In Burkina Faso ist der Staatschef Paul-Henri Sandaogo Damiba gestürzt worden. Dahinter steht der 34-jährige Offizier Ibrahim Traoré. Wer ist dieser Mann?
Wassim Nasr: Er ist ein Hauptmann der Artillerie, der kürzlich von Damiba selbst zum Leiter einer Armeegruppe in Kaya, einer Stadt im Norden Burkina Fasos, ernannt worden ist.
War der Putschist erfolgreich?
Er wurde vom gesamten Generalstab der burkinischen Armee unterstützt. Er hat an die Strasse appelliert und die Strasse hat reagiert. Das ist das Wichtigste. Er sagt zwar, dass er nicht an der Macht bleiben will. Wir wissen aber, dass sich solche «Übergangszeiten» in die Länge ziehen können. Wir dürfen zudem nicht vergessen, dass Traoré selbst mithalf, dass Damiba überhaupt an die Macht kam: Er war Mitglied der Junta, die den soeben gestürzten Staatschef im Januar 2022 ins Amt putschte.
Vergangenen Freitag, also acht Monate danach, kam es dann erneut zum Putsch. Was waren die Gründe?
Es gab die gleichen Vorwürfe, die Damiba im Januar an die Macht gebracht hatten: Die Armee ist schlecht ausgerüstet und schlecht organisiert, Truppen werden nicht abgelöst, es gibt generell keine strategische Vision und es gibt Tote. Im Januar kam ein Angriff des maghrebinischen Al-Qaida-Ablegers (kurz: AQMI) hinzu, bei dem im Norden des Landes etwa 50 burkinische Soldaten getötet wurden. Ein zweiter Anschlag der Terrormiliz «Islamischer Staat» ereignete sich kurz vor dem Putsch und richtete sich gegen eine Patrouille.
In Burkina Faso hat man also mit gleich zwei Dschihad-Milizen zu kämpfen?
Ja, in Burkina Faso wie auch in Niger und Mali. Man geht davon aus, dass der burkinische Staat rund 40 Prozent seines Territoriums nicht mehr unter Kontrolle hat. Das Fass zum Überlaufen brachte vergangene Woche ein weiterer Anschlag auf einen Konvoi, bei dem mindestens 50 Soldaten, Zivilisten und Angehörige der Freiwilligen-Miliz (VDP) getötet wurden.
Das war vergangene Woche am Montag. Fünf Tage später, am Freitag, geriet Frankreich ins Visier der Putschisten: Sie griffen Zivilisten der französischen Botschaft und des Institut de France in Ouagadougou an. Was war der Grund dafür?
Ich würde nicht sagen, dass Frankreich speziell im Visier der Junta ist, denn die aktuelle Junta ist dieselbe wie jene vom Januar. Aber es gibt in der Bevölkerung eine antifranzösische Stimmung, auf die sich Hauptmann Traoré zunächst stützte, um die Zivilbevölkerung auf seine Seite zu ziehen. So gab es etwa Gerüchte, wonach der gestürzte Damiba in der französischen Botschaft Zuflucht gesucht haben soll. Traoré dementierte diese Gerüchte selbst nach seinem Putsch-Erfolg.
Trotzdem hat man den Eindruck, dass sich diese antifranzösische Stimmung derzeit wie ein Lauffeuer in der Sahelzone ausbreitet.
Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob sich Burkina Faso völlig von Frankreich abwendet. Klar ist aber, dass in der Sahelzone seit mehreren Jahren russische Meinungsmacher Erfolg haben. Gleichzeitig gibt es auch afrikanische Persönlichkeiten wie Kemi Seba, die mit einer antifranzösischen Rhetorik ein grosses Echo geniessen.
Wie beeinflussen die Russen die Meinung in Burkina Faso?
Über soziale Netzwerke und die Medien. Burkina Faso gilt als drittgrösstes Publikum der französischsprachigen Versionen von «Russia Today» und «Sputnik». Zudem konnten wir viele russische Flaggen im Wahlkampf sehen, die von den Putschisten unter Traoré geschwenkt wurden. Gleichzeitig stösst antifranzösische Rhetorik auf fruchtbaren Boden in Burkina Faso.
Warum?
Das hat mit der kolonialen Vergangenheit Frankreichs und seinem militärischen Engagement in der Sahelzone gegen den Dschihadismus zu tun. Zudem herrscht ein grosses Unverständnis, warum ein Land wie Frankreich – die fünftgrösste Militärmacht der Welt – die Terrorgefahr nicht in den Griff bekommt. Hinzu kommen alte, zum Teil übertriebene oder erfundene Vorwürfe und Vorurteile gegen die Kolonialmacht Frankreich. Das erklärt, wieso die Menschen in Ouagadougou in den letzten Monaten nicht davor zurückschreckten, französische Unternehmen, die Botschaft und Frankreichs Anti-Terror-Militärs anzugreifen.
Wie werden die Russen gesehen?
Als Retter, und zwar wegen Desinformation und Propaganda. Ein Blick nach Mali zeigt nämlich, dass auch Russland mit seinen Wagner-Milizen keinen Erfolg gegen den Dschihad hat.
Die Russen schaffen es nicht, den Dschihadismus in Mali auszurotten?
Nein, sie schaffen es nicht. Und zwar überhaupt nicht. Seit ihrem Einsatz ist das Problem des Dschihadismus immer grösser geworden. Dies gilt umso mehr, als die Luftwaffe, die bis dahin von Frankreich geleitet wurde, weggefallen ist. Das brachte den dschihadistischen Gruppierungen Al-Qaida oder «IS» einen völlig neuen Aktionsradius und mehr Bewegungsfreiheit. Das russische Engagement und die Massaker durch die Wagner-Gruppe brachten zudem der Al-Qaida-Organisation in Zentralmali einen noch nie dagewesenen Zuwachs an Mitgliedern. All das wird in Burkina Faso nicht wahrgenommen.
Hat das nicht eher damit zu tun, dass man solche Übergriffe der Russen ignoriert, wenn sie sich dafür umso entschlossener im Kampf gegen den Dschihad präsentieren?
Vielleicht denken das einige. Es wären vermutlich dieselben, die während Frankreichs Präsenz in Mali jeden Fehler skandalisierten. Eine solche Haltung ist aber widersprüchlich: Man kann nicht die Augen bei russischen Übergriffen verschliessen und auf jedem französischen Fehler herumreiten.
Noch vor zehn Jahren war das aber anders: 2013 wurde der damalige französische Präsident François Hollande als Retter vor den Dschihadisten gefeiert. 2022 wird Frankreich wie ein Eindringling abgewiesen.
Das ist eine gute Zusammenfassung der lokalen Widersprüche. Frankreich wird sowohl als die rettende Kraft als auch als der grosse Marionettenspieler wahrgenommen, obwohl diese Wahrnehmung nichts mit der Realität zu tun hat. Von diesem kolonialen Vermächtnis ist nichts mehr übrig. Im Gegenteil: Nach dem Angriff vergangenes Wochenende auf die französische Botschaft wollte Frankreich die Situation nicht einmal mit Drohnen analysieren, um sich bloss nicht vorwerfen lassen zu müssen, in die Ereignisse verwickelt gewesen zu sein.
Wie wird sich die Lage in Burkina Faso Ihrer Meinung nach entwickeln?
Es wird sehr schwierig sein, in dieser Situation den Erfolg der Dschihadisten zu stoppen. Der ehemalige starke Mann im Lande, Damiba, hatte ein gemeinsames Vorgehen mit Frankreich geplant. Offen ist, ob die neue Macht unter Traoré dieses Projekt fortsetzen wird.
Na dann gibt es wohl bald ein Referendum.
Dabei behaupten die doch, der Westen wäre der Böse.
Wann startet eigentlich das Referendum in Burkina Faso?
Oder leben dort Russen, die vom Westen bedroht werden und dringend verteidigt werden müssen?
Fragen über Fragen.