

Denken Sie, dass er eher nachgegeben hat wegen dem in den Medien verbreiteten Geheimplan der EU oder wurden Ungarn Zugeständnisse gemacht?
Es gab keinen konkreten Geheimplan, um Ungarns Wirtschaft unter Druck zu setzen. Es gab lediglich eine Analyse, in der die ungarische Wirtschaftslage betrachtet wurde. Aber es ist eine Tatsache, dass sie die Nachricht an Budapest erhielt, dass sie nicht zu weit gehen sollten. Ich bin auch überzeugt, dass Orbán nichts Handfestes für das Ende seiner Blockade erhalten hat.

Weshalb hat sich Orbán so vehement gegen das Hilfspaket für die Ukraine gestellt?
Das Hilfspaket war nur eine von vielen EU-Massnahmen für die Ukraine, gegen die sich Ungarn gestellt hat. Die Beitrittsverhandlungen der Ukraine zur EU sind ein anderes Beispiel. Wir sehen konsequent, dass Ungarn entlang von Russlands Interessen die Entscheidungen der EU verlangsamt. Gleichzeitig hat Orbán auch kein Interesse daran, dass sich in der Ukraine eine erfolgreiche Demokratie etabliert. Er möchte ein autoritäres Regime.

Was erhält Orbán von Putin für seine Veto-Politik?
Es geht weniger um Geld oder Energie, sondern um Strategie. Orbán möchte einen autoritären Staat in einem demokratischen Umfeld ausbauen und übt Druck auf die EU aus. Dafür braucht er Verbündete wie Russland und China. Zudem wurde Ungarn durch seine Verbindung zu Russland zu einem viel wichtigeren Spieler auf dem internationalen Politspielplatz, als er eigentlich wäre.

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Strategische Freundschaft: Viktor Orbán schüttelt die Hand des russischen Präsidenten Wladimir Putin in China, aufgenommen am 17. Oktober 2023Bild: keystone

Wie schafft es Orbán denn, seinen autoritären Staat auszubauen?
Es ist mittlerweile eine Tatsache, dass das politische Regime in Ungarn keine Demokratie mehr ist. Sogar das Europäische Parlament bezeichnet den Staat als kompetitive Autokratie. Orbán konnte das ausbauen, weil die EU bis 2022 geschlafen hat. Ungarn konnte in den letzten Jahren regelmässig ungehindert in die Souveränität anderer EU-Länder eingreifen. Beispiele dafür sind, dass Orbán etwa in den Wahlkampf in Polen eingegriffen hat. Oder dass er bei der vergangenen französischen Präsidentschaftswahl Marine Le Pens Wahlkampf mit einem 10 Millionen Euro Kredit unterstützt hat. Auch in Mazedonien oder Slowenien passierte Ähnliches. Ungarn festigt die eigene Autokratie, indem sie fast schon im industriellen Masse in die Souveränität der EU-Staaten eingreift.

«EU muss ihre politischen Werkzeuge nutzen und etwa Ungarns Stimmrecht suspendieren.»

In der Schweiz sorgte Orbán im November an einem «Weltwoche»-Anlass vor SVP-Vertretern für Zündstoff. Geht das in dieselbe Richtung?
Es passt in dem Muster, dass Orbán Verbindung mit rechtspopulistischen Parteien sucht, um diese parteidiplomatische Netzwerke für eigene Zwecke benutzen zu können. Bedrohung für die Souveränität der Schweiz sehe ich in den bisherigen Kontakten nicht.

Switzerland's President Alain Berset, right welcome Hungary's Prime Minister Viktor Orban, left, during a visit of courtesy, in Bern, Switzerland, Tuesday, November 21, 2023. (KEYSTONE/POOL/ ...
Besuch in der Schweiz: Ende November vergangenen Jahres traf Viktor Orbán den Bundespräsidenten Alain Berset in Bern. Bild: KEYSTONE

Sie haben gesagt, die EU hat geschlafen. Wie kann sie künftig Orbáns Veto-Politik verhindern?
Ganz einfach: Die EU muss ihre politischen Werkzeuge nutzen und etwa Ungarns Stimmrecht suspendieren. Auch Finanzsanktionen haben einen Effekt auf die sowieso schon angeschlagene ungarische Wirtschaft. Aber die EU hat erwartet, dass ihre Sanktionen sofort einschlagen. Das ist eine Fehlannahme – solche Effekte brauchen Zeit. Aber sie wirken. Ich finde, die EU-Mitgliedsstaaten sollten grundsätzlich entschlossener und strategischer handeln. In den letzten 14 Jahren taten sie beides nicht.

Zum Schluss noch zur Ukraine: Sie erhält nun ein 50 Milliarden Euro schweres Hilfspaket bis 2027. Hat die EU damit genug getan?
Ich glaube, die EU hat damit das Minimum gemacht, was absolut notwendig war, um ihre Glaubwürdigkeit zu beweisen. Das finanzielle Ausmass, das die Ukraine benötigt, um langfristig gegen Russland Stand zu halten, ist schwer einzuschätzen. Das hängt auch von der Präsidentschaftswahl in den USA ab. Aber es ist eindeutig, dass Europa ein Sicherheitsinteresse daran haben sollte, die Ukraine zu unterstützen – auch mit Waffen. Leider hat auch zwei Jahre nach dem Kriegsausbruch die europäische Rüstungsindustrie und Politik noch nicht genug schnell auf die Tatsache reagiert, dass in Europa Krieg herrscht, wie man es eigentlich hätte erwarten können.

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111 Kommentare
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02.02.2024 16:40registriert Dezember 2016
„Orbán selbst bezeichnete es als «Armageddon» und «Erpressungsversuch».“ Der der alle erpresst wirft anderen Erpressung vor. Wie ironisch.
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Schlaf
02.02.2024 16:31registriert Oktober 2019
Die hohle Hand machen, sich aber nicht an Dinge der Geldgeber halten, oder sich Querstellen.

Orban, Köppel, Erdi, usw., Schmarotzer ohne Gewissen.

Die Typen sind alle vom selben Schlag, wie solche Menschen schlafen können, wird mir für immer ein Rätsel bleiben.

Steht der Scheitel auf Orbans Kopf eigentlich für sein spaltendes Verhalten? Das er dies nie vergisst, wenn er in den Spiegel schaut?
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Touché
02.02.2024 16:32registriert Februar 2019
Orban ist ein Verräter der Demokratie.
War er schon mit Putin im ...?

Die EU sollte eindeutig nach dem "Mehr-Stimmen-Prinzip" handeln.

Das so ein autokratisches Land wie Ungarn gibt ... mitten in Europa nicht kompatibel mit dem Rest davon? Jeweils als einziger?

Dieser Geld-Geiler korrupter Präsident
(wo immer behauptet, die anderen wären Korrupt) ... verschachtert aber die EU-Milliarden in seinen eigenen Clan, Familie und angebl. Freunde!

Ungarn muss raus, aus der EU!

Die EU muss reformiert werden.

Er darf nicht im Alleingang und Veto über die übrige EU bestimmen!
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