Die Welt geht wegen der blutigen Invasion in der Ukraine hart gegen Russland vor – und die Auswirkungen sind bis in luftige Höhen spürbar.
Da die westliche Welt russische Flugzeuge aus ihrem Luftraum verbannt hat, sind nicht nur Oligarchen und ihre Privatjets teilweise gegroundet, sondern unter anderem auch die Flotte von Russlands führender Fluggesellschaft «Aeroflot». So hat «Aeroflot» am späten Sonntagabend (Ortszeit) mitgeteilt, dass alle internationalen Flüge wegen der internationalen Sanktionen ab Dienstagabend (8. März 2022) eingestellt würden – mit einer Ausnahme: Nach und von Belarus werde der Flugverkehr aufrechterhalten. Auch Inlandflüge fänden weiterhin statt.
Der gesperrte Flugraum ist aber nicht das einzige Problem von «Aeroflot»: Ein Grossteil der Flotte ist geleast – und zwar bei westlichen Unternehmen. Diese versuchen nun, ihre Flugzeuge wieder in Besitz zu nehmen. Denn im Rahmen der EU-Sanktionen müssen einige Leasingfirmen ihre Verträge mit russischen Fluggesellschaften bis zum 28. März beenden.
Mindestens 600 Flugzeuge in russischen Flotten seien angemietet – das entspreche mehr als der Hälfte aller kommerziellen Flugzeuge des Landes. Alleine die in Dublin ansässige «AerCap» – eine der weltweit grössten Flugzeugleasinggesellschaften – besitze 152 Flugzeuge in Russland und der Ukraine im Wert von rund 2,5 Milliarden Dollar, schreibt das amerikanische Newportal Quartz unter Berufung auf die «IBA-Group».
Einem SEC-Filing vom 28. Februar ist zu entnehmen, dass «AerCap» rund 5 Prozent seiner Flugzeugflotte nach Nettobuchwert an russische Fluggesellschaften verleast hat. Zahlen des Schweizer Informationsportals für Luftfahrt «CH-Aviation» zeigen, dass «AerCap» damit weltweit am meisten Flugzeuge an russische Unternehmen vermietet – und «Aeroflot» dasjenige russische Unternehmen ist, das insgesamt am meisten Flugzeuge geleast hat.
Westliche Unternehmen versuchen nun, ihre Flugzeuge aufgrund der auslaufenden Verträge zurückzubekommen. Bereits sollen mindestens zwei «Aeroflot»-Flugzeuge – eines in Istanbul und eines in Mexiko-City – beschlagnahmt worden sein, wie CH-Aviation schreibt. Ein weiteres sei am 2. März nur knapp der Beschlagnahmung in Kairo entgangen, wie «The Air Current» berichtet. Damit die Rücknahme ihrer Flugzeuge in grösserem Umfang erfolgen kann, werden die Unternehmen jedoch Monate brauchen. Denn die Entscheidung Russlands, seine Flugzeuge innerhalb seiner Grenzen zu behalten, erschwert Beschlagnahmungen.
Das Problem der Leasingfirmen: Wenn sie ihre Vermögenswerte abschreiben müssen – was zurzeit wahrscheinlich ist – können sie sich auch nicht an die Versicherer wenden. Denn das Abkommen, das die Bedingungen regelt, unter denen Flugzeuge geleast und beschlagnahmt werden dürfen, sei «nicht wirklich für Kriege und Sanktionen geplant», erklärte Richard Aboulafia, der geschäftsführende Direktor des Beratungsunternehmen «AeroDynamic Advisory», gegenüber Quartz. Und weiter: «Das Bizarre ist, dass die EU diesen Unternehmen am 28. Februar einen Monat Zeit gab, ihre Leasingverträge aufzulösen, aber die Versicherungspolicen wurden aufgrund der Sanktionen fast sofort null und nichtig.»
Flugzeughersteller wie Boeing, Embraer und Airbus haben sich vom russischen Markt zurückgezogen: Sie liefern keine Ersatzteile mehr nach Russland und reparieren Maschinen in russischen Flotten nicht mehr. Das bedeutet für Russland, dass das Land seine Ersatzteil-Vorräte aufbrauchen muss – oder Flugzeuge ausschlachten – um die Inlandsflüge weiterhin aufrechtzuerhalten.
Quartz vermutet, dass Russland sogar auf nicht zertifizierte Teile und gebrauchte Flugzeuge von Verkäufern in China zurückgreifen muss, analog zu Iran während der Sanktionen. «Niemand weiss genau, welche Teile Aeroflot auf Lager hat, aber ich vermute, dass die Flugzeuge höchstens ein paar Monate durchhalten», sagt Aboulafia gegenüber Quartz.
Aktuell fliegen nur wenige Fluggesellschaften, wie «Turkish Airlines» und «Emirates», Russland noch an. Es ist jedoch unklar, wie lange sie dies noch tun werden. Sollten auch die Inlandsflüge aufgrund maroder Maschinen eingestellt werden müssen, würden die Russen sich mit Reiseeinschränkungen konfrontiert sehen, wie sie im 21. Jahrhundert in fast keinem Staat weltweit Realität sind.