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Interview

Ukraine-Krieg: Was Russland mit den Drohnenangriffen erreichen will

A family sleep on the platform of a metro station as they take cover during a Russian attack on Kyiv, Ukraine, on Thursday, July 10, 2025. (AP Photo/Evgeniy Maloletka)
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Die aktuelle Realität in der Hauptstadt Kiew: Wegen Putins Angriffen übernachtet diese Familie in einer U-Bahn-Station.Bild: keystone
Interview

Militärökonom über möglichen Kriegsverlauf: «Das wäre für Putin sehr schwierig»

Putin überzieht die Ukraine mit einem regelrechten Drohnenhagel und verärgert gleichzeitig Donald Trump. Militärökonom Marcus Keupp über die russische Zermürbungstaktik, Kriegspropaganda und die Rolle Chinas und der USA.
12.07.2025, 05:5712.07.2025, 10:11
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Herr Keupp, diese Woche kam es zu den schwersten Drohnenangriffen seit Kriegsbeginn. Welche Taktik verfolgt Russlands Präsident Wladimir Putin mit diesem Vorgehen?
Marcus Keupp: Es sind zwei Faktoren, die miteinander verknüpft sind.

Die wären?
Putin versucht, die Schwächen der Ukraine in der Luftverteidigung auszunutzen. Er weiss, dass die Ukraine ihre Städte nicht vollumfänglich schützen kann und hat zum Ziel, die Zivilbevölkerung mit seinen Drohnenangriffen zu zermürben. Das sind selbstverständlich Kriegsverbrechen. Das Traurige ist, dass Putin so viele davon begeht, dass man sich daran gewöhnt hat. Das ändert aber nichts daran, dass es sich um eine verbrecherische Art der Kriegsführung handelt.

Russian President Vladimir Putin speaks with Yuri Chikhanchin, the Director of the Federal Financial Monitoring System, at the Kremlin in Moscow, Russia, Tuesday, July 8, 2025. (Mikhail Metzel, Sputni ...
Russlands Präsident Putin überzog die Ukraine mit einem regelrechten Drohnenhagel.Bild: keystone

Hat Putin mit seiner Zermürbungs-Taktik Erfolg?
Natürlich ist die Bevölkerung nach Jahren des Kriegs mental angeschlagen. Man sieht aber auch, dass sich bei den Menschen so etwas wie eine resignierte Routine eingestellt hat. Im Stile von: Ah, wieder ein Luftalarm, dann gehen wir halt erneut in den Bunker oder schlafen eine weitere Nacht in der U-Bahn. Das ist schlimm, gewiss, von Aufgeben kann jedoch keine Rede sein.

«Stattdessen forciert Putin seine Bodentruppen, die zu Fuss durchs Gelände gehen, mit einer sehr hohen Todesrate.»

Was ist der zweite Faktor?
Putin ist immer noch davon überzeugt, er könne diesen Krieg gewinnen. Mit diesen massiven Angriffen versucht er zu signalisieren, dass er über unbegrenzte Reserven verfügt und die Ukraine zusammenschiessen kann. Das stimmt objektiv so nicht, erzeugt in vielen Medien jedoch die entsprechende propagandistische Wirkung. Allein die Tatsache, dass wir uns jetzt darüber unterhalten, zeigt dies exemplarisch.

Also wäre Ihnen lieber, die Medien würden nicht über Putins brutale Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung berichten?
Nein, das nicht. Aber man muss sie noch stärker einordnen.

Bitte.
Solche Salven wie diese Woche werden wochenlang vorbereitet und dann auf einmal konzentriert abgeschossen. Ich glaube jedoch nicht, dass Russland dieses Niveau dauerhaft halten kann. Hinzu kommt, dass Putin zwar mit Drohnen Städte wie Kiew angreift, die mechanisierten Angriffe – etwa mit Panzern – an der Front im Osten aber immer weniger stattfinden. Stattdessen forciert Putin seine Bodentruppen, die zu Fuss durchs Gelände gehen, mit einer sehr hohen Todesrate. So etwas macht man nicht freiwillig, es zeigt, dass Engpässe beim Material vorliegen. Auch Satellitenbilder veranschaulichen, wie die russischen Lager sich leeren. Trotz fortlaufender russischer Angriffe an der Front bleiben grosse Geländegewinne bislang aus.

Bild
Zur Person
Dr. Marcus Keupp ist seit 2013 Privatdozent für Militärökonomie an der Militärakademie der Schweizer Armee an der ETH Zürich. Zuvor hat er an der Universität Mannheim und der Warwick Business School (England) Betriebswirtschaftslehre studiert und an der Universität St.Gallen promoviert. Für seine Leistungen in der akademischen Forschung erhielt der 47-Jährige zahlreiche Auszeichnungen. In seinem kürzlich erschienenen Buch «Spurwechsel» analysiert Keupp die globale geopolitische Lage und erklärt, warum die Welt vor einem neuen Kalten Krieg steht.

Sie bezweifeln, dass Russland sein Niveau bei den Drohnenangriffen halten kann. Andere Experten sagen, Putin könnte die Ukraine dank der gesteigerten Produktion mit über 1000 Drohnen pro Nacht beschiessen.
Letztlich geht es weniger darum, wie viel Russland produzieren kann. Relevant ist die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine. Mit einer vollständig funktionierenden Luftverteidigung könnte Russland beliebig viele Drohnen abfeuern, die würden einfach alle abgeschossen werden. Aber es ist nicht wegzudiskutieren: Aktuell gelingt es Putin, mit seinen Drohnenangriffen Mittel der Ukraine zu binden, die ihr dann an der Front fehlen.

Hat Putin überhaupt noch eine Alternative zur Aufrechterhaltung des Krieges, wenn er nicht vollständig das Gesicht verlieren möchte?
Gegenwärtig ist der Krieg für Putin ein ideales Geschäftsmodell. Er aktivierte alle menschlichen und wirtschaftlichen Ressourcen, er hat das Regime stabilisiert. Das Problem ist, dass Russland von dieser Kriegswirtschaft nicht einfach in eine Friedenswirtschaft zurückkehren kann.

«Putins innere Gegner sind mittlerweile alle entweder tot, im Exil oder in einem Straflager kaltgestellt.»

Weshalb?
Weil Putin dann begründen muss, warum eine Million Menschen im Krieg verletzt oder gestorben und eine weitere Million ausgewandert sind. Ich glaube nicht, dass der Krieg je ganz enden wird. Putin wird ihn viel eher auf eine niedrigere Intensitätsstufe zurückfahren, die Kampfhandlungen aber so lange weiterführen, wie er der Überzeugung ist, dass er sich irgendwie durchsetzen kann.

epaselect epa12228455 A man looks out of a broken window at the site of a drone strike in Kyiv, Ukraine, 10 July 2025, amid the ongoing Russian invasion. At least two people were killed in Kyiv, and m ...
Ein zerstörtes Haus in Kiew nach einem russischen Drohnenangriff.Bild: keystone

Was, wenn es der Ukraine mit westlicher Hilfe gelingt, die russische Armee aus dem Land zu drängen und die früheren Staatsgrenzen wieder herzustellen?
Das wäre für Putin sehr schwierig. Da müsste er eine Erzählung anbieten können, warum er sein Ziel, die Ukraine zu unterwerfen, nicht erreicht hat. Trotz jahrelanger Bemühungen, zahlloser Opfer und des wirtschaftlichen Ruins.

Gibt es innerhalb des russischen Staatsapparates niemanden, der Putin stoppen kann?
Ich wüsste nicht, wer das sein sollte. Putins innere Gegner sind mittlerweile alle entweder tot, im Exil oder in einem Straflager kaltgestellt. Putin hat eine totalitäre Diktatur geschaffen, die Russland vollständig kontrolliert. Die Welt muss sich, unabhängig des Krieges, mit einem ganz neuen Russland auseinandersetzen.

«Trump ist ein Narzisst und nichts kann ein Narzisst weniger ertragen als die Kränkung seines Egos.»

Die USA könnten Putin stoppen. Präsident Donald Trump ist vom Verhalten Putins zunehmend genervt, hat einen vorübergehenden Stopp von Waffenlieferungen umgestossen und angekündigt, der Ukraine wieder Waffen liefern zu wollen. Wie ist der Kurs der USA zu werten?
Bei Trump muss man immer aufpassen. Erwähnenswert ist jedoch, dass er die Ukraine mit dem Instrument der Presidential Drawdown Authority unterstützen möchte. Es ermöglicht, die Ukraine mit Waffensystemen zu unterstützen, ohne für jede einzelne Lieferung die Zustimmung des Kongresses einzuholen. Die Biden-Administration hat dieses Instrument genutzt, dass Trump es nun auch verwenden möchte, ist schon Zeichen eines gewissen Kurswechsels. Sein Wesen spielt hier eine grosse Rolle.

Das heisst?
Trump ist ein Narzisst und nichts kann ein Narzisst weniger ertragen als die Kränkung seines Egos. Aktuell passiert jedoch genau das: Trump wird von Putin regelrecht vorgeführt. Er hat mit dem russischen Präsidenten vergangenen Donnerstag am Telefon über mögliche Friedensverhandlungen gesprochen, nur wenige Tage später folgte der erwähnte schwerste Luftangriff auf die Ukraine. Die nun angekündigten Waffenlieferungen sind ein Signal an Putin im Stile von: Lieber Wladimir, wenn du glaubst, dass du mit mir spielen kannst, kann ich auch anders.

epa12227695 US President Donald Trump during a meeting with African leaders at the White House, Washington, DC, USA, 09 July 2025. President Trump is meeting with the leaders of Gabon, Guinea-Bissau,  ...
Zunehmend genervt über das Vorgehen Putins: US-Präsident Donald Trump.Bild: keystone

US-Verteidigungsminister Pete Hegseth hat den kurzzeitigen Waffenlieferungsstopp mit Kapazitätsengpässen begründet. Haben die USA zu wenig Waffen?
Das halte ich für kompletten Unsinn. Man muss bedenken, dass die USA der Ukraine nicht ihr Hightech-Material liefern, sondern Bestände aus den 90er- und Nullerjahren, die grösstenteils bereits abgeschrieben sind.

Ist das Schicksal der Ukraine komplett von den Waffenlieferungen der USA abhängig?
Es gibt durchaus auch hochgerüstete Staaten in Europa, welche die Ukraine stärker unterstützen könnten. Griechenland, die Türkei, Frankreich, Grossbritannien. Diese Länder könnten sehr viel mehr liefern, das scheitert aber jeweils an der politischen Opposition im eigenen Land. Noch immer haben viele politische Kräfte in Europa leider nicht verstanden, was in der Ukraine auf dem Spiel steht. Um Ihre Frage zu beantworten: Würden die USA ihre Waffenlieferungen von heute auf morgen einstellen, hätte die Ukraine definitiv grosse Probleme.

«In absehbarer Zeit wird Russland die Öl- und Gas-Preise akzeptieren müssen, die es bekommt.»

Welche Rolle spielt China im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine?
China beliefert Russland mit Material, das knapp nicht als Kriegsmaterial gilt. China liefert Fahrzeuge, aber keine Panzer oder schweren Waffen. Sie liefert nicht direkt Munition, jedoch Nitro-Zellulose, dies es braucht, um Artillerie-Munition herzustellen. China macht die Augen zu bei Lieferungen in chinesischen Häfen, die angeblich für Kirgistan oder Armenien bestimmt sind. Dabei weiss jeder, wohin die Ware geht.

Dann würde dies die These bestätigen, wonach China ein Interesse hat, dass der Krieg weitergeht.
Solange der Krieg anhält, ist es sicher nicht zu Chinas Nachteil. Sowohl in Bezug auf die USA als auch aus wirtschaftlichen Gründen. Je länger dieser Krieg dauert, desto stärker leidet die russische Wirtschaft und desto stärker wird das Land auf Verkäufe nach China angewiesen sein. Putin muss bei den Öl-Exporten schon jetzt einen Discount gewähren, weil China und auch Indien wissen, dass Russland sein Öl und Gas nicht mehr in den Westen verkaufen kann. Gleichzeitig konkurriert Russland mit dem Iran und den Golfstaaten, weil auch die ihr Öl nach China und Indien liefern wollen. Hinzu kommt: Durch den Boom der Elektromobilität wird die Nachfrage nach fossilen Treibstoffen zurückgehen. In absehbarer Zeit wird Russland die Öl- und Gas-Preise akzeptieren müssen, die es bekommt. So wird es zunehmend schwierig, die Kriegsökonomie aufrechtzuerhalten.

Sie sprechen die russische Wirtschaft an. Aktuell liegt die Inflation bei 10 Prozent, der Leitzins bei 20 Prozent. Den Wohlfahrtsfonds, eigentlich für die Renten gedacht, soll Putin schon zu 60 Prozent geplündert haben. Von aussen kommt man zum Schluss: Lange kann das nicht mehr gut gehen.
Das sehe ich auch so. Die liquiden Reserven des nationalen Wohlfahrtsfonds dürften spätestens Ende Jahr weg sein. Aber es ist dennoch nicht so, dass Russland von heute auf morgen wirtschaftlich kollabiert. Russland könnte zur monetären Staatsfinanzierung übergehen, das ist der Fall, wenn die Zentralbank direkt die Staatsausgaben finanziert. Dies hätte aber einen starken Anstieg der bereits hohen Inflation zur Folge. Der Wohlstand, den die Bevölkerung in den vergangenen 25 Jahren erlangt hat, würde grösstenteils wieder verloren gehen.

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94 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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N. Y. P.
12.07.2025 06:32registriert August 2018
Trump ist ein Narzisst und nichts kann ein Narzisst weniger ertragen als die Kränkung seines Egos. Aktuell passiert jedoch genau das: Trump wird von Putin regelrecht vorgeführt.

Das ist genau der Punkt ! Seit Monaten hoffe ich, dass wir diesen einen Schlüsselmoment erleben, wo Klein Donald bis aufs Blut von Putin gereizt wird. Im Moment ist es lediglich angerichtet..

Putin unterschätzt das Ego Trumps. Trump befehligt das stärkste Militär der Welt.
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Celtic Swiss
12.07.2025 10:13registriert Juni 2024
Ich mag seine Enschätzungen, er lag jedoch in der Vergangenheit immer mal knapp daneben mit seinen Analysen.

Ich denke positiv und vertraue seinen Einschätzungen.

SLAVA UKRAINI!
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FrancoL
12.07.2025 10:17registriert November 2015
Kritik der Artikel bestätigt was weitgehend bekannt ist, sorry!
Zeigt das Vorgehen aller Akteure auf, von den Russen zu den AMIS, von den Chinesen zu den Europäern.
Und es ist immer noch das gleiche Bild;
Ohne USA wird es schwierig für die Ukraine, der Westen könnte mehr, die Ukraine wehrt sich mehr als tapfer, Putin hat keine Gegner, Trump ist beleidigt aber noch nicht genügend.
Also nichts Neues, kaum Veränderungen und immer die gleiche Frage im Raum:
WARUM unterschätzt man die Gefahr einer Niederlage der Ukraine. Ist man so blind, diese zu relativieren? Wenn ja wieso?
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