In Thüringen kommen die Alternative für Deutschland (AfD) und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in den Umfragen auf fast 50 Prozent. Was ist da los?
Hans Vorländer: Das gibt das Stimmungsbild in Thüringen klar und deutlich wieder. Die AfD ist nach wie vor stark. Sie ist die Partei von Björn Höcke. Daran kann auch das Auftauchen des BSW nichts ändern. Es kommt als zusätzlicher Spieler hinzu und gewinnt sicherlich auf Kosten erstens der Linken und zweitens der SPD.
Es gibt Einschätzungen, dass es in Brandenburg, Sachsen und Thüringen keine Regierung ohne eine dieser beiden Populisten-Parteien geben kann.
Die Wahlen werden zeigen, ob man ohne AfD eine regierungsfähige Mehrheit hinbekommt und unter welcher Leitung. Aber ich glaube, es ist unbestritten, dass das BSW im Prozess der Regierungsbildung der entscheidende Spieler sein wird.
Wie könnte sich das konkret äussern?
In Thüringen könnte die CDU mit dem Spitzenkandidaten Mario Voigt versuchen, mit dem BSW eine Mehrheit zu bilden, vielleicht unter Einbezug der SPD oder der Linken. Die entscheidende Frage ist, wer Ministerpräsident oder Ministerpräsidentin wird. Es gibt Stimmen, die sagen, es gibt womöglich einen Deal zwischen Thüringen und Sachsen, initiiert vonseiten des BSW.
Wie bitte? Wie soll das gehen?
Das BSW könnte mit Katja Wolf die Ministerpräsidentin in Thüringen stellen und in Sachsen den CDU-Amtsinhaber Michael Kretschmer unterstützen, in welcher Form auch immer.
Ist ein solcher Deal zwischen CDU und BSW wirklich eine Option?
Das hängt vom Wahlergebnis ab. In Sachsen hat die CDU gemäss den neuesten Umfragen einen leichten Vorsprung vor der AfD, und Grüne und SPD kämen wieder in den Landtag. Das könnte bedeuten, dass die bisherige Koalition von CDU, SPD und Grünen nochmals eine Mehrheit hat. Allerdings haben Kretschmer wie auch Teile der CDU sehr stark Wahlkampf gegen die Grünen gemacht, was zur Frage führt, ob die Grünen gegen das BSW ausgetauscht werden. Kretschmer könnte die beiden Parteien gegeneinander ausspielen, doch was er letztlich macht, ist im Augenblick nicht abzusehen. Das hängt vom Ergebnis ab und von der Stimmung in der CDU. Da gibt es unterschiedliche Strömungen.
Die CDU im Osten wird immer als konservativer dargestellt als in Gesamtdeutschland.
Es gibt auch in Westdeutschland konservativere CDU-Landesverbände, abgesehen von der CSU in Bayern. In Baden-Württemberg gibt es Strömungen, die sehr klar darauf hinarbeiten, dass es nach der nächsten Landtagswahl nicht zu einer Neuauflage der Koalition mit den Grünen kommt. Aber in ganz bestimmten Fragen ist die CDU im Osten entschieden konservativer.
Welche wären das?
Das betrifft die Gesellschaftspolitik, ebenso Zuwanderung und den Umgang mit Fragen der Integration. Und in Sachsen stellt die CDU stärker noch als in Thüringen oder anderen Bundesländern die Unterstützung der Ukraine infrage. Das ist zum Teil ein Tribut an BSW-Positionen, entspricht aber auch der Überzeugung von Teilen der Partei, insbesondere des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Die CDU wird im Osten herausgefordert von der AfD und nationalistischen, völkischen und sehr, sehr konservativen Wertvorstellungen. Es gibt Überlappungen zwischen CDU und AfD, insbesondere in Sachsen und speziell in Ostsachsen, wo sich das auf der Kreistags- oder Stadtebene bemerkbar macht.
In einer Studie beschreiben Sie die labile demokratische Kultur in Sachsen. Wie äussert sie sich?
Generell ist die Skepsis gross gegenüber der Art und Weise, wie die Demokratie funktioniert. Es gibt ein erhebliches Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen. In Sachsen, aber auch in Thüringen ist die Meinung verbreitet, dass man eine starke Führung benötigt und Parteien die Probleme nicht lösen, sondern eher verschärfen. Man müsse so etwas wie eine Volksgemeinschaft etablieren, die den Zusammenhalt fördert. Das ist eine sehr deutliche Kritik an bestimmten Prinzipien einer repräsentativen Demokratie. Daraus ergibt sich auch das Verlangen nach direkter Demokratie.
Ein aus Schweizer Perspektive sehr interessanter Befund.
Wenn man nachfragt, ist relativ unklar, was damit gemeint ist. Es ist nicht unbedingt das schweizerische Modell, sondern eher das populistische Modell. Darin gibt es eine Partei oder eine Führerin, einen Führer, die sich an «Volkes Stimme» orientieren und das unmittelbar umsetzen. Deshalb haben Führungspersonen wie Sahra Wagenknecht einen so starken Zulauf. Im Prinzip ist sie eine autokratische Führungsfigur im BSW. Und der Kult um ihre Person ist attraktiv für Menschen, die eine solche Einstellungsmatrix besitzen.
Der Name sagt es schon. Das BSW ist eine Sahra-Wagenknecht-Partei.
Sie hat nahezu keine Mitglieder. Im Prinzip ist Sahra Wagenknecht ein mediales Artefakt (lacht). Durch ihre hohe Präsenz in Talkshows und anderen Fernsehsendungen hat sie ihren Einfluss maximieren können. Sie ist eine Projektionsfläche von stillen Sehnsüchten nach klarer Führung und harten Entscheidungen. Hinzu kommt, dass sie strategisch geschickt das BSW gesellschaftspolitisch rechts und wirtschafts- sowie sozialpolitisch links verortet.
Bei Migration und Zuwanderung vertritt sie klar rechte Positionen.
Sie möchte die Grenzen schliessen. Sie hat eine sehr starke nationale und eine starke soziale Emphase. Das Ganze wird noch überhöht durch die massive Ablehnung weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine. Und nun kommt im Wahlkampf die Ablehnung der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen hinzu. Damit trifft sie einen Nerv, der in Ostdeutschland viel virulenter ist als im Westen. In Ostdeutschland lehnen 60 bis 70 Prozent der Wählerschaft die weitere Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen ab.
Das entspricht dem Befund des Soziologen Steffen Mau, wonach West und Ost auch 35 Jahre nach dem Mauerfall sehr unterschiedliche Welten sind.
Ja, aber das ist doch schon lange so und auch bekannt. Der Titel seines Buches «Ungleich vereint» ist insofern eine Binsenweisheit. Wir haben eine unterschiedliche Geschichte, eine unterschiedliche Sozialisation, unterschiedliche Erfahrungen. Prägungen der DDR hängen über. Hinzu kommen im Osten Traumatisierungen während der Transformationsphase der letzten 30 Jahre. Ein weiterer Punkt ist die grosse soziale Veränderung. Seit 1990 sind nochmals vier Millionen Ostdeutsche weggezogen. Die demografische Zusammensetzung ist eine andere, und der Modernisierungsschub, der ökonomische Strukturwandel, ist innerhalb sehr kurzer Frist erfolgt. Das sind alles Faktoren, die Ostdeutschland anders dastehen lassen als Westdeutschland.
Und daraus entstehen Ressentiments?
Es gibt einen latenten antiwestlichen Impuls, eine Renitenz gegen alles, was aus dem Westen kommt. Man fühlt sich vom Westen bevormundet und sieht sich folglich als Bürger zweiter Klasse. Es sind beständige Einstellungsmuster, die wir auch in unseren Befragungen seit mindestens zehn Jahren beobachten. Daraus entsteht ein kultureller Resonanzboden, auf dem Gruppierungen wie AfD oder jetzt BSW bestens gedeihen können.
Die AfD war schon bei den letzten Landtagswahlen vor fünf Jahren ein grosses Thema. Es gibt Medien wie die NZZ, die quasi propagiert, man müsste die AfD in irgendeiner Form mitregieren lassen. Kann das eine Option werden?
Faktisch ist es seit den letzten Kommunalwahlen in vielen kleinen Städten oder Kreistagen schon der Fall. Sogar in einer Stadt wie Dresden stellt die AfD die grösste Fraktion im Stadtrat. In Bautzen gibt es erste gemeinsame Abstimmungen auf Betreiben der AfD, unterstützt von der CDU und anderen Gruppierungen, beispielsweise über die Abschaffung der Stelle eines Ausländerbeauftragten. Wir sehen hier, wie die AfD ihre Positionen umzusetzen beginnt. Sie regiert quasi mit auf der kommunalen Ebene.
Welche Folgen kann das haben?
Deutschland ist so organisiert, dass die Kommunen im Prinzip nur für die Verwaltung zuständig sind, nicht für die Verabschiedung von Gesetzen. Gleichwohl können sie bei der Umsetzung von Landes- oder Bundesgesetzen eigene Akzente setzen. Und das beginnt jetzt. Insofern ist die Brandmauer gerade im kommunalen Bereich praktisch eingefallen.
Das hört sich dramatisch an. Wo führt das hin?
Die AfD kommt langsam in die exekutive Gestaltungsmacht hinein. Und das nicht nur aufgrund eigener Stärke, sondern auch dank Unterstützung von CDU, Freien Wählern und FDP, mit deutlichem Widerstand der anderen Parteien. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse hat sie mittlerweile ein Durchsetzungsvermögen und ein Machtpotenzial.
Was bedeutet das für die Wahlen in den drei Bundesländern? Könnte die AfD unter Umständen mitregieren?
Wir müssen die Wahlergebnisse abwarten. Ich gehe aber davon aus, dass die Brandmauer auf Landesebene hält. Denn die einzige Partei, die sie infrage stellen könnte, wäre die CDU. Aber das würde zu derart grossen Turbulenzen in der Bundespolitik, in der Bundes-CDU, aber auch im Bundesrat führen, dass es eher unwahrscheinlich ist. Problematisch wird es, wenn es keine regierungsfähige Mehrheitsbildung gibt, vor allem in Sachsen und Thüringen.
Wie könnte sich das äussern?
Wenn in Sachsen wegen der Fünf-Prozent-Hürde und mangels Direktmandaten weder Grüne noch SPD noch Linke in den Landtag kommen, haben wir dort nur noch drei Parteien: CDU, AfD und BSW. Wie das funktionieren soll, ist vollkommen unklar. Theoretisch wäre denkbar, dass AfD und BSW zusammengehen.
Diese Konstellation wirkt ziemlich abenteuerlich.
Weil das BSW unberechenbar ist, gerade in Sachsen, würde ich das nicht von vornherein ausschliessen. Vielleicht gibt es einen Deal, dass das BSW den Ministerpräsidenten oder die -Präsidentin stellt und von der AfD unterstützt wird. Es könnte auch, wie erwähnt, zu einer Allianz von CDU und BSW kommen. Falls die CDU stärkste Fraktion wird, könnte sie auch versuchen, es alleine zu machen und sich fallweise unterstützen zu lassen. Dann wäre die AfD mit im Boot. Das sind die Unwägbarkeiten. Alles hängt vom Wahlausgang ab.
Muss man damit rechnen, dass es zu ähnlich dysfunktionalen Koalitionen kommen wird wie die Ampel in Berlin?
Es wird zu dysfunktionalen und sehr konfliktreichen Regierungsbildungen kommen. Schon heute haben wir Bündnisse mit mindestens drei Parteien, die mit knappen Mehrheiten operieren und in denen sich Partner zusammenfinden, die keine grosse Übereinstimmung haben. Versuche, diese Dysfunktionalitäten durch programmatische Überhöhungen zu überbrücken und vielleicht zu verschleiern, wie in Berlin mit dem Begriff Fortschrittskoalition, werden aber nicht mehr funktionieren. Dazu sind die sozialen Verwerfungen und die politischen Herausforderungen viel zu gross. Es braucht Richtungsentscheidungen, in der Energie-, Klima- und Wirtschaftspolitik wie auch in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
- Asylpolitik
- Umgang mit ÖR Sendeanstalten
- Rentenfrage
- Außenpolitik, speziell RUS Politik
- EU Politik, am besten raus aus der EU+rein in den RUS Wirtschaftsraum
- Energiepolitik=Reaktivierung AKWs, Bau neuer Meiler
- Abschaffung Verbot Verbrennerautos
- Streichung CO2 Abgabe
Mit keinen anderen Parteien ist die Schnittmenge so groß. Da sind Koalitionen nur natürlich
Sie beackern Bundeskompetenzen wie Einwanderung und Aussenpolitik, wobei es ihnen nicht um die Sache, sondern um persönlichen Machtausbau/-erhalt geht.
Putin- und andere -Freunde spielen mit den Emotionen und Ängsten, der offenbar immer noch nicht demokratiegewohnten Bevölkerung im Osten Deutschlands.
R. Köppel freut sich schon auf seinen Staatsbesuch bei Sahra.